Krise des Amateurfußballs: »Früher war nicht alles besser!«

Fünf Anregungen habe ich anzubieten:

• Wir müssen davon wegkommen, um jeden Preis zu gewinnen!
• Wir müssen mehr aufeinander achtgeben!
• Wir müssen einander wieder mehr respektieren!
• Wir müssen mehr miteinander statt gegeneinander wirken!
• Wir müssen Fakten anerkennen, etwa demografische Entwicklungen!

Warme Worte? Vielleicht. Sind sie deswegen falsch? Der Amateurfußball sollte versuchen, seine Krise selbst zu managen. Doch auch die Verbände müssen sich der Entwicklung stellen, vor allem Kommunikatoren sein und strategisch denken.

Die Aufgaben lauten:

• Daten und Fakten analysieren und Prozesse moderieren
• Vereine zu solidarischem Umgang untereinander auffordern
• Anordnungen von oben gegen Mitverantwortung und Partizipation tauschen
• Einsicht und Belohnungssysteme anstelle von Sanktionen entwickeln
• Runde Tische zur Frage, wie wir eigentlich miteinander umgehen wollen, initiieren
• Vor allem aber die Chancen des Fußballs erkennen und nutzen

Strukturell ist der DFB in der Verantwortung. Finanziell ist von ihm nicht viel zu erwarten. Wer darauf gehofft hatte, der neue TV-Grundlagenvertrag würde Geld in die Kasse der Amateure spülen, ist ernüchtert. Zwar hat der DFB-Präsident Bernd Neuendorf ein deutlich besseres Ergebnis als seine Vorgänger erzielt, aber das Geld wird für die Finanzierung und den Unterhalt der neuen Akademie gebraucht. Seine Vorgänger im Präsidium haben einen Sanierungsfall hinterlassen.

Neuendorf hat angekündigt, einen Amateurkongress abzuhalten, und tatsächlich liefert er. Vom 22. bis 24. September 2023 wird der DFB-Campus in Frankfurt am Main ein Wochenende lang der Basis für den 4. Amateurfußball-Kongress zur Verfügung stehen. Dabei sollen "Führungskräfte des DFB, der Landesverbände, Fußballkreise und Amateurvereine zusammenkommen, um gemeinsam Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen zur Stärkung des Vereinsfußballs zu diskutieren." Meine Bitte: Keine Show-Veranstaltung, sondern eine ehrliche und konstruktive Debatte über die schwierige Lage und über realistische Lösungsansätze.

Gut wäre es, wenn bei diesem Termin in Frankfurt Ideen gesammelt und Vereinbarungen getroffen würden, etwa wie man gemeinsam gegen Gewalt und Diskriminierung vorgeht und mehr gegenseitigen Respekt zeigt. Wir sollten auch über Veränderungen der Spielregeln auf dem Feld nachdenken und von anderen Sportarten lernen. Zeitstrafen, sofortige Folgen für Rudelbildung oder Schiedsrichterbeschimpfung oder andere Wechselkontingente könnten hilfreich sein. Wir sollten nicht auf uns sitzen lassen, dass wir permanent in die Gewaltecke gestellt werden, stattdessen positive Beispiele liefern.

Ich arbeite gerade mit sehr kompetenten Menschen an einem Konzept, wie wir den Umgang untereinander zum Positiven verändern können. Es geht vor allem darum:

• wieder mehr Spaß miteinander haben
• mehr Respekt, Solidarität und Verständnis füreinander walten lassen
• die Vereine fragen, wo eigentlich der Schuh drückt
• etwas Druck aus dem Kessel zu nehmen
• das Ehrenamt zu entlasten

So viel kann ich schon sagen: Es wird nicht darauf hinauslaufen, dass wir vor allem noch mehr Transparente aufhängen, auf denen dann erklärt wird, wie lieb wir uns doch alle haben. Wir brauchen eine ehrliche Bestandsaufnahme, Selbstkritik und die Bereitschaft, solidarischer miteinander umzugehen. Wir brauchen vor allem Input von Vorständen und Coaches, woran es hapert, wo wir ihres Erachtens ansetzen müssen, wie Win-Win-Situationen entstehen und was Gelingens-Faktoren sein könnten. Wir müssen die Vereine und deren Vorstände, Coaches und Jugendleitungen ernstnehmen, sie in die Diskussion kriegen. Das Ehrenamtsmodell der 70er oder 80er wird nicht mehr funktionieren. Das wissen alle, also blicken wir nach vorne. Ohnehin war früher nicht alles besser.

Ich sehe zwei Ereignisse, die wir zwingend für die Diskussion nutzen müssen: den DFB-Amateurkongress im September und die Europameisterschaft 2024. Wir sollten versuchen, gerade die Euro zu nutzen, mehr Gemeinsinn zu erzielen. Dass dieser über die Ergebnisse der deutschen Elf zustande kommt, ist zumindest nicht verlässlich. Das Motto 2006 hieß „Die Welt zu Gast bei Freunden“. 2024 lautet es etwas banal „United by football“. Wie wäre es mit dem Zusatz „Mehr Solidarität wagen!“?

Es gibt also Grund zum Optimismus. Der Amateurfußball lebt und hat noch immer sehr viel Kraft. Zum Schluss eine gute Nachricht: Es treten wieder mehr Kinder in Vereine ein.

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Über den Autor:
Gerd Thomas, Jahrgang 1960, ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. Der Verein pflegt den reinen Amateurgedanken, stärkt das völkerverbindende Element des Fußballs und ist seit 2007 Integrationsstützpunkt der Sportjugend. Auf den Trikots aller Mannschaften steht keine Werbung, sondern der Slogan: „No Racism!“. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus. 2022 wurde der Club auf der Fachmesse Spobis mit dem "Award für Nachhaltigkeit im Sport" geehrt.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

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