2024-04-25T14:35:39.956Z

Kommentar
– Foto: Imago/Zink

Fußball und Diversität: »Deutsche Schiris pfeifen immer gegen Türken!«

Hartplatzhelden-Kolumne #32: Im Amateurfußball gibt es mehr Diskriminierung als bei den Profis, das bringt die Sache mit sich. Wenn wir Diversität wollen, brauchen wir engagierte Menschen und praxistaugliche Ansätze. Von TIM FROHWEIN

In der Hartplatzhelden-Kolumne kommen kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen. In der 32. Ausgabe diskutiert Soziologe Tim Frohwein die Komplexität der großen Ideale Vielfalt, Respekt und Toleranz im Amateurfußball.

Mit einem emotionalen Plädoyer verabschiedete sich Schmerzspieler und Sympathieträger Lars Bender vor einigen Wochen am Fernsehmikrofon vom Profifußball. "So eine Fußballmannschaft ist ein Sinnbild dafür, wie die Gesellschaft sein sollte. Einer ist für den anderen da, man steht füreinander ein. Völlig egal, wer da neben einem sitzt, wie er aussieht, was für eine Religion er hat, welche Ansichten oder was für einer Kultur er entspringt – zusammenstehen, nicht spalten lassen. Das ist die Botschaft, die ich senden möchte, und das ist das, was ich mitnehme aus meiner Karriere."

Ein wichtiges Statement. Und ein schönes Ideal, das es aber unter den Bedingungen des Leistungssports leichter hat, Realität zu werden. Wenn der Sport fast alles ist im Leben und der Erfolg der eigenen Fußballmannschaft beinahe ausschließlich darüber entscheidet, ob dieses Leben glücklich macht oder nicht, ist es einfacher, Vorurteile gegenüber Mit- und Gegenspielern über Bord zu werfen. Ressentiments lassen sich dann abtrainieren wie die paar Kilo Übergewicht nach dem Sommerurlaub.

Wenn aber, wie bei hunderttausenden Amateurkickern und -kickerinnen in Deutschland, sich das Leben vor allem außerhalb des Sports abspielt, wenn in diesem Leben so manches schiefläuft und man den Frust auf den Platz mitnimmt, lassen sich Vorurteile manchmal weniger gut unterdrücken. Dann lässt man seiner Abneigung gegenüber bestimmten Gruppen eher freien Lauf.

Vielfalt ist Normalität auf Deutschlands Amateurfußballplätzen. Keine andere Sportart versammelt so viele unterschiedliche Menschen unter ihrem Dach wie Fußball. Und das ist gut, so kommen Personen miteinander in Kontakt und bauen Beziehungen auf, die sich außerhalb des Fußballplatzes kaum begegnen.

Doch mit der Normalität der Vielfalt ist auch eine Komplexität verbunden. Ein ehemaliger Trainer von mir, ein Bosnier, sagte einmal in seiner Kabinenansprache vor einem Spiel gegen ein Team mit Türkeibezug zu uns: "Ich hoffe, dass der Schiedsrichter heute ein Deutscher ist. Deutsche Schiedsrichter pfeifen immer gegen Türken." Neben mir saßen zwei meiner türkischstämmigen Mitspieler.

Es gibt im Amateurfußball, eher als im Profifußball, Schiedsrichter, die Spieler aufgrund ihrer Herkunft anders behandeln als andere. Es gibt im Amateurfußball, eher als im Profifußball, Spieler, die aufgrund ihres familiären Hintergrunds und ihrer persönlichen Lebenssituation zu aggressiven Verhalten auf dem Platz neigen.

Weil das Leben außerhalb des Sports auf dem Amateurfußballplatz eine Rolle spielt, weil dort gesellschaftliche Ungleichheiten und Konflikte eine Bedeutung haben, ist und bleibt Vielfalt im Amateurfußball eine Herausforderung. Gut gemeinte Plädoyers reichen leider nicht aus, um sie zu meistern. Vielfalt im Amateurfußball muss gestaltet und gemanagt werden. Dafür braucht es praxistaugliche Ansätze und engagierte Menschen.

Genau über diese Fragen und mögliche Lösungsansätze werde ich am 22. Juli bei der nächsten Ausgabe der Veranstaltungsreihe „Mikrokosmos Amateurfußball“ sprechen. Neben anderen Gästen wird auch der HARTPLATZHELDEN- Kolumnist Younis Kamil dabei sein. Hier kann man sich anmelden.

Zum Autor:
Tim Frohwein, Jahrgang 1983, ist Soziologe und setzt sich seit über einem Jahrzehnt wissenschaftlich und journalistisch mit dem Amateurfußball auseinander. Er unterrichtet an der Hochschule München, ist Redaktionsmitglied beim Zeitspiel-Magazin und organisiert die Veranstaltungsreihe Mikrokosmos Amateurfußball. Seit bald zwanzig Jahren kickt er in den Herrenmannschaften des FC Dreistern München.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

#31: DFB und Amateure: »Es braucht eine Graswurzelbewegung!« von Gerd Thomas
#30: DFB-Präsident: »Warum nicht eine Urwahl aller 24.500 Vereine?« von Gerd Thomas
#29: Digitalisierung im Verein: »Manche Apps werden bleiben!« von Tim Frohwein
#28: Datenschutz: »Das muss jeder Amateurverein beachten von Fabian Reinholz
#27: "Generation Corona": »Kontrollierte Öffnung für Jugend-Sport jetzt!« von Gerd Thomas
#26: Türkgücü München: Streitgespräch über einen Verein, der polarisiert von Michael Franke & Tim Frohwein
#25: Pädagogik: »Wird man zum besseren Menschen, wenn man Fußball spielt?« von Younis Kamil
#24: Vereinsstruktur:»Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
#23: Berliner Fußball-Verband: »Es geht nicht nur ums Geschlecht!« von Gerd Thomas
#22: Vereinsstruktur: »Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
#21: »eSport? Wer Nachwuchs fördern will, sollte sich Teqball-Platte zulegen« von Tim Frohwein
#20: Fußball und Corona: »Was ich vermisse, ist das Einmischen des DFB« von Ute Groth
#19: Rassismus: »Sie riefen „Deck den Weißen“ – das tat mir weh!« von Younis Kamil
#18: Sportpolitik: »Neue Köpfe braucht der Fußball« von Gerd Thomas
#17: Kommunalpolitik: »Willkommen in der Sportstadt "Schilda" München« von Michael Franke
#16: Sportwissenschaft: »Wünsche mir Wissensspeicher für Amateurfußball« von Tim Frohwein
#15 »Die Politik muss das Fußballverbot für Kinder wieder aufheben!« von allen
#14 Sportpolitik: »Amateure, organisiert Euch!« von Gerd Thomas
#13 Sozialverhalten im Kinderfußball: »Mannschaft ist unser Spiegelbild« von Younis Kamil
#12 Gewalt im Fußball: »Wäre schön, wenn die Politik begreift« von Gerd Thomas
#11 »Wer das Hauptamt fördert, fördert auch das Ehrenamt« von Ute Groth
#10 Neue DFL-Taskforce: »Wir Amateure sind denen egal« von Michael Franke
#9 Kinderfußball: »Es sollen wirklich alle spielen!« von Younis Kamil
#8 »Duschen nach dem Spiel ist jetzt gefährlicher als nach dem Training« von Gerd Thomas
#7 Integration: »Flüchtlingsmannschaften machen mich skeptisch« von Michael Franke
#6 Pro Jugendarbeit: »Lieber kauft man ein neues Herrenteam zusammen« von Gerd Thomas
#5 Stellenwert des Amateurfußballs: »Großer Konkurrent ist die Kultur« von Michael Franke
#4 »Der Plan mit dem Neustart ist nicht durchdacht« von Ute Groth
#3 DFB: Gegen das System Pattex von Gerd Thomas
#2 Kindern die Angst nehmen: »Fehler sind etwas Tolles« von Younis Kamil
#1 »Corona hat die Leute vom Fußball entwöhnt« von Michael Franke

Aufrufe: 023.6.2021, 11:30 Uhr
Tim FrohweinAutor