2024-05-02T16:12:49.858Z

Kommentar
– Foto: Imago Images

Vielfalt im Fußball: Darum muss die Politik Vereine mehr unterstützen

Hartplatzhelden-Kolumne # 61: Amateurvereine brauchen Unterstützung. Sie stärken die Demokratie, weil sie Vielfalt ermöglichen. Auch die Hardliner bei uns müssen erkennen, dass es gut ist, wenn nicht mehr nur Meier, Schmidt und Krause bei uns kicken. Von GERD THOMAS

Spieler mit deutscher Nationalität sind in der Bundesliga längst in Unterzahl. Beim Serienmeister sind laut transfermarkt nur 6 ausschließlich deutsche Spieler, darunter 3 Torhüter. 6 weitere haben zwei Nationalitäten, etwa Jamal Musiala (England) und Serge Gnabry (Elfenbeinküste). 12 sind nicht-deutscher Herkunft, darunter Matthijs de Ligt, Sadio Mané und Alphonso Davies. Bei Leverkusen sind es gar 19 Spieler aus anderen Ländern, nur 4 mit ausschließlich deutschem Hintergrund. Der Profifußball ist eine der internationalsten Sportarten überhaupt. Für ein gutes Abschneiden wird nicht auf die Herkunft geachtet, es geht nur um die potentielle Leistung und auch globale Märkte.

In den Ballungsräumen ist auch der Amateurfußball seit Jahren höchst vielfältig. In Berlin haben wir viele Vereine mit Wurzeln in Kroatien, Polen, Syrien, Griechenland oder Italien. Die vielen türkisch geprägten Vereine verfügen über eine ganz eigene Vielfalt, die sich auch an
Regionen und Glaubensrichtungen festmacht. Selbst in Traditionsvereinen geht es inzwischen bunt zu. Beim letzten Spiel von Deutschlands ältestem Fußballverein, dem BFC Germania 88, waren mit großer Wahrscheinlichkeit fast alle Akteure in Berlin geboren. Allerdings war nur einer mit einem klassischen deutschen Nachnamen im Kader.

Nicht nur in Berlin, Frankfurt, Stuttgart oder dem Ruhrgebiet müssen sich die Vereine den unbeständigen Gegebenheiten anpassen. Das heißt auch, sich offener gegenüber Vielfalt zu zeigen. Noch gibt es in Berlin viele Vereine, in denen fast nur Menschen mit Namen wie Meier, Müller, Schulze oder Krause in der Startelf spielen. Doch kommen mittlerweile mehr als 50 Prozent der Kinder aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte, Tendenz steigend. Der volatile Wohnungsmarkt wirbelt die Stadt und die Ethnien durcheinander. Künftig wird erfolgreich sein, wer sich divers, tolerant und weltoffen aufstellt.

Beim FC Internationale haben wir Menschen mit Wurzeln in mehr als siebzig Nationen. Zu Problemen führte das bisher nicht. Vielleicht, weil wir uns offensiv gegen Rassismus und andere Diskriminierungen stellen. Natürlich läuft nicht alles reibungslos. Aber wenn man sich Mühe gibt, Meinungsverschiedenheiten aufzuarbeiten, ist viel gewonnen. Es gibt für alle Mitglieder Sinn, sich auf einen respektvollen Umgang zu einigen. Sportlich sowieso, denn Teams ohne Stress untereinander dürften im Vorteil sein.

Krieg und Hunger in der Welt treiben neue Menschen ins reiche Deutschland. Viele unserer Trainerinnen und Trainer, aber auch unserer Unparteiischen kommen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte, aus Afrika, Asien oder Südamerika. Die meisten sind in Berlin geboren, bringen dennoch unterschiedliche Traditionen und Betrachtungsweisen mit. So ist es in einer Weltmetropole, in der es tatsächlich Menschen jeder Nationalität gibt. Wir müssen sehen, dass dieser Thermomix eine konstruktive Mischung hervorbringt. Wir müssen miteinander auskommen, voneinander lernen, gemeinsam die Stadt und den Fußball gestalten. Die Politik stellt sich die Aufgabe der Amateurvereine viel zu leicht vor. Es funktioniert nicht, mitten in einer laufenden Saison in ein Team mal eben fünf Geflüchtete zu integrieren, die oft weder Deutsch noch Englisch sprechen. Die Trainer legen vor der Saison ihren Kader fest, den man nicht einfach von 25 auf 30 erhöhen kann, ohne in Probleme mit
den Spielern zu kommen, die manchmal seit vielen Jahren im Club sind.


Und wenn ein Verein wie viele in der Hauptstadt unter katastrophalem Platzmangel, einer dysfunktionalen Verwaltung und völlig verfehlten Sportpolitik leidet, kann man auch nicht schnell mal zwanzig Kinder zusätzlich aufnehmen, denn es stehen schon hunderte auf der Warteliste, die keinen Platz finden. Es wäre wünschenswert, wenn die Sportverbände diesbezüglich viel lauter würden. In Berlin könnte sich das als Wahlkampfthema eignen.

Der Vereinsfußball übernimmt wie keine andere Sportart für viele die Aufgabe der Teilhabe am Leben. Er kommt dabei häufiger an seine Grenzen, als man sich das von außen vorstellt. Natürlich kann unser Sport als völkerverbindende Institution wirken und gerade junge Menschen in ihrer Persönlichkeit stärken. Auch auf diese Weise kann er die Demokratie stabilisieren. Doch braucht er dafür viel mehr Unterstützung als bisher.

Wenn man sich die letzten Umfragewerte zum Vertrauen in die Demokratie in Deutschland ansieht, wäre das nicht die schlechteste Investition. Doch Fußballvereine werden für die immer schwieriger werdende Jugendarbeit nicht gefördert. Dabei ist die viel zitierte Zivilgesellschaft im Sport längst an der Belastungsgrenze, braucht dringend Beistand und bessere Bedingungen. Vorständen, die sich permanent um gammelige Kabinen, nicht funktionierende Flutlichtanlagen oder fehlende Plätze kümmern müssen, fehlt die Energie, wenn sie in nervtötende Auseinandersetzungen mit Behörden fließt.

Eine besondere Herausforderung ist die Vielfalt des Ehrenamts. Wie schaffen wir es, mehr Diversität in die verantwortlichen Positionen zu bekommen? Am ehesten gelingt das bei den Trainern, wobei man sich in der Bundesliga schon mehr Trainer aus dem nicht deutschsprachigen Raum erhoffen dürfte. Schwieriger wird es bei klassischen Vereinsämtern wie Schatzmeister oder Vorsitzender. Hier müssen wir noch mehr aufeinander zuzugehen, Augenhöhe herstellen, was leichter gesagt als umgesetzt ist. Dennoch ist klar: Die Zukunft des deutschen Fußballs wird internationaler als ohnehin schon. Mögen sich viele immer noch dagegen sträuben. Der Trend wird früher oder später auch sie erreichen. Und irgendwann werden auch die Hardliner merken, dass Diversität ein Wettbewerbsvorteil ist.

Zum Autor:
Gerd Thomas, Jahrgang 1960, ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. Der Verein pflegt den reinen Amateurgedanken, stärkt das völkerverbindende Element des Fußballs und ist seit 2007 Integrationsstützpunkt der Sportjugend. Auf den Trikots aller Mannschaften steht keine Werbung, sondern der Slogan: „No Racism!“. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus. 2022 wurde der Club auf der Fachmesse Spobis mit dem "Award für Nachhaltigkeit im Sport" geehrt.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

#60: Alkohol & Amateurfußball: Eine Droge als Teil unserer Vereinskultur? von Tim Frohwein
#59: Katar-WM: Dürfen wir unseren Kinder diese besonderen Fußball-Momente verwehren? von Michael Franke
#58: Katar und Nachhaltigkeit: So können Vereine aktiv werden von Gerd Thomas
#57: »Sprachnachrichten?!« Wie Kommunikation im Verein gelingen kann von Gerd Thomas
#56: Energiekosten: »Ist Fußball das neue Golfen?« von Ute Groth
#55: Jugendfußball: »Mehr Förderung für Deutschlands Sozialprojekt Nr. 1!« von Gerd Thomas
#54: »Ich muss eingestehen: Der Minifußball-Plan des DFB ist sehr gut!« von Michael Franke
#53: Ehrenamt: »Trainer und Trainerinnen gesucht...und noch vieles mehr!« von Gerd Thomas
#52: Schiedsrichter: Mehr Respekt durch "Meet the Ref"? von Tim Frohwein
#51: Nachwuchsfußball: Förderkader gegen Talentabwerbung & Selektionsdruck? von Michael Franke
#50: »Der Platzwart: Eine Kultfigur im Wandel der Zeit« von Michael Franke
#49: Nachhaltigkeit: »Es geht um viel mehr als die vegane Bratwurst!« von Gerd Thomas
#48: Fehler im System? »Von Krusten und Kumpanen« von Michael Franke
#47: Nachwuchsfußball: Das große Aussortieren der NLZs von Michael Franke
#46: Übungsleiterpauschale: »Wir müssen das Ehrenamt neu denken!« von Michael Franke
#45: Wahl des DFB-Präsidenten: »Wer hat inhaltlich etwas zu bieten?« von Gerd Thomas
#44: Echter Vertreter der Basis? »DFB muss die Rolle endlich annehmen!« von Ute Groth
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#36: »Selbst Menschen ohne Migrationsgeschichte werden diskriminiert!« von Younis Kamil
#35 Ü-Fußball: »Nennt uns nicht mehr „Alte Herren“!« von Tom Frohwein
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#33: Nachwuchsfußball: »Scouts stehen sich auf den Füßen!« von Michael Franke
#32: Fußball und Diversität: »Deutsche Schiris pfeifen immer gegen Türken!« von Tim Frohwein
#31: DFB und Amateure: »Es braucht eine Graswurzelbewegung!« von Gerd Thomas
#30: DFB-Präsident: »Warum nicht eine Urwahl aller 24.500 Vereine?« von Gerd Thomas
#29: Digitalisierung im Verein: »Manche Apps werden bleiben!« von Tim Frohwein
#28: Datenschutz: »Das muss jeder Amateurverein beachten von Fabian Reinholz
#27: "Generation Corona": »Kontrollierte Öffnung für Jugend-Sport jetzt!« von Gerd Thomas
#26: Türkgücü München: Streitgespräch über einen Verein, der polarisiert von Michael Franke & Tim Frohwein
#25: Pädagogik: »Wird man zum besseren Menschen, wenn man Fußball spielt?« von Younis Kamil
#24: Vereinsstruktur:»Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
#23: Berliner Fußball-Verband: »Es geht nicht nur ums Geschlecht!« von Gerd Thomas
#22: Vereinsstruktur: »Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
#21: »eSport? Wer Nachwuchs fördern will, sollte sich Teqball-Platte zulegen« von Tim Frohwein
#20: Fußball und Corona: »Was ich vermisse, ist das Einmischen des DFB« von Ute Groth
#19: Rassismus: »Sie riefen „Deck den Weißen“ – das tat mir weh!« von Younis Kamil
#18: Sportpolitik: »Neue Köpfe braucht der Fußball« von Gerd Thomas
#17: Kommunalpolitik: »Willkommen in der Sportstadt "Schilda" München« von Michael Franke
#16: Sportwissenschaft: »Wünsche mir Wissensspeicher für Amateurfußball« von Tim Frohwein
#15 »Die Politik muss das Fußballverbot für Kinder wieder aufheben!« von allen
#14 Sportpolitik: »Amateure, organisiert Euch!« von Gerd Thomas
#13 Sozialverhalten im Kinderfußball: »Mannschaft ist unser Spiegelbild« von Younis Kamil
#12 Gewalt im Fußball: »Wäre schön, wenn die Politik begreift« von Gerd Thomas
#11 »Wer das Hauptamt fördert, fördert auch das Ehrenamt« von Ute Groth
#10 Neue DFL-Taskforce: »Wir Amateure sind denen egal« von Michael Franke
#9 Kinderfußball: »Es sollen wirklich alle spielen!« von Younis Kamil
#8 »Duschen nach dem Spiel ist jetzt gefährlicher als nach dem Training« von Gerd Thomas
#7 Integration: »Flüchtlingsmannschaften machen mich skeptisch« von Michael Franke
#6 Pro Jugendarbeit: »Lieber kauft man ein neues Herrenteam zusammen« von Gerd Thomas
#5 Stellenwert des Amateurfußballs: »Großer Konkurrent ist die Kultur« von Michael Franke
#4 »Der Plan mit dem Neustart ist nicht durchdacht« von Ute Groth
#3 DFB: Gegen das System Pattex von Gerd Thomas
#2 Kindern die Angst nehmen: »Fehler sind etwas Tolles« von Younis Kamil
#1 »Corona hat die Leute vom Fußball entwöhnt« von Michael Franke

Aufrufe: 030.11.2022, 12:00 Uhr
Gerd ThomasAutor