Funino: »Es geht sehr wohl um Gewinnen und Verlieren!«

Hartplatzhelden-Kolumne #74: Über den neuen Kinderfußball ist ein Streit entbrannt. Zu Unrecht, schreibt TIM FROHWEIN, die neuen Spielformen fördern Talent und Siegeswillen. Aber es gibt auch ein paar Geburtsfehler.

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Mit drei anderen Vätern trainiere ich die F-Jugend meines Heimatvereins im Münchner Osten. F-Jugendliche, das sind Kinder im Alter von 6 bis 8. Seit Kurzem gehen sie in die Schule, besuchen dort die 1. oder 2. Klasse. Viele von ihnen sind Fans der Lego-Serie Ninjago. Beim Essen sagen sie zu Pommes nie nein.

– Foto: IMAGO / Hanno Bode

Über die Art, wie diese Heranwachsenden Fußball spielen sollen, ist in den letzten Wochen ein politischer Streit entbrannt. Tatsächlich probiert der DFB aktuell neue Spielformen aus, die ab der Saison 2024/2025 verpflichtend und flächendeckend kommen sollen. Grob umfassen die Neuerungen:

Kleinere Teams (z.B. 3 vs. 3 oder 4 vs. 4), damit kein Kind sich aus dem Spiel rausnehmen kann, mehr Ballaktionen hat und sich weiterentwickelt.
Das Spielen auf je zwei, also vier, Minitore („Funino“, ab der F-Jugend kann man je nach Mannschaftsstärke aber stattdessen auch auf zwei Kleinfeldtore wechseln).
Keine Meisterschaftsrunden mehr, stattdessen sind Spielenachmittage und sogenannte Festivals mit mehreren Mannschaften und Spielfeldern vorgesehen, die Spielzeit beträgt pro Partie zwischen 10 bis 15 Minuten.
Keine Tabellen mehr, Ergebnisse werden nicht festgehalten.

Dass es trotz letztgenanntem Punkt bei den Festivals nach wie vor bei jedem Spiel ums Gewinnen geht, das hatte Hans-Joachim Watzke in jener „feucht-fröhlichen Runde“, in der er sich laut Rudi Völler Anfang September auf dem Unternehmertag in Essen befand, wohl vergessen: „Unfassbar“, sagte er dort, sei es, dass das Leistungsprinzip abgeschafft werde, dass Kinder nicht mehr aus Niederlagen lernen könnten. Da fühlten sich natürlich diejenigen bestätigt, die den Untergang der Leistungsgesellschaft in Deutschland gekommen sehen. Die DFB-Pläne für den Nachwuchs erhitzten die Gemüter entsprechend weit über Fußballkreise hinaus.

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Als F-Jugend-Trainer, der Anfang Oktober mit seinem Verein ein erstes Festival im 5 vs. 5-Modus ausgetragen hat, möchte ich an dieser Stelle gerne ein paar Erfahrungen teilen. Als Betreuerteam waren wir an jenem Tag mehrmals mit Spielerinnen und Spielern konfrontiert, die nach Niederlagen oder Gegentoren in Tränen aufgelöst das Handtuch werfen wollten und die wir wieder aufbauen mussten. Unser erster Sieg nach den ersten zwei verlorenen Partien wurde gefeiert wie ein Weltmeistertitel.

Jedes Kind, das wir ausgewechselt haben – wir hatten zwei Ersatzspieler, die wir fliegend wieder in Spiel bringen konnten – wollte unbedingt sofort wieder auf den Platz und rein ins Geschehen. Dass es keine Tabelle gab – geschenkt! Keines unserer Kinder hat am Ende danach gefragt.

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Zugegebenermaßen, der neue Nachwuchsfußball hat noch seine Geburtsfehler. Um die drei Festival-Spielfelder mitsamt abgegrenztem Zuschauerbereich aufzubauen, haben wir zu viert länger als eine halbe Stunde gebraucht. Alleine wäre der Aufbau nahezu unmöglich gewesen. Und dass die Kinder während des Spiels selbst diskutieren und dann entscheiden sollen, wer den Einwurf bekommt oder ob nun ein Foul im Spiel war, klappte nicht gut. Mit der Abschaffung des Leistungsprinzips hat das aber überhaupt nichts zu tun.

Der neue Nachwuchsfußball vermittelt also sehr wohl einige – unzweifelhaft wichtige – Werte und Erfahrungen (Umgang mit Niederlagen, Siegeswillen). Da muss sich keiner Sorgen machen.

Sorgen muss man sich eher um die anderen Werte machen, die bisweilen auf Fußballplätzen zum Vorschein kommen. Zum Beispiel, dass – wie bei unserem Spieltag geschehen – ein erwachsener Zuschauer eine Siebenjährige spöttisch nachahmt, als sie nach einem festen Schuss ins Gesicht zu weinen beginnt. Hier passt das Wort „unfassbar“ viel besser.

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Zum Autor:
Tim Frohwein, Jahrgang 1983, ist Soziologe und setzt sich seit über einem Jahrzehnt wissenschaftlich und journalistisch mit dem Amateurfußball auseinander. Er unterrichtet an der Hochschule München, ist Redaktionsmitglied beim Zeitspiel-Magazin und organisiert die Veranstaltungsreihe Mikrokosmos Amateurfußball. Seit bald zwanzig Jahren kickt er in den Herrenmannschaften des FC Dreistern München.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.