2024-05-08T14:46:11.570Z

Kommentar
– Foto: IMAGO / Hanno Bode

Krise des Amateurfußballs: »Schuld sind wir selbst, nicht der DFB!«

Hartplatzhelden-Kolumne # 68: In vielen Vereinen wird gerne über die da oben gejammert. Doch das passt nicht zusammen mit Punktprämien und Scheinverträgen in der Kreisliga! Von GERD THOMAS

Das Mantra „Der DFB ist schuld“ an den Problemen der Basis habe ich satt. Erstens ist das zu undifferenziert, zweitens sollten wir Amateure uns anders als die sich der Diskussion verweigernden Profis fragen, was unser Anteil ist. Alle wissen, dass die Messlatten auch im Breitensport stetig höher gelegt werden, wenn es um die Bezahlung vermeintlicher Amateure geht. Sicher, es gibt auch in der Landesliga vereinzelt noch Ausnahmen. In Berlin zahlen neben dem FC Internationale noch zwei, drei Vereine ihren Spielern kein Geld.

Aber in der Republik wirken jede Menge Funktionäre, die schon in der Kreisliga Punktprämien oder andere Zuwendungen anbieten, damit Spieler zu ihnen kommen. Oft sind das genau die Vereine, die durch schlechte oder fehlende Jugendarbeit auffallen, kaum Schiedsrichter stellen und sich auch sonst nicht positiv in die Entwicklung des Fußballs einbringen. In den Verbänden fragen sich die Verantwortlichen längst, wie derart unsolidarisches Verhalten sanktioniert werden kann. Aber gerade gegen die kreative Buchhaltung zugunsten mittelmäßiger Kicker ist noch kein Kraut gewachsen.

Wer das ruinöse Spiel nicht mitspielt, verliert jedes Jahr gute Spieler an Vereine, die oft keinen besseren Sport anbieten, aber eben viel Geld zahlen. Wie soll ein Spieler Nein sagen, wenn er ohne ein bisheriges Spiel in der Verbandsliga nun von einem Verein dort 800 Euro im Monat (in der 6.Liga!!!) angeboten bekommt, aber eben auch seine Miete für immer teurer werdende Wohnungen zahlen muss?

Dass viele Vereine es mit der Abrechnung nicht so genau nehmen, ist nicht neu. Sie spielen mit dem Feuer, wie Durchsuchungen des Finanzamts oder Zolls in Amateurvereinen zeigen. Die weit verbreiteten Scheinverträge oder "schwarzen Kassen" führen schon mal zu Verurteilungen. Es gibt eine Art unheilvollen Herdentrieb (schließlich zahlen die meisten anderen auch), die Angst vor Bedeutungsverlust und oft auch fehlende Fantasie, wie man es gesünder anstellen könnte. Die Hartplatzhelden Michi Franke und Tim Frohwein haben mehrfach darauf hingewiesen, wohin die allsommerlichen Wechselarien führen. Leider finden sie sich vermehrt schon bei kleinen Kindern, bei Jugendlichen ohnehin schon seit vielen Jahren, inzwischen auch bei Spielerinnen. Auch da fließt Geld, nur mag niemand darüber reden oder gar dagegen vorgehen.

– Foto: IMAGO / MIS

Das willkürliche Abwerben hat sogar weitaus schwerere Folgen. Viele Trainer und Jugendleiter sehen nicht mehr ein, sich leidenschaftlich in die Förderung von jungen Fußballern einzubringen, wenn andere die Früchte der Arbeit ernten. Denn je erfolgreicher ihr Engagement ist, desto mehr Spieler werden abgeworben. Wenn aber immer weniger Menschen bereit sind, sich den Strukturen des Kinderfußballs, einer Jugendleitung oder der Organisation von Spiel- und Trainingsbetrieb zu verschreiben, dann finden immer weniger junge Menschen in die Vereine.

In Berlin drehen nicht nur die kritisierten Nachwuchsleistungszentren, sondern sogar DFB-Stützpunkttrainer am Transferkarussell mit. Sie widersetzen sich offensichtlich wissenschaftlichen Erkenntnissen wie von Professor Arne Güllich („Im Fußball gibt es keine Möglichkeit, Talente schon im frühen Alter zu erkennen!“), nicht selten zugunsten ihres eigenen Vereins, bei dem sie den Rest der Woche verbringen. Vom DFB bezahlte Stützpunktchefs finden nichts dabei.

Geht es hier wirklich um die Ausbildung künftiger Talente? Eher wirken die Stützpunkte wie Abenteuerspielplätze und Präsentierteller für Scouts, oder die sich für solche halten. Nicht wenige dienen sich ahnungslosen Eltern als Berater an, wollen also nur das Beste für die Stars von morgen. Vielleicht liegt in diesem zunehmend kranken System eine der vielen Ursachen für die abnehmende Qualität des deutschen Fußballs.

Das nicht gerade kollegiale Klima, vor allem in den Ballungsräumen, führt zu mehr Rivalität. Viele Akteure begegnen sich in tiefer gegenseitiger Abneigung, stilisieren Spiele gegeneinander zu Prestigeduellen. Wieder andere schrecken nicht vor Manipulationen zurück, indem Spieler eingesetzt werden, die gar nicht auf dem Spielbericht stehen. Vor dem Sportgericht versucht mancher, das Strafmaß der Beschuldigten durch kreative Behauptungen zu mindern.

Und manchmal pfeift der Vorsitzende des Vereins das Spiel für den fehlenden Schiedsrichter – es gibt einfach viel zu wenige Unparteiische –, dann entstehen komische Ergebnisse. Wen wundert da noch die zunehmende Aggressivität auf den Plätzen? Kann sein, dass die schweren Straftaten gar nicht stark zugenommen haben, wobei der tragische Tod eines Berliner Spielers bei einem Turnier in Frankfurt eine besondere Dramatik darstellt.

Was aber eindeutig festzustellen ist: Der gegenseitige Respekt lässt zunehmend nach. Erfahrene Trainer beklagen den "Trash Talk" beim Training, zunehmende Diskriminierungen und schwindende Verantwortung. Das alles auf die Pandemie zu schieben, wäre zu einfach. Auch vor Corona waren behindertenfeindliche Sprüche im Repertoire vieler Kids, um ein Beispiel zu nennen.

Gleichzeitig ist der Anspruch vieler Eltern bemerkenswert. Viele erwarten, dass Trainer sich mit Gewalt- und Diskriminierungsprävention top auskennen, pädagogische Höchstleistungen erbringen, total freundlich und verständnisvoll sind, eine gute bis sehr gute Trainerlizenz haben, aber natürlich alles ehrenamtlich machen. Schon mal nachgedacht? Auf die Krise des Ehrenamts in Zeiten des Fachkräftemangels bin ich in meiner Kolumne mehrfach eingegangen. Das Thema wird uns leider erhalten bleiben.


Teil 2 dieser Kolumne folgt.

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Zum Autor:
Gerd Thomas, Jahrgang 1960, ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. Der Verein pflegt den reinen Amateurgedanken, stärkt das völkerverbindende Element des Fußballs und ist seit 2007 Integrationsstützpunkt der Sportjugend. Auf den Trikots aller Mannschaften steht keine Werbung, sondern der Slogan: „No Racism!“. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus. 2022 wurde der Club auf der Fachmesse Spobis mit dem "Award für Nachhaltigkeit im Sport" geehrt.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

#67: Mission Impossible Kunstrasen: »Es könnte alles so einfach sein...« von Michael Franke
#66: Wettbewerbsverzerrung: »Muss ich immer mit der besten Elf antreten?« von Michael Franke
#65: Extremisten raus aus meinem Verein? Die Satzung macht‘s möglich von FABIAN REINHOLZ
#64: Mädchenfußball: »Diese Regel führt unseren Verein in ein Dilemma!« von Fabian Reinholz
#63: Trainingslager im Amateurfußball: (K)eine gute Idee? von Michael Franke
#62: Mehr Mitsprache für Amateure: »Wir sind 99 Prozent!« von Gerd Thomas
#61: Vielfalt im Fußball: Darum muss die Politik Vereine mehr unterstützen von Gerd Thomas
#60: Alkohol & Amateurfußball: Eine Droge als Teil unserer Vereinskultur? von Tim Frohwein
#59: Katar-WM: Dürfen wir unseren Kinder diese besonderen Fußball-Momente verwehren? von Michael Franke
#58: Katar und Nachhaltigkeit: So können Vereine aktiv werden von Gerd Thomas
#57: »Sprachnachrichten?!« Wie Kommunikation im Verein gelingen kann von Gerd Thomas
#56: Energiekosten: »Ist Fußball das neue Golfen?« von Ute Groth
#55: Jugendfußball: »Mehr Förderung für Deutschlands Sozialprojekt Nr. 1!« von Gerd Thomas
#54: »Ich muss eingestehen: Der Minifußball-Plan des DFB ist sehr gut!« von Michael Franke
#53: Ehrenamt: »Trainer und Trainerinnen gesucht...und noch vieles mehr!« von Gerd Thomas
#52: Schiedsrichter: Mehr Respekt durch "Meet the Ref"? von Tim Frohwein
#51: Nachwuchsfußball: Förderkader gegen Talentabwerbung & Selektionsdruck? von Michael Franke
#50: »Der Platzwart: Eine Kultfigur im Wandel der Zeit« von Michael Franke
#49: Nachhaltigkeit: »Es geht um viel mehr als die vegane Bratwurst!« von Gerd Thomas
#48: Fehler im System? »Von Krusten und Kumpanen« von Michael Franke
#47: Nachwuchsfußball: Das große Aussortieren der NLZs von Michael Franke
#46: Übungsleiterpauschale: »Wir müssen das Ehrenamt neu denken!« von Michael Franke
#45: Wahl des DFB-Präsidenten: »Wer hat inhaltlich etwas zu bieten?« von Gerd Thomas
#44: Echter Vertreter der Basis? »DFB muss die Rolle endlich annehmen!« von Ute Groth
#43: „Milliardenspiel Amateurfußball“: Die große Bezahl(un)kultur von Tim Frohwein
#42: Rituale im Fußballverein: »Es lebe die Weihnachtsfeier!« von Tim Frohwein
#41: Bedenklicher Zustand: »Rettet den Jugendfußball!« von Gerd Thomas
#40: Impfung: »Joshua Kimmich und seine fragliche Vorbildrolle« von Michael Franke
#39: Frauenfußball: »Die Mädchen trauen sich was!« von Ute Groth
#38: Wahl des Präsidenten: »Der DFB muss endlich Praktiker einbeziehen!« von Gerd Thomas
#37: Endlich "oben"? »Nach dem Aufstieg kommen die Niederlagen!« von Michael Franke
#36: »Selbst Menschen ohne Migrationsgeschichte werden diskriminiert!« von Younis Kamil
#35 Ü-Fußball: »Nennt uns nicht mehr „Alte Herren“!« von Tom Frohwein
#34: DFB: »Es sei denn, wir ändern das System!« von Gerd Thomas
#33: Nachwuchsfußball: »Scouts stehen sich auf den Füßen!« von Michael Franke
#32: Fußball und Diversität: »Deutsche Schiris pfeifen immer gegen Türken!« von Tim Frohwein
#31: DFB und Amateure: »Es braucht eine Graswurzelbewegung!« von Gerd Thomas
#30: DFB-Präsident: »Warum nicht eine Urwahl aller 24.500 Vereine?« von Gerd Thomas
#29: Digitalisierung im Verein: »Manche Apps werden bleiben!« von Tim Frohwein
#28: Datenschutz: »Das muss jeder Amateurverein beachten von Fabian Reinholz
#27: "Generation Corona": »Kontrollierte Öffnung für Jugend-Sport jetzt!« von Gerd Thomas
#26: Türkgücü München: Streitgespräch über einen Verein, der polarisiert von Michael Franke & Tim Frohwein
#25: Pädagogik: »Wird man zum besseren Menschen, wenn man Fußball spielt?« von Younis Kamil
#24: Vereinsstruktur:»Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
#23: Berliner Fußball-Verband: »Es geht nicht nur ums Geschlecht!« von Gerd Thomas
#22: Vereinsstruktur: »Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
#21: »eSport? Wer Nachwuchs fördern will, sollte sich Teqball-Platte zulegen« von Tim Frohwein
#20: Fußball und Corona: »Was ich vermisse, ist das Einmischen des DFB« von Ute Groth
#19: Rassismus: »Sie riefen „Deck den Weißen“ – das tat mir weh!« von Younis Kamil
#18: Sportpolitik: »Neue Köpfe braucht der Fußball« von Gerd Thomas
#17: Kommunalpolitik: »Willkommen in der Sportstadt "Schilda" München« von Michael Franke
#16: Sportwissenschaft: »Wünsche mir Wissensspeicher für Amateurfußball« von Tim Frohwein
#15 »Die Politik muss das Fußballverbot für Kinder wieder aufheben!« von allen
#14 Sportpolitik: »Amateure, organisiert Euch!« von Gerd Thomas
#13 Sozialverhalten im Kinderfußball: »Mannschaft ist unser Spiegelbild« von Younis Kamil
#12 Gewalt im Fußball: »Wäre schön, wenn die Politik begreift« von Gerd Thomas
#11 »Wer das Hauptamt fördert, fördert auch das Ehrenamt« von Ute Groth
#10 Neue DFL-Taskforce: »Wir Amateure sind denen egal« von Michael Franke
#9 Kinderfußball: »Es sollen wirklich alle spielen!« von Younis Kamil
#8 »Duschen nach dem Spiel ist jetzt gefährlicher als nach dem Training« von Gerd Thomas
#7 Integration: »Flüchtlingsmannschaften machen mich skeptisch« von Michael Franke
#6 Pro Jugendarbeit: »Lieber kauft man ein neues Herrenteam zusammen« von Gerd Thomas
#5 Stellenwert des Amateurfußballs: »Großer Konkurrent ist die Kultur« von Michael Franke
#4 »Der Plan mit dem Neustart ist nicht durchdacht« von Ute Groth
#3 DFB: Gegen das System Pattex von Gerd Thomas
#2 Kindern die Angst nehmen: »Fehler sind etwas Tolles« von Younis Kamil
#1 »Corona hat die Leute vom Fußball entwöhnt« von Michael Franke

Aufrufe: 026.7.2023, 15:30 Uhr
Gerd ThomasAutor