2024-04-25T14:35:39.956Z

Kommentar
– Foto: Imago Images / Hanno Bode

„Milliardenspiel Amateurfußball“: Die große Bezahl(un)kultur

Hartplatzhelden-Kolumne #43: Eine alarmierende Studie ergibt: In der Bezirksliga verdient jeder zweite Kicker Geld, selbst in der Kreisklasse kassiert mancher Altstar ordentlich ab. Es wird Zeit das zu ändern. Von TIM FROHWEIN +++ ARD-Doku „Milliardenspiel Amateurfußball“ im Artikel

In der Hartplatzhelden-Kolumne kommen kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen. In der 43. Ausgabe wirft Soziologe und Amateurkicker Tim Frohwein anlässlich der brandaktuellen Correctiv-Studie einen Blick auf die Rolle von Geld im Amateurfußball!

"Das war doch schon immer so!", heißt es oft, wenn das Thema Geld im Amateurfußball zur Sprache kommt. Ein Satz, mit dem man gerne kritische Auseinandersetzung im Keim ersticken will. Das ist schade – und gefährlich, denn: Aus dem Sein folgt schließlich kein Sollen. Vielleicht erscheint der Ist-Zustand der Bezahlkultur im Amateurfußball veränderungswerter, wenn man ihr Ausmaß besser versteht. Mit den Ergebnissen der Correctiv-Studie „Wie viel verdienen Amateurfußballer?“, die ich wissenschaftlich begleiten durfte, ist das jetzt möglich. Mehr als 8.000 aktive, männliche Amateurkicker aus ganz Deutschland haben zwischen Oktober 2020 und Februar 2021 bei der anonymen Umfrage mitgemacht. Einige Zahlen aus der Studie wurden bereits in der ARD-Doku „Milliardenspiel Amateurfußball“ publik gemacht.

Hier nochmal ein Überblick über die aus meiner Sicht wichtigsten Befunde der Studie:

  • Mehr als ein Drittel (36,9 Prozent) der Teilnehmer wurde zur Zeit der Befragung bezahlt.

  • Mit zunehmendem Leistungsniveau steigt der Anteil der bezahlten Spieler. Von den 1.430 Befragten, die zur Zeit der Erhebung in der 7. Liga spielten, wird eine knappe Mehrheit (50,9 Prozent) bezahlt. Damit scheint die 7. Liga – in vielen Fußball-Regionen entspricht das der Bezirks- oder Landesliga – eine Art Grenze zwischen dem unterklassigen/geselligkeitsorientierten und dem höherklassigen/leistungsorientierten Amateurfußball zu markieren.

  • Angaben zur Höhe des monatlichen Verdiensts im Oktober 2020 machten 2.790 Umfrageteilnehmer. In diesem Monat wurde an die bezahlten Spieler ein Gesamtbetrag von 1.160.657 Euro ausgeschüttet, also etwa 416 Euro pro Spieler. Auf eine Saison mit zehn Verdienstmonaten gerechnet kommt man in ganz Deutschland auf mehr als eine Milliarde Euro, die an Amateurfußballer fließen.

  • Mit dem Leistungsniveau steigt nicht nur der Anteil an bezahlten Spielern, sondern auch der Durchschnittsverdienst:

  • Interessanterweise steigt der Durchschnittsverdienst in den untersten Ligen nochmal an. Meine Interpretation: Wie die Tabelle oben zeigt, gibt es in den tiefsten Ligen weniger Spieler, die Geld bekommen – aber die lassen sich ihr Engagement dafür eben richtig gut entlohnen. Ich habe sie oft gesehen, die Ex-Verbandsliga-Spieler, die im gehobenen Alter nochmal durch die unteren Ligen tingeln. Sportlich oft ein Gewinn, menschlich nicht immer.

  • Spieler, die Geld erhalten, unterscheiden sich von Spielern, die nicht bezahlt werden. Erstgenannte wechseln beispielsweise häufiger den Verein: Spieler, die zur Zeit der Befragung Geld erhielten, liefen in ihrer bisherigen Karriere durchschnittlich für 3,0 Vereine auf. Unbezahlte Amateurfußballer im Durchschnitt nur für 2,2 Vereine. Auch die geselligen Begleiterscheinungen des Amateurfußballs schätzen bezahlte Spieler weniger: Der Aussage „Beinahe nach jedem Spiel sitze ich mit meinen Mitspielern in geselliger Runde zusammen“ stimmen bezahlte Amateurfußballer im Durchschnitt zu 68,3 Prozent zu, unbezahlte Spieler dagegen zu 83,5 Prozent.

Ja, es stimmt, die Ergebnisse einer Online-Befragung sind selten repräsentativ. Und manch ein Teilnehmer wird beim Ausfüllen des Fragebogens auch falsche Angaben gemacht haben. Aber dass wahnsinnig viel Geld im Amateurfußball unterwegs ist, ist nach diesen Befunden eindeutig. Gerade in den unteren Ligen, in denen der Spaß an der Bewegung, die Geselligkeit und das Miteinander an erster Stelle stehen sollten, braucht es aber keine Kicker, die sich nach Stationen im höherklassigen Amateurfußball ihren Karriereabend in der Kreisklasse gut bezahlen lassen – nur weil ein Mäzen denkt, dass seine Mannschaft statt in der 10. Liga in der 8. Liga spielen sollte.

Steckt das Geld lieber in die Digitalisierung, die sportliche Infrastruktur und den Jugendbereich eures Vereins! Stellt hauptamtliche Mitarbeiter ein! Es gibt in Deutschland schon zahlreiche Vereine, die diesen Weg gehen und sich vom System Bezahlkultur (das man eher als Bezahlunkultur bezeichnen sollte) verabschiedet haben. Sie sollten sich vernetzen, auf diese Weise sichtbarer werden und anderen Vereinen demonstrieren, dass Amateurfußball auch funktioniert, wenn man es anders macht, als es angeblich schon immer war.

Info: Eine ausführliche Zusammenfassung der Studie wird im Februar in der Fachzeitschrift „Leipziger Sportwissenschaftliche Beiträge“ veröffentlicht.



Zum Autor:
Tim Frohwein, Jahrgang 1983, ist Soziologe und setzt sich seit über einem Jahrzehnt wissenschaftlich und journalistisch mit dem Amateurfußball auseinander. Er unterrichtet an der Hochschule München, ist Redaktionsmitglied beim Zeitspiel-Magazin und organisiert die Veranstaltungsreihe Mikrokosmos Amateurfußball. Seit bald zwanzig Jahren kickt er in den Herrenmannschaften des FC Dreistern München.

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Über die Hartplatzhelden-Kolumne:
In regelmäßigen Abständen lassen wir kreative und kritische Köpfe aus dem Amateurfußball zu Wort kommen, die sich mit den Sorgen und Nöten unseres geliebten Sports befassen, aber auch Ideen für die Zukunft vorstellen.

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Aufrufe: 019.1.2022, 13:00 Uhr
Tim FrohweinAutor