2024-05-14T11:23:26.213Z

Kommentar
Zulasten der kleinen Vereine? Talentspäher auf der Suche nach vielversprechenden Spielern, Trainern und sogar anderen Scouts
Zulasten der kleinen Vereine? Talentspäher auf der Suche nach vielversprechenden Spielern, Trainern und sogar anderen Scouts – Foto: IMAGO / Bildbyran

Nachwuchsfußball: »Scouts stehen sich auf den Füßen!«

Hartplatzhelden-Kolumne #33: Talentspäher gab es schon immer im Fußball, doch mittlerweile schadet das Rennen um die Talente den vielen kleinen Vereinen und gefährdet deren Zukunft. Von MICHAEL FRANKE

In der Hartplatzhelden-Kolumne kommen kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen. In der 33. Ausgabe erläutert Michael Franke, erster Vorsitzender der FT München-Gern, warum intensives Scouting kleinere Verein vermehrt vor Probleme stellt.

Scouts gab es im Fußball schon immer, auch wenn sie früher anders hießen – Talentspäher zum Beispiel. Ein guter Jahrgang eines Amateurvereins zog schon immer die Scouts der großen Vereine aus der Umgebung an. Die pickten sich den einen oder anderen Spieler heraus, oft schon im Altersbereich U12. Als kleiner Verein waren wir darauf auch stolz. Spieler, die uns verließen, wurden beim Sommerturnier mit einem kleinen Pokal und großem Applaus verabschiedet. Und nicht wenige kamen später wieder zu Besuch oder sogar auch aktiv wieder zurück. Philipp Lahm, der 1995 elfjährig zum FC Bayern wechselte und eine Weltkarriere einleitete, hat nie die Bindung zu unserem Verein verloren.

Alles war irgendwie gut, doch aus heutiger Sicht mutet diese Erinnerung an wie aus einem anderen Jahrhundert. Bis vor ein paar Jahren war die regionale Vereinsstruktur recht einfach in München. Es gab drei Nachwuchsleistungszentren (NLZ), nämlich 1860 München, FC Bayern und Unterhaching. Dazu gab's noch einige wenige mittelgroße Vereine, die sich wiederum die NLZ-Abgänger schnappten, um in möglichst hochklassigen Amateurligen zu spielen.

Mittlerweile scouten aber in München nicht nur die NLZs, sondern es werben erklärte Leistungsvereine mit NLZ-artiger Ausprägung aktiv um Spieler. Zudem übernehmen kommerzielle Fußballschulen Jugendabteilungen und werben ebenfalls aktiv. Und sportlich überregional ambitionierte Vereine bekommen längst nicht mehr automatisch die NLZ-Dropouts. Auch sie müssen aktiv um die Spieler der kleineren Vereine werben. Und es gibt auch noch die sogenannten Projektteams der Fußballschulen in Vereinen, die natürlich auch eine Anziehungskraft im Umfeld erzeugen. Die Nahrungskette im Fußball ist länger und länger geworden.

Diese Gemengelage führt dazu, dass ein sehr dynamisches Rennen um die hoffnungsvollen Talente stattfindet. Scouts aller Art stehen sich auf den Fußballplätzen der Region praktisch auf den Füßen. Ein mir persönlich bekannter Scout berichtete mir, dass viele Spieler mittlerweile genervt auf seine Ansprache reagieren: „Du auch noch ...“! Vermutlich werden auch schon Scouts gescoutet.

Diese Entwicklung verursacht vor allem bei den vielen kleinen Vereinen für erhebliche Orientierungsprobleme, zumal sich das Scouting mittlerweile auch auf ambitionierte Jugendtrainer erweitert hat. Es stellt sich die Frage, wie ein normaler Stadtteilverein auf diese Entwicklung reagieren kann, um weiterhin attraktiv für Spieler und Ehrenamtler zu sein. Zumal die Qualität der sportlichen Strukturen (Infrastruktur, Trainer) am Ende auch eine finanzielle Dimension bekommt, die ein normaler Stadtviertelverein kaum stemmen kann. Wir sind in unserem Verein aktuell auf der Suche nach der Antwort.

Über den Autor:
Michael Franke ist seit 2003 erster Vorsitzender der FT München-Gern, dem Heimatverein von Philipp Lahm. Aktiver Spieler war er von 1974 bis 2007, Jugendtrainer von 2003 bis 2017, zwischenzeitlich Schriftführer. Im Jahr 2018 hat er die Interessengemeinschaft Sport in München mitgegründet, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Breitensport zu fördern.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

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Aufrufe: 028.7.2021, 12:00 Uhr
Michael FrankeAutor