2024-05-08T14:46:11.570Z

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– Foto: Gerd Thomas

DFB-Amateurkongress: »Amateurfußball interessiert die Medien nicht!«

Hartplatzhelden-Kolumne #72: Eine Menge Reporter kamen nach Frankfurt. Wie viele davon berichteten über Nagelsmann und wie viele wollten von uns Delegierten des Amateurkongress etwas wissen? Drei Mal dürfen Sie raten. GERD THOMAS berichtet vom Amateurkongress

Frankfurt, 22. September, 10.54 Uhr. Ich betrete das Gelände der DFB-Akademie und sehe eine große Menge Journalisten, Kameras, Blocks, Stifte, Handys, Aufnahmegeräte. Mit mir betreten eine Reihe weiterer Delegierter des diesjährigen DFB-Amateurkongresses den Campus. Es geht um wichtige Fragen für den Breitenfußball, für mehr als 24.000 Vereine und deren 135.000 Teams im Spielbetrieb, wovon weniger als 0,1 Prozent als Profis gelten. Merkwürdig nur, dass niemand der Delegierten von den Journalisten etwas gefragt wird, obwohl diese doch 99,9 Prozent des Fußballs vertreten. Allmählich dämmert mir: Die Medienvertreter sind gar nicht wegen uns hier!

Um 12.00 Uhr ist ebenfalls auf dem DFB-Campus eine Pressekonferenz anberaumt. Der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann wird vorgestellt. Klar, dass sich jede Menge Journalisten und Fotografen eingefunden haben. Der Raum der PK ist proppenvoll. Zwar wird nur verkündet, was seit Tagen alle Fußballinteressierten der Republik schon wissen, aber es geht schließlich um die Zukunft des deutschen Fußballs, um die Nationalmannschaft. Und vielleicht gibt der Neue noch ein nicht bereits bekanntes Bonmot von sich, oder der Teamchef macht nochmal den Weißbier-Rudi.

– Foto: Gerd Thomas

Eine Stunde später beginnt der DFB-Amateurkongress, der zuletzt 2019 stattfand. Damals führte wieder einmal Rainer Koch die Regie, flankiert von Schatzmeister Stephan Osnabrügge. Beide hinterließen im Zusammenspiel mit den ebenfalls nicht mehr im Amt befindlichen Oliver Bierhoff und Generalsekretär Friedrich Curtius einen Sanierungsfall, sportlich wie wirtschaftlich. Wobei sie nicht alleine die Verantwortung dafür tragen, denn die mächtige DFL sitzt auch in den Aufsichtsgremien des DFB.

Dass es in den Medien kaum eine Differenzierung vor der Zeit des neuen Präsidiums (also vor März 2022) und heute gibt, ist eine andere Mediengeschichte. Landläufig heißt es auch eineinhalb Jahre später immer noch „DER DFB“, zumindest wenn es um Katastrophen, Debakel, Krisen, Desaster oder „bizarren Führungsstil“ (Focus) geht.
2019 gab es beim Amateurkongress für die Delegierten viel Frontalunterricht durch teilweise verwirrende Referate und Vorträge. Man hatte den Eindruck, der DFB wollte die angereisten Amateurspezialisten vor allem beschäftigen, aber nicht deren Meinung hören. Das hat sich unter Bernd Neuendorf, der bei seinem Besuch des FC Internationale einen erneuten Anlauf versprochen hatte und Wort hielt, deutlich geändert. Dieses Jahr wurden die Delegierten gehört und hatten zudem die Gelegenheit, sich an den Arbeitstischen auf Augenhöhe mit den DFB-Granden Ronny Zimmermann, Silke Sinning oder Sabine Mammitzsch auszutauschen.

– Foto: Gerd Thomas

– Foto: Gerd Thomas

Wenn eine Pressekonferenz um 12 Uhr stattfindet, wäre es eigentlich eine willkommene Gelegenheit, anschließend zur im selben Gebäude stattfindenden Zusammenkunft der in den Medien so gern zitierten – sagen wir lieber strapazierten – Basis zu gehen. In der halben Stunde zwischen den Terminen hätte man locker den überall ähnlich erscheinenden Bericht zum neuen Hoffnungsträger der Nation schreiben können, um sich dann tatsächlich den Niederungen des Amateurfußballs zu widmen.

Nur waren im Prinzip keine Journalisten (mehr) da, Ausnahme der Harplatzhelden-Kollege Tim Frohwein, der für das großartige Nischenmagazin „Zeitspiel“ (unbedingt abonnieren!) dort war. Der Amateurfußball hat nicht nur bei der Politik keine Lobby, er kommt in den Leitmedien ebenso wenig vor. Stattdessen schwadroniert der rechte Läufer und mir bislang als Fußballexperte im Verborgenen geblieben Wolfram Weimer (ehemals Chefredakteur beim Axel Springer Verlag) im Fußballfachblatt Focus über die SPD-Netzwerke im DFB. Eine eher simple Betrachtung. Noch banaler wird es im Zentralorgan des Deutschen Fußball, dem Kicker. Dort liest man, dass Nagelsmann als ersten Besuch eben den Amateurkongress wählte (was räumlich nahe lag) und die Delegierten sich freuten. Inhalte zum Kongress an sich: Fehlanzeige! sportschau.de verfasste immerhin einen reflektierten Artikel (Danke für den O-Ton).
Die Kollegen vom Deutschlandfunk verfügen über großartige Sportsendungen. Am Sonntagabend ging es unter anderem um rassistische Einstellungen im Amateurfußball, hochspannend. Die Ergebnisse waren niederschmetternd, zwei Experten gaben ihre in meinen Augen nicht sonderlich aussagekräftige Meinung zum Besten. Was wäre näherliegend gewesen, als einen Mitarbeiter nach Frankfurt zu schicken, der die dortigen Delegierten zum Thema befragt?

– Foto: Gerd Thomas

Im selben Sender wurde um 23.05 Uhr ein Gespräch über den Zustand des DFB geführt. Zugeschaltet waren der Sport-Investigativjournalist Thomas Kistner von der SZ (Autor des Buches: FIFA-Mafia) und die ZDF-Reporterin Claudia Neumann (Aktivistin bei „Fußball kann mehr“). Es wurde munter auf den DFB eingeschlagen, Kistner schien sich gar lustig zu machen. Amateurfußball kam nicht vor. Übertitelt war das Gespräch mit „Turbulente Wochen beim DFB“.

Allerdings – bei der eben an diesem Tag versammelten Basis in Frankfurt kamen sowohl der neue Bundestrainer als auch der neue Sportdirektor Andreas Rettig und nicht zuletzt die Kinderfußball-Reform ausgesprochen gut an. Aber wen interessiert die Stimme der Basis, wenn man doch noch so viele Vorurteile und Klischees über den DFB noch nicht veröffentlicht hat? Oder zumindest noch nicht oft genug.
Der Amateurfußball interessiert nicht. Dass er jedoch von den Journalisten auch noch als Alibi für ihre Verschwörungstheorien in Richtung DFB herhalten muss, macht die Sache schon fast unappetitlich. So wie für Rechtsaußen in der politischen Berichterstattung „DIE Regierung“ oder gar „DIE Politik“ für alles herhalten müssen, was nach Meinung der Flügelflitzer schiefläuft, steht DER DFB in der Sportberichterstattung stellvertretend für die Mächte des Bösen.

– Foto: Gerd Thomas

Wie sich der DFB zusammensetzt, welche Rolle die DFL oder auch die Landesverbände spielen, interessiert scheinbar niemanden. Wahrscheinlich ist die Recherche einfach zu anstrengend. Intellektuelle Defizite möchte ich niemandem unterstellen, auch wenn es Boulevardmedien gibt, die sich mit der Einordnung der Hobbys von Ex-Spielerfrauen leichter tun als mit der Interpretation der Abseitsfalle. Und die dann über Amateurfußball schreiben, wenn es irgendwo einen Spielabbruch gab und in der Regel unreflektiert, aber meinungsstark Stereotypen über die vermeintlichen Täter verbreiten.

Sarkasmus hilft nicht weiter. Die Krise des Amateurfußballs ist auch eine Medienkrise. Ich würde sogar so weit gehen, sie als Problem der Demokratie zu bezeichnen. Denn in den vielen Breitensportvereinen sitzen Tausende von Ehrenamtlichen, die in ländlichen Regionen neben der Freiwilligen Feuerwehr die Zivilgesellschaft darstellen und die Demokratie stärken. In den Ballungsräumen sorgen die Vereine für Zusammenhalt, Bewegung, Integration und Austausch quer durch die Milieus. Wer schafft das noch in Deutschland außer dem Amateurfußball?

Aber wie lange schafft es der Amateurfußball noch, wenn jetzt auch die Finanzierung für FSJler eingespart wird oder die sportliche Infrastruktur zusehends verkommt? Doch wen interessiert das? Wer will etwas wissen über die Ehrenamtskrise und die fehlende Sportinfrastruktur? Die Chance, in den Medien etwas über ein Tennisturnier in Australien oder ein Golf-Meeting in Florida zu erfahren, ist um ein Vielfaches höher, als zumindest ein paar Zeilen über örtliche Amateurvereine zu finden. Im Zweifel ist die Farbe der Schnürsenkel des Platzwarts von Hertha BSC wichtiger als die täglich herausragende Arbeit bei Meteor 06 im Berliner Wedding oder im Kreuzberger Kiez bei Hansa 07.

Warum ist das so? Vielleicht ist das der Inhalt für eine weitere Kolumne, vielleicht besser eine Studie.

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Zum Autor:
Gerd Thomas, Jahrgang 1960, ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. Der Verein pflegt den reinen Amateurgedanken, stärkt das völkerverbindende Element des Fußballs und ist seit 2007 Integrationsstützpunkt der Sportjugend. Auf den Trikots aller Mannschaften steht keine Werbung, sondern der Slogan: „No Racism!“. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus. 2022 wurde der Club auf der Fachmesse Spobis mit dem "Award für Nachhaltigkeit im Sport" geehrt.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

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Aufrufe: 028.9.2023, 17:20 Uhr
Gerd ThomasAutor