2024-05-02T16:12:49.858Z

Kommentar
Nicht immer geht es so harmonisch zu im Amateurfußball
Nicht immer geht es so harmonisch zu im Amateurfußball – Foto: Zink / Imago Images

»Selbst Menschen ohne Migrationsgeschichte werden diskriminiert!«

Diskriminierung findet täglich statt auf Deutschlands Fußballplätzen, in alle Richtungen. Wir dürfen sie nicht mehr als Kavaliersdelikt verharmlosen. Von YOUNIS KAMIL

In der Hartplatzhelden-Kolumne kommen kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen. In der 36. Ausgabe erläutert Younis Kamil, Diplom-Sportwissenschaftler und Fußballtrainer, warum er sich ein konsequenteres Vorgehen gegen jeglichen Form von Diskriminierung wünscht.

Tim Frohwein schrieb in seiner HARTPLATZHELDEN-Kolumne „Deutsche Schiedsrichter pfeifen immer gegen Türken“, dass Vielfalt eine Aufgabe ist, die gemanagt werden muss. Das muss sie tatsächlich. Denn Nichtstun, Weggucken und Verschweigen lösen das Problem nicht. Im Gegenteil, es führt dazu, dass sich Rassismus und Diskriminierung in einer zunehmend polarisierten Atmosphäre schleichend einen Platz auf und neben deutschen
Fußballplätzen sichern.

Bevor wir allerdings die Frage stellen, wie wir Wertschätzung von Vielfalt und Zusammenhalt fördern, müssen wir uns erst gestehen: Diskriminierung auf deutschen Fußballplätzen ist real. Sie findet statt, täglich, gegen unterschiedliche Gruppen unserer Gesellschaft. Schwarze, Muslime, Homosexuelle, Frauen, Übergewichtige, sozial und wirtschaftlich benachteiligte Gruppen, aber selbst Menschen ohne Migrationsgeschichte werden von Menschen mit Migrationsgeschichte diskriminiert.

Wer von uns hat nicht schon mal mindestens einen der folgenden Sätze
gehört?

  • „Bei Muslimen musst du nur mal leise die Mutter beleidigen, dann rasten
    die aus.“
  • „Gegen die Deutschen treten wir möglichst aggressiv auf, dann machen die
    sich in die Hose.“
  • „Die Frauen können gerne Fußball spielen, dann haben wir zumindest was
    zu gucken.“
  • „Wenn ich auf dem Spielbericht sehe, dass mehr als die Hälfte aller Spieler Ausländer sind, ziehe ich zur Abschreckung bei der ersten Aktion die Gelbe Karte“ (sagte einst ein Schiedsrichter zu mir).


Eine Studie im Auftrag des Belgischen Fußballverbands hat herausgefunden, dass 36 Prozent aller Jugendspieler und -spielerinnen schon mal Opfer von Diskriminierung waren und sogar 95 Prozent aller Befragten schon mal Gewalt auf Fußballplätzen erlebt haben. Die Zahlen dürften in Deutschland ähnlich sein.

Meiner Meinung nach werden wir Diskriminierung jeglicher Form nur in den Griff kriegen, wenn wir es aus zwei Richtungen angehen. Wir brauchen einerseits präventive Maßnahmen, die frühestmöglich unsere Kinder und Jugendlichen sensibilisieren. Andererseits müssen wir drastisch gegen Diskriminierungsfälle vorgehen, und zwar top-down. Angefangen beim DFB, über die Verbände, die Kreise bis in jeden einzelnen Verein darf Diskriminierung nicht mehr als Kavaliersdelikt verstanden werden und unter der Kategorie „Alles halb so wild, wir sind ja hier beim Fußball und nicht beim Ballett, da geht es auch mal was rauher zu“ abgekanzelt werden.

Ich darf mich nicht mehr schlecht fühlen oder Sorge haben müssen, wie damit umgegangen wird, wenn ich dem Fußballkreis einen Diskriminierungsfall melde. Oft wird dir dann das Gefühl vermittelt: „Ach, der schon wieder, regt sich wegen jeder Kleinigkeit auf.“ Wenn ich den Diskriminierungsfall eines Schiedsrichters melde, der einen abfälligen Kommentar gegenüber einer kopftuchtragenden Spielerin abgibt, dann habe ich Sorge, dass ich folgende Antwort bekomme: „Ach, das hat der Dieter sicher nicht so gemeint. Das hast du bestimmt falsch verstanden.“

Dr. Thaya Vester berichtet, dass viele Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen den Aufwand und die sich anschließenden Konflikte meiden möchten, der durch die Erwähnung eines Diskriminierungsfalls im Spielbericht entsteht. Gegen diese Denkart müssen wir konsequent angehen.

Aber wie will man erreichen, dass Vielfalt wertgeschätzt und Diskriminierung bekämpft wird, wenn in den entscheidenden Positionen auf allen Ebenen keine Vielfalt repräsentiert ist? Der DFB muss vorangehen. Er muss klar Position beziehen, etwa so: „Diskriminierung jeglicher Form hat bei uns keinen Platz. Jeder Form der Diskriminierung wird nachgegangen und sie zieht konsequente Strafen nach sich.“ Im gleichen Zug muss der DFB all seinen Mitgliedsvereinen authentisch vermitteln: „Egal wie ihr heißt, wie ihr euch zusammensetzt, welchen kulturellen, religiösen oder nationalen Schwerpunkt ihr habt, solange ihr euch an die geltenden Regeln und Werte im Sport und in der Gesellschaft haltet, seid ihr uns herzlich willkommen und wir sehen euch als Teil des Deutschen Fußballs.“

Diese Botschaften müssen allerdings mehr als Lippenbekenntnisse sein. Hochglanz-kampagnen hatten wir genug. Kleinreden oder wegschauen machen es nur schlimmer. Wir brauchen konkrete Maßnahmen in der Praxis, die die ernstgemeinten Botschaften unterstreichen.

Welche konkreten Maßnahmen das sein können und was die Vereine an der Basis tun können, um Diskriminierung präventiv anzugehen – dazu werde ich mich in meiner nächsten Kolumne äußern.

Protokoll: Oliver Fritsch

Zum Autor:
Younis Kamil, Jahrgang 1984, ist Diplom-Sportwissenschaftler und Fußballtrainer von Kinder- und Herrenteams. Er promoviert zum Thema Verhaltensentwicklung und Verhaltensänderung durch Sport, insbesondere Fußball. Seit über zehn Jahren ist er in der sportbasierten Kinder- und Jugendhilfe tätig, seit drei Jahren zudem Erster Vorsitzender des ISC AlHilal Bonn, eines Stützpunktvereins für Integration und Gewinner mehrerer Integrationspreise.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

#35 Ü-Fußball: »Nennt uns nicht mehr „Alte Herren“!« von Tom Frohwein
#34: DFB: »Es sei denn, wir ändern das System!« von Gerd Thomas
#33: Nachwuchsfußball: »Scouts stehen sich auf den Füßen!« von Michael Franke
#32: Fußball und Diversität: »Deutsche Schiris pfeifen immer gegen Türken!« von Tim Frohwein
#31: DFB und Amateure: »Es braucht eine Graswurzelbewegung!« von Gerd Thomas
#30: DFB-Präsident: »Warum nicht eine Urwahl aller 24.500 Vereine?« von Gerd Thomas
#29: Digitalisierung im Verein: »Manche Apps werden bleiben!« von Tim Frohwein
#28: Datenschutz: »Das muss jeder Amateurverein beachten von Fabian Reinholz
#27: "Generation Corona": »Kontrollierte Öffnung für Jugend-Sport jetzt!« von Gerd Thomas
#26: Türkgücü München: Streitgespräch über einen Verein, der polarisiert von Michael Franke & Tim Frohwein
#25: Pädagogik: »Wird man zum besseren Menschen, wenn man Fußball spielt?« von Younis Kamil
#24: Vereinsstruktur:»Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
#23: Berliner Fußball-Verband: »Es geht nicht nur ums Geschlecht!« von Gerd Thomas
#22: Vereinsstruktur: »Wir wollen unseren Verein strategisch neu entwickeln« von Michael Franke
#21: »eSport? Wer Nachwuchs fördern will, sollte sich Teqball-Platte zulegen« von Tim Frohwein
#20: Fußball und Corona: »Was ich vermisse, ist das Einmischen des DFB« von Ute Groth
#19: Rassismus: »Sie riefen „Deck den Weißen“ – das tat mir weh!« von Younis Kamil
#18: Sportpolitik: »Neue Köpfe braucht der Fußball« von Gerd Thomas
#17: Kommunalpolitik: »Willkommen in der Sportstadt "Schilda" München« von Michael Franke
#16: Sportwissenschaft: »Wünsche mir Wissensspeicher für Amateurfußball« von Tim Frohwein
#15 »Die Politik muss das Fußballverbot für Kinder wieder aufheben!« von allen
#14 Sportpolitik: »Amateure, organisiert Euch!« von Gerd Thomas
#13 Sozialverhalten im Kinderfußball: »Mannschaft ist unser Spiegelbild« von Younis Kamil
#12 Gewalt im Fußball: »Wäre schön, wenn die Politik begreift« von Gerd Thomas
#11 »Wer das Hauptamt fördert, fördert auch das Ehrenamt« von Ute Groth
#10 Neue DFL-Taskforce: »Wir Amateure sind denen egal« von Michael Franke
#9 Kinderfußball: »Es sollen wirklich alle spielen!« von Younis Kamil
#8 »Duschen nach dem Spiel ist jetzt gefährlicher als nach dem Training« von Gerd Thomas
#7 Integration: »Flüchtlingsmannschaften machen mich skeptisch« von Michael Franke
#6 Pro Jugendarbeit: »Lieber kauft man ein neues Herrenteam zusammen« von Gerd Thomas
#5 Stellenwert des Amateurfußballs: »Großer Konkurrent ist die Kultur« von Michael Franke
#4 »Der Plan mit dem Neustart ist nicht durchdacht« von Ute Groth
#3 DFB: Gegen das System Pattex von Gerd Thomas
#2 Kindern die Angst nehmen: »Fehler sind etwas Tolles« von Younis Kamil
#1 »Corona hat die Leute vom Fußball entwöhnt« von Michael Franke

Aufrufe: 030.9.2021, 17:00 Uhr
Younis KamilAutor