2024-05-08T14:46:11.570Z

Kommentar
– Foto: IMAGO / Funke Foto Services

»Ehrenamt benötigt Management!«: So können wir neue Menschen gewinnen

Hartplatzhelden-Kolumne #77: Ehrenamt ist anstrengend, unpopulär, unzeitgemäß. Heißt es, aber das muss nicht stimmen, wenn man als Verein mit der Zeit geht. Von GERD THOMAS

Vor zwanzig Jahren war Google neu, das iPhone gab es ebenso wenig wie Facebook, Instagram, Twitter und TikTok. Was das alles mit Amateurfußball zu tun hat? Jede Menge.

Die veränderten Lebenswelten schlagen auf das Vereinsleben durch. Als ich 2003 beim FC Internationale als Trainer begann, verteilten wir noch Zettel, wann und wo wir uns am Wochenende zum Auswärtsspiel treffen würden. Der Vorstand hatte gerade den Betrieb einer Internetseite beschlossen. Fotos wurden eingescannt. Um 2006 herum führte ich den ersten Newsletter ein, sicher nicht datenschutzkonform.

Die Vereinskommunikation fand in erster Linie auf dem Platz statt, im persönlichen Austausch. Das schuf eine vertraute Atmosphäre, auch wenn damals nicht alles besser war. Zumal die heutige digitale Welt viele Chancen bietet. Moderne Apps helfen bei der Teamführung. Videoanalyse gehört für viele Trainer zum Standard. Durch Social Media hat der Amateurfußball mehr Möglichkeiten, sich darzustellen. Im Guten wie im Schlechten.

Wer kennt sie nicht, die Liveticker und Spielberichte, in denen gnadenlos subjektiv Schiedsrichter kritisiert und das Spielgeschehen verfälscht wiedergegeben werden? Entscheidungen von Trainern oder Fehlschüsse von Spielern werden öffentlich bewertet. Oft besserwisserisch, selten mit Fachkenntnis. Wenigstens ist der VAR auf den Amateurplätzen nicht im Einsatz.

In weniger als zwanzig Jahren haben sich, auch wenn das Spiel noch immer das gleiche ist, die Grundlagen des Fußballs verändert. Vor allem schlägt die schöne neue Welt auf das Ehrenamt durch. Während in vielen Vereinen – und leider auch Verbänden – noch die gute alte Zeit beschworen wird, ändern sich die Bedingungen rasant. Die Arbeitswelt ist flexibilisiert, die Schule geht bis 16 Uhr, das Studium ist weniger flexibel, Bafög ist für viele ein Traum, die Mieten steigen ins Unendliche. Auch junge Menschen müssen in erster Linie Geld verdienen. Der gravierende Mangel an Arbeitskräften führt dazu, dass viele Menschen Überstunden machen. Die Zeit fehlt ihnen dann für das Engagement in den Vereinen. Die Zahlen der aktuellen Ziviz-Studie sind für den Sport nicht angenehm (Seiten 34 und 36).

Dennoch beschwören viele in Politik und Sport den Ehrenamtsgeist der 80er Jahre. Das wird nicht zurückkehren, wie wir etwa an den spärlich besuchten Sitzungen des Berliner Fußball-Verbands sehen. Beim Verbandstag vor zwei Wochen waren nicht einmal zwanzig Prozent der Vereine anwesend. Bei einer Jugendtagung kamen von mehr als vierzig geladenen Vereine acht.

Von Corona haben wir uns noch nicht erholt. Zudem müssen wir uns auf neue Krisen einstellen. Klimawandel und Kriege verursachen Flucht, religiöse und ethnische Konflikte. Diese spiegeln sich auf dem Fußballplatz. Die Vermögensschere geht weiter auseinander, wir dürfen die Armen aber nicht fallen lassen. Die Herausforderungen für das Ehrenamt steigen, für Trainerinnen wie Vorstände.

Man hat dennoch nur selten den Eindruck, dass sich der organisierte Sport wirklich Gedanken macht. Beim DFB-Amateurfußballkongress wurde das Thema Ehrenamt unter den Teppich gekehrt. „Darum kümmern wir uns täglich, genau wie um Infrastruktur und Digitalisierung!“ hieß es von der Versammlungsleitung. Aha!!! Die meisten Vereins- und Bezirksdelegierten hörten das mit Staunen. Auch bei der Sportentwicklungskonferenz des DOSB, an der ich ebenfalls teilnehmen durfte, hatte ich nicht das Gefühl, die Zeichen der Zeit wären erkannt. Wahrscheinlich bin ich einfach zu anspruchsvoll oder ein notorischer Nörgler.

Wir werden uns den Herausforderungen stellen müssen, wollen wir unseren geliebten Sport nicht verlieren. Wir müssen neue Kommunikationsformen finden. Wir müssen uns öffnen und auch geliebte Gewohnheiten über Bord werfen. Wir sollten die Konkurrenzen hintenanstellen und Erfolgsfaktoren untereinander austauschen. Die Vielfalt der Gesellschaft muss sich besser in der Führung der Vereine widerspiegeln. Bei den Trainern gelingt das schon gut, doch noch immer gibt es in den Vorständen zu wenige Frauen, junge Leute und nicht zuletzt Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.

Es sollte zudem nicht so sein, dass man sich ein Ehrenamt leisten können muss. Das Modell "Präsident = Hauptsponsor" ist nicht nur wenig demokratisch, es führt auch nicht zu nachhaltigem Erfolg, wie viele Vereine (nicht nur in Berlin) schmerzhaft erkennen mussten. Ehrenamt muss auch möglich sein, wenn man nur zwei Stunden in der Woche Zeit hat. Nur muss das alles organisiert werden. Dafür braucht es zumindest in mittleren und größeren Vereinen hauptamtliche Strukturen. Früher hieß es oft „Wir investieren in Steine, nicht in Beine!“. Löblich, aber heute muss vor allem in Personal investiert werden. Denn Vereine müssen gemanagt werden.

Auch die Übungsleiter müssen besser bezahlt werden. Es ist nicht statthaft, eine 25-jährige Trainerin dreimal in der Woche auf den Platz zu stellen, Training und Spiel vorbereiten zu lassen, Fortbildungen zu fordern und sie dann mit 25 Euro pro Woche abzuspeisen. Ich kenne Vereine, die zahlen Trainern „unterer“ Teams nichts, diese bringen faktisch also Geld mit. Das ist ignorant, weltfremd, unverschämt. Wer wundert sich, wenn der studierende Spieler des Herrenteams lieber im Supermarkt an der Kasse sitzt als auf den Platz die Kinder anzuleiten?

Vor allem aber müssen wir wieder mehr miteinander reden. Hört sich leicht an, ist es aber nicht. Viele müssen es erst (wieder) lernen. Kurznachrichten und Apps erleichtern oft die Organisation, die direkte Kommunikation unter den Vereinsmitgliedern ersetzen sie nicht. Wir wollen im nächsten Jahr versuchen, einen stärkeren Fokus auf Ehrenamt und Engagement zu legen. Wir holen uns dafür Hilfe, zum Beispiel von der großartigen Expertin für Fußballeltern, Susanne Amar, die seit kurzem auch Hartplatzheldin ist.

Onboarding und Offboarding sind Begriffe aus der Wirtschaft, die auch für den Fußball wichtig sind. So wenig Digitalisierung überflüssig ist, sind es auch neue Werkzeuge der Kommunikation. Die Verbände werden die Aufgabe übernehmen müssen, Vereinsmitarbeiter zu schulen, allerdings selbst erst einmal den Umgang damit lernen müssen. In Berlin haben wir vor drei Jahren das Programm „Future BFV“ erarbeitet, das muss jetzt umgesetzt werden.

Wir wollen bei uns im Verein versuchen, mehr Leute einzubinden. Vielleicht nicht nur über den klassischen Fußball. Für unsere AG Nachhaltigkeit haben sich in den letzten drei Jahren viele junge Menschen uns angeschlossen, die zwar keine Trainer sein wollen. Aber mit Kinderschutz oder Öffentlichkeitsarbeit kann man neue Menschen für die Vereinsarbeit gewinnen.

Das alles geht nur, wenn die Strukturen eines Vereins belastbar sind. Hauptamt zur Unterstützung kann helfen, muss aber auch bezahlt werden. Wir haben unsere Mitgliedsbeiträge deutlich erhöht, keine sehr populäre Maßnahme. Aber sie wurde nach einigem Murren befürwortet und hat uns geholfen, den Verein zu stabilisieren. Auch wenn Geld nicht alles ist, es hilft. Natürlich nur, wenn man es in die Verbesserung der Struktur steckt und nicht in Prämien für Kreisligakicker. Schließlich heißt es aus gutem Grund Amateurfußball und Hartplatzhelden.

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Zum Autor:
Gerd Thomas, Jahrgang 1960, ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. Der Verein pflegt den reinen Amateurgedanken, stärkt das völkerverbindende Element des Fußballs und ist seit 2007 Integrationsstützpunkt der Sportjugend. Auf den Trikots aller Mannschaften steht keine Werbung, sondern der Slogan: „No Racism!“. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus. 2022 wurde der Club auf der Fachmesse Spobis mit dem "Award für Nachhaltigkeit im Sport" geehrt.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

#76: "Danke, Fußball!": Warum Vereine & Eltern besser kommunizieren müssen von Susanne Amar
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#34: DFB: »Es sei denn, wir ändern das System!« von Gerd Thomas
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#32: Fußball und Diversität: »Deutsche Schiris pfeifen immer gegen Türken!« von Tim Frohwein
#31: DFB und Amateure: »Es braucht eine Graswurzelbewegung!« von Gerd Thomas
#30: DFB-Präsident: »Warum nicht eine Urwahl aller 24.500 Vereine?« von Gerd Thomas
#29: Digitalisierung im Verein: »Manche Apps werden bleiben!« von Tim Frohwein
#28: Datenschutz: »Das muss jeder Amateurverein beachten von Fabian Reinholz
#27: "Generation Corona": »Kontrollierte Öffnung für Jugend-Sport jetzt!« von Gerd Thomas
#26: Türkgücü München: Streitgespräch über einen Verein, der polarisiert von Michael Franke & Tim Frohwein
#25: Pädagogik: »Wird man zum besseren Menschen, wenn man Fußball spielt?« von Younis Kamil
#24: Vereinsstruktur:»Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
#23: Berliner Fußball-Verband: »Es geht nicht nur ums Geschlecht!« von Gerd Thomas
#22: Vereinsstruktur: »Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
#21: »eSport? Wer Nachwuchs fördern will, sollte sich Teqball-Platte zulegen« von Tim Frohwein
#20: Fußball und Corona: »Was ich vermisse, ist das Einmischen des DFB« von Ute Groth
#19: Rassismus: »Sie riefen „Deck den Weißen“ – das tat mir weh!« von Younis Kamil
#18: Sportpolitik: »Neue Köpfe braucht der Fußball« von Gerd Thomas
#17: Kommunalpolitik: »Willkommen in der Sportstadt "Schilda" München« von Michael Franke
#16: Sportwissenschaft: »Wünsche mir Wissensspeicher für Amateurfußball« von Tim Frohwein
#15 »Die Politik muss das Fußballverbot für Kinder wieder aufheben!« von allen
#14 Sportpolitik: »Amateure, organisiert Euch!« von Gerd Thomas
#13 Sozialverhalten im Kinderfußball: »Mannschaft ist unser Spiegelbild« von Younis Kamil
#12 Gewalt im Fußball: »Wäre schön, wenn die Politik begreift« von Gerd Thomas
#11 »Wer das Hauptamt fördert, fördert auch das Ehrenamt« von Ute Groth
#10 Neue DFL-Taskforce: »Wir Amateure sind denen egal« von Michael Franke
#9 Kinderfußball: »Es sollen wirklich alle spielen!« von Younis Kamil
#8 »Duschen nach dem Spiel ist jetzt gefährlicher als nach dem Training« von Gerd Thomas
#7 Integration: »Flüchtlingsmannschaften machen mich skeptisch« von Michael Franke
#6 Pro Jugendarbeit: »Lieber kauft man ein neues Herrenteam zusammen« von Gerd Thomas
#5 Stellenwert des Amateurfußballs: »Großer Konkurrent ist die Kultur« von Michael Franke
#4 »Der Plan mit dem Neustart ist nicht durchdacht« von Ute Groth
#3 DFB: Gegen das System Pattex von Gerd Thomas
#2 Kindern die Angst nehmen: »Fehler sind etwas Tolles« von Younis Kamil
#1 »Corona hat die Leute vom Fußball entwöhnt« von Michael Franke

Aufrufe: 020.12.2023, 14:30 Uhr
Michael GrünbergerAutor