2024-04-25T10:27:22.981Z

Kommentar
– Foto: IMAGO / Pressefoto Baumann

"Generation Corona": »Kontrollierte Öffnung für Jugend-Sport jetzt!«

Hartplatzhelden-Kolumne #27: Wir fordern die kontrollierte Öffnung für alle Jugendlichen. Die Vereine werden verantwortungsvoll damit umgehen - und wirksam helfen, schlimmen Entwicklungen zu vorzubeugen. Ein Plädoyer von GERD THOMAS +++ mit Video der DJK SF Nette

In der Hartplatzhelden-Kolumne kommen kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen. In der 27. Ausgabe ruft Gerd Thomas die Politik dazu auf, endlich Öffnungen für den Sport in die Wege zu leiten.

Vor zwei Wochen habe ich einen Brief an den Berliner Bürgermeister und seinen Sportsenator geschrieben und darin eine Diskussion über die Bedingungen der jungen Menschen angeregt habe. In allen Bundesländern können Kinder bis 14 Jahre Sport treiben, in Berlin nur bis 12. Eine Antwort habe ich nicht bekommen, aber natürlich haben die Politiker zurzeit anderes zu tun. Sie müssen sehen, dass die Bürgerinnen und Bürger ob des Corona-Schlingerkurses und dubioser Geschäftspraktiken in ihrer Zunft nicht endgültig das Vertrauen in die Politik verlieren. Denn dummerweise laufen wir in Berlin auf ein Superwahljahr zu. Immerhin gab der Staatssekretär für Sport der Taskforce des Berliner Fußball-Verbandes, in der ich mitwirken darf, eine Erläuterung. Er erklärte, Berlin hätte vor Weihnachten im Gegensatz zu anderen Bundesländern Sport bis 12 Jahre erlaubt. In dieser „Analogie“ wolle man sich auch heute bewegen, auch wenn man das einzige Bundesland sei. Die Gesundheitsverwaltung sei nicht bereit zu mehr Öffnung.


"Sport ist Teil der Lösung und nicht Teil des Problems!" Das Video der DJK SF Nette (Dortmund) fand überregional großen Zuspruch

Genau diese Gesundheitsverwaltung ist allerdings auch für psychische Schäden zuständig. Und genau diese nehmen nicht zuletzt bei jungen Menschen zu. Die kürzlich veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung lässt sich an Deutlichkeit kaum überbieten. Nur 7,7 % der befragten 15- bis 25-Jährigen stimmen der Behauptung zu, die Sorgen von jungen Menschen würden in der Politik gehört. Nur jede*r Dreizehnte, das ist nichts anderes als ein Offenbarungseid für die Verantwortlichen in den Parteien! Auch zum Sport gab es Fragen. Es droht eine hohe so genannte Dropout-Quote, wir werden also viele junge Menschen in den Vereinen verlieren.

Während die zuständige Berliner Senatorin gern die gesundheitliche Apokalypse beschwört, gleichzeitig wieder Menschen nach Mallorca jetten und sehr viele Unternehmen immer noch glauben, im Homeoffice würden sich die Menschen auf die faule Haut legen, wird über die Jugendlichen und jungen Erwachsenen so gut wie gar nicht gesprochen. Wenn doch, dann werden sie gern für den Anstieg der Fallzahlen verantwortlich gemacht und als rücksichtslose Party-People gebrandmarkt. Mit meinen Beobachtungen deckt sich das nicht, doch selbst ihren Sport dürfen sie als Ausgleich zum nervtötenden Digital-Unterricht durch überforderte Lehrkräfte und Professoren nicht ausüben. Warum eigentlich nicht?

Ich wünsche mir, auch den Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu ermöglichen, sich legal unter der Aufsicht ihrer Coaches zu bewegen. Sie klettern nun wieder „illegal“ über die Zäune, werden in die Parks und auf die Bolzplätze getrieben, wo Auseinandersetzungen mit der Polizei und dem Ordnungsamt drohen. Ich sehe schon vor meinem geistigen Auge überfüllte Grünanlagen und Käfige zu Ostern. Wer wird einen 5-Tage-Lockdown schon ernst nehmen, wenn nicht einmal der Bundesgesundheitsminister sich an Regeln hält und sich mitten in der Pandemie persönlich mit Parteispendern trifft? Sinnvoll wäre es gewesen, die Sportanlagen auch für die jungen Menschen zu öffnen, so dass sie kontrolliert unter Obhut der Vereine Sport treiben können.

Die Sozialarbeit legt ein Augenmerk auf die Altersgruppe von 14 bis 27, in dieser prägenden Phase werden wesentliche Grundlagen für das weitere Leben gelegt. Seit Monaten sind diese jungen Menschen in der Hauptstadt ohne sportlichen Ausgleich, während im ganz Berlin umschließenden Brandenburg sportlich einiges möglich ist. Wir hören von vielen Unverständnis, andere sind längst in der Antriebslosigkeit angekommen. Arbeitsmarktexperten und Sozialmedizinerinnen schlagen Alarm, denn nicht nur körperlich, auch psychisch drohen Schäden. Viele junge Menschen leiden massiv unter Bewegungs- und Kontaktmangel, nicht wenige befinden sich in psychologischer Betreuung, es kursiert schon der Begriff „Generation Corona“. Und zu allem Überfluss bezahlen sie auch noch einen hohen Preis, denn viele von ihnen werden ein oder gar zwei Jahre später in die Arbeitswelt eintreten, also auch später Geld für die Altersvorsorge einzahlen können.

Der Fußball, aber auch andere Sportarten, könnten helfen, die Einschränkungen in dieser Gruppe der oft noch nicht in den „Erwerbs-, Bildungs- und Sozialsystemen“ Angekommenen zu verringern und den für die ganze Gesellschaft (teuren) Langzeitfolgen entgegenzusteuern.

Wir Vereinsverantwortliche nehmen die Pandemie nicht auf die leichte Schulter, aber uns darf das Schicksal der jungen Menschen nicht egal sein. Auch wenn auf die vielen Ehrenamtlichen noch mehr Arbeit zukommen wird: Wir Erwachsenen haben die Pflicht, unterstützend einzugreifen! Und wir wollen diese Aufgabe im Sinne unserer jungen Mitglieder gerne wahrnehmen. Besonders im Fokus stehen die finanziell benachteiligten jungen Menschen, von denen es in unseren Vereinen viele gibt.

Gleichwohl wäre es töricht, die leidenschaftlichen Ehrenamtlichen die Probleme alleine ausbaden zu lassen. Wir müssen uns auch um die Unterstützung der Jugendleitungen und Coaches kümmern, nicht nur um die Rettung großer Konzerne. Wir haben einige Ideen, wie wir Jugendlichen und junge Erwachsenen mit Hilfe des Fußballs helfen können. Wir würden verantwortungsvoll mit der Pandemie umgehen. Aber man muss uns auch einmal anhören.

Beziehen Sie die Praktiker*innen aus den Vereinen mit ein. Wir würden der Politik gerne erläutern, warum eine kontrollierte Öffnung für die Jugend und die jungen Erwachsenen Vorteile hätte und warum es dem Wohl der gesamten Bevölkerung entgegenkommt. Reden Sie doch endlich mit uns! Ein Tipp von der Basis: Nicht zuletzt im Wahlkampf wäre das eine gute Idee. Nur am Rande sei erwähnt, dass der Berliner Landessportbund 672.000 Mitglieder vertritt. Die meisten von ihnen dürfen wählen, ihr Freundeskreis und ihre Verwandtschaft auch.

Zum Autor:
Gerd Thomas, Jahrgang 1960, ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. Der Verein pflegt den reinen Amateurgedanken, stärkt das völkerverbindende Element des Fußballs und ist seit 2007 Integrationsstützpunkt der Sportjugend. Auf den Trikots aller Mannschaften steht keine Werbung, sondern der Slogan: „No Racism!“. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

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#25: Pädagogik: »Wird man zum besseren Menschen, wenn man Fußball spielt?« von Younis Kamil
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#23: Berliner Fußball-Verband: »Es geht nicht nur ums Geschlecht!« von Gerd Thomas
#22: Vereinsstruktur: »Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
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#18: Sportpolitik: »Neue Köpfe braucht der Fußball« von Gerd Thomas
#17: Kommunalpolitik: »Willkommen in der Sportstadt "Schilda" München« von Michael Franke
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Aufrufe: 024.3.2021, 14:45 Uhr
Gerd ThomasAutor