2024-04-25T14:35:39.956Z

Kommentar
– Foto: IMAGO / Matthias Koch

Berliner Fußball-Verband: »Es geht nicht nur ums Geschlecht!«

Hartplatzhelden-Kolumne #23: Revolution in Berlin! Dort kandidiert die ehemalige Moderatorin Gaby Papenburg. Sie wäre die erste Fußballpräsidentin Deutschlands. Ich unterstütze sie nicht nur, weil sie eine Frau ist. Von GERD THOMAS

In der Hartplatzhelden-Kolumne kommen kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen. In der 23. Ausgabe erläutert Gerd Thomas, Integrationspreisträger und 1. Vorsitzender des FC Internationale Berlin, warum er "neue Köpfe" auf allen Ebenen des Verbandes als so wichtig erachtet.

In Berliner Fußball bahnt sich eine kleine Revolution an. Die ehemalige TV-Sportmoderatorin Gaby Papenburg kandidiert für das Amt der Präsidentin. Sie wäre die erste Frau an der Spitze eines Landes- oder Bundesverbands. Im Jahr 2021! Unterstützt wird sie von einem Team aus verschiedenen Bereichen, auch ich gehöre dazu.

Der Grund für den angestrebten Wechsel ist nicht in erster Linie das Geschlecht. Vielmehr geht es um eine grundsätzliche Veränderung der Verbandskultur. Wobei man sagen muss, dass Männer in den meisten Verbänden nicht gerade beweisen, stärker oder kompetenter zu sein.

Wichtiger ist etwas anderes: Gaby Papenburg bringt Fähigkeiten mit, die kaum ein Verbandsfunktionär für sich reklamieren kann. Sie beherrscht Kommunikation und Moderation, sie setzt auf Partizipation, also die Beteiligung von Vereinen. Nicht erst die Corona-Krise zeigt, dass es auf Kenntnisse in genau diesen Bereichen ankommt. Die Außendarstellung vieler Fußballverbände, besonders die des DFB, ist verheerend. Skandale, Missgunst, Nebelkerzen und sogar gegenseitige Bespitzelung beherrschen die Schlagzeilen. Um Fußball geht es sowohl in Berlin als auch in Frankfurt nur noch am Rande. Nur zum Verständnis: Kommunikation bedeutet nicht, von einer PR-Agentur einen Wikipedia-Eintrag für 20.000 Euro platzieren zu lassen.

Typisch Fußball! Schon in den ersten Tagen nach der Ankündigung ihrer Kandidatur muss sich Gaby Papenburg fragen lassen, ob sie etwas von Fußball verstehe. Wohlgemerkt, die Frage richtet sich an eine Journalistin, die über viele Jahre Profifußballer wie Lothar Matthäus, Rudi Völler, Mario Basler oder Trainer wie Franz Beckenbauer und Otto Rehhagel begleitete. Niemand würde das Steffen Simon oder Jörg Wontorra fragen, obwohl beide ebenfalls über keine Fußballkarriere verfügen.

Ein anderer Vorwurf lautet, sie habe nie einen Verein geleitet. Nun, Christian Seifert, einer der erfolgreichsten deutsche Sportmanager war zuvor bei Karstadt-Quelle. Und die beiden letzten Präsidenten des Landessportbundes Berlin kommen aus der Politik und haben ebenfalls nie einen Verein geleitet. Gestört hat das bisher niemanden. Warum auch? Schließlich geht es um die Kompetenz zur Führung. Hierfür braucht es gerade in einer Stadt wie Berlin heute mehr als ein bisschen Stallgeruch aus einem Reinickendorfer Verein, wie ihn der Amtsinhaber beim BFV mitbringt, der Polizist Bernd Schultz.

Unter ihm ist der Berliner Fußball-Verband in einer Dauerkrise. Mangelnder Ernst beim Kinderschutz, der Abgang von fünf Vizepräsidenten innerhalb eines Jahres, Durchsetzungsschwäche gegenüber DFB und dem Regionalverband NOFV sowie eine katastrophale sportliche Infrastruktur, weil der Einfluss auf Politik und Behörden fehlt – der Berliner Fußball sitzt in der Hauptstadt am Katzentisch. Vereine fühlen sich schlecht vertreten, zeigten im Gegensatz zur Verbandsspitze aber, dass sich mit Druck (Demo vor dem Rathaus) einiges durchsetzen lässt. Doch in sechzehn Jahren Schultz haben sich viele Dinge eingeschliffen, unbequeme Positionen sind auch künftig nicht zu erwarten. Veränderung an der Verbandsspitze könnte also eine Riesenchance für die Berliner Fußballerinnen und Fußballer sein. Das Motto der Herausforderin lautet: „Gestalten statt verwalten.“ Vor allem möchte sie die Vereine auf dem Weg in die Zukunft mitnehmen, denn um die geht es schließlich. Das geht leider oft vergessen.

Auch in Frankfurt dürften viele Menschen gespannt auf die Hauptstadt schauen. Nachdem engagierte Berliner Vereine auf Regionalkonferenzen mehr Mitspracherecht durchgesetzt hatten, startete auf ihre Initiative vor einigen Monaten auch die AG Zukunft, die sich unter anderem mit Compliance-Fragen befasst, also der Einhaltung von Regeln in Form von Recht und Gesetz. Auch wenn das vom letzten Verbandstag beauftragte BFV-Präsidium sich viel Zeit bis zum Start ließ, diskutieren fast 150 Menschen aus Vereinen, Verband, Wirtschaft und öffentlichem Leben in dreizehn Arbeitsgruppen über den künftigen Weg des Berliner Fußballs. Das Ziel ist – typisch Berlin – nicht gerade bescheiden. Man will perspektivisch der modernste Landesverband Deutschlands werden. Kardinalsantrag ist übrigens eine Amtszeitbegrenzung für Präsidentenposten, wie ich sie jüngst forderte.



Nicht nur dieser Antrag, sondern vor allem die Tatsache, dass mehr als eine Person für das Präsidentenamt antritt, macht einige langjährige Funktionäre quer durch die Republik nervös. Könnte in Berlin etwas losgetreten werden, das auch in anderen Ländern und beim DFB Schule macht? Unter den Landespräsidenten gibt es einige, die sich trotz desaströser Bilanz ein Leben ohne Amt kaum vorstellen wollen. Das Sprichwort „Neue Besen kehren gut“ hört man nicht gern, Erfahrung, etwa im Umgang mit Satzungen, trumpft alles in der Welt der Fußballkönige.

Gaby Papenburg kontert dies mit dem Satz: „Die Satzungen müssen sich nach den Vereinen richten, nicht umgekehrt.“ Das ist so wahr wie die bei erfolgreichen Unternehmen bekannte Erkenntnis, dass frische Leute an der Spitze für den Erfolg nötig sind.

Nicht weniger sollten die Delegierten der Vereine erwarten. In diesem Jahr wird der neue Bundestag gewählt, in Berlin zudem noch der Landtag und die Bezirksparlamente. Der Verbandstag des Berliner Fußball-Verbandes ist für den 26. Juni terminiert, die politischen Wahlen stehen drei Monate später an. Drei Monate, in denen ein neues Präsidium bei den Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien vorstellig werden kann, um die Forderungen des Fußballs – vor allem die der Amateure – darzulegen.

Eine neue Verbandsspitze böte die Chance, die eingetretenen Pfade zu verlassen und gegenüber der Politik selbstbewusster und kreativer aufzutreten. Der Raum und die finanziellen Ressourcen in einer Großstadt sind umkämpft, in der Pandemie umso mehr. Da braucht es unverbrauchte Menschen, die mit klarem Ziel und starker Hand für die Vereine und deren Sportlerinnen und Sportler kämpfen. Die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Wir sollten sie nutzen. Vielleicht würde eine Präsidentin aus Berlin zudem frischen Wind in die Otto-Fleck-Schneise (= DFB-Zentrale in Frankfurt/Main; Anm. d. Red.) bringen. Nötig wäre es.

Zum Autor:
Gerd Thomas, Jahrgang 1960, ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. Der Verein pflegt den reinen Amateurgedanken, stärkt das völkerverbindende Element des Fußballs und ist seit 2007 Integrationsstützpunkt der Sportjugend. Auf den Trikots aller Mannschaften steht keine Werbung, sondern der Slogan: „No Racism!“. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.
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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

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Aufrufe: 013.2.2021, 10:00 Uhr
Gerd ThomasAutor