2024-06-17T07:46:28.129Z

Interview
Alper Kayabunar gibt in der Regionalliga als Trainer den Ton an und sagt: „Türkgücü ist mein Verein.“
Alper Kayabunar gibt in der Regionalliga als Trainer den Ton an und sagt: „Türkgücü ist mein Verein.“ – Foto: imago

Kayabunar verteidigt Investoren-Klubs: „Egal, woher das Geld kommt“ – Traum von Drittliga-Rückkehr

Cheftrainer von Türkgücü im Interview

Alper Kayabunar (36) ist Türkgücü durch und durch. Seit 2014 arbeitete er erst im Jugendbereich des Vereins, wurde Co-Trainer der ersten Mannschaft und übernahm diese in der letzten Saison für vier Spiele als Interimstrainer.

München – Nach Türkgücüs Insolvenz leitet nun er den Wiederaufbau der Mannschaft in der Regionalliga. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Kayabunar über seine besondere Beziehung zu „seinem“ Türkgücü, seine Lehren aus der Leidenszeit im letzten Jahr und darüber, wie aus dem Perlacher Albtraum ein Fußballwunder wurde.

Herr Kayabunar, was macht eigentlich mehr Spaß: Interimstrainer in einer Seuchen-Saison in der 3. Liga oder ein gefestigter Job als Cheftrainer in der Regionalliga?

(lacht) Eine schwierige Frage. In der 3. Liga zu trainieren, Spiele gegen Mannschaften wie Kaiserslautern im Olympiastadion zu betreuen, war ein Super-Erlebnis. Jetzt ist es anders. Ich kann mit einem eigenen Team meine eigenen Ideen durchsetzen. Das macht Spaß. Beides ist irgendwie cool.

Türkgücü München: Die letzte Saison war ein Stich ins Herz

Türkgücü steht nach 13 Spieltagen auf Platz sieben. Wie sind Sie damit zufrieden?

Mittlerweile sehr. Das war zu Saisonbeginn anders: Da stimmte zwar die Spielweise, die Punktausbeute aber nicht. Dieses Ungleichgewicht haben wir in den Griff bekommen und können mit dem stabilen Punktepolster auf die Abstiegsränge zufrieden sein. Gerade nach der schweren Zeit zuvor.

Sie sprechen es an: War dieser Saisonstart nach der Insolvenz Türkgücüs im März wie Balsam auf Ihrer geschundenen Fußballer-Seele? Konnten Sie besser mit dem Drittligaklub Türkgücü abschließen?

Puh… Um ehrlich zu sein, will ich mit der Vergangenheit gar nicht abschließen, das gehört für mich alles zusammen. Der Verein, dem ich schon seit Jahren angehöre, ist immer noch der gleiche. Ich war bei Türkgücü vor dem Aufstieg in den Profifußball und bin auch danach noch da. Die Art und Weise, wie das im Frühjahr gelaufen ist, ist sicher bitter. Aber der Verein hat jetzt wieder eine richtige, eine gesunde Richtung eingeschlagen. Türkgücü ist mein Verein und die jüngste Entwicklung freut mich sehr.

Aber gerade weil Sie den Verein so verinnerlicht haben, muss das letzte Jahr doch sehr schmerzhaft gewesen sein.

Ja. Die Zeit hat mir Brutal wehgetan. Am Tag, als uns der Klub zugesperrt wurde, war ich noch auf dem Vereinsgelände und musste mit ansehen, wie Türkgücü einzelnen Personen total egal war. Die haben sich in den letzten Wochen nur noch ins Schaufenster gestellt und waren bemüht, schnell einen neuen Arbeitgeber zu finden. Das verstehe ich einerseits, wenn man den Verein nur so, nur in dieser Situation kennt. Aber für mich, der schon seit Jahren dabei ist, war es ein Stich ins Herz, zu sehen, wie sich einige gar nicht mehr für den Verein eingesetzt haben. Obwohl sie genau bei diesem Verein erst groß wurden.

Türkgücü München: Das Image ist noch immer beschädigt – wird aber besser

Haben Sie noch viel Kontakt zu den ehemaligen Kollegen bei Türkgücü?

Ja, zu fast allen. Auf der Wiesn habe ich Aaron Berzel und Tim Rieder getroffen. Mit den Ex-Spielern sowieso, die schauen regelmäßig zu oder schreiben mir, wenn wir gewinnen. Auch zu Peter Hyballa und Alexander Schmidt, meinen ehemaligen Cheftrainern, habe ich viel Kontakt. Das freut mich sehr.

Zwischenzeitlich sah es ziemlich düster für Sie aus. Andreas Heraf, der zum Jahreswechsel Trainer wurde, strich Sie gleich mal aus dem Trainerteam. Wissen Sie mittlerweile, wieso?

Nein. Wie er mit mir umgegangen ist, war nicht fair. Niemand im Verein hat diese Entscheidung verstanden – immerhin war ich der Einzige, der richtig wusste, wie Türkgücü tickt. Er war der erste Trainer, der mit mir als Co-Trainer ein Problem hatte. Das war genau in dieser Situation besonders bitter, weil ich so ziemlich als einziger nicht wegen des Geldes bei Türkgücü war. Ich war dann wieder bei der U19, bin mit denen durch die Landesliga getourt. Überall mussten wir uns beleidigen lassen, „Drecksverein“, „Pleitegeier“ hieß es dann. Das war übel. Jeder hat uns gewünscht, dass wir komplett zugrunde gehen. Aber umso schöner ist es jetzt, dass wir erfolgreich sind und nach 13 Spieltagen vor Mannschaften wie Schweinfurt und Bayern II stehen.

Welches Standing hat Türkgücü innerhalb der Regionalliga mittlerweile?

Ein besseres. Auch zu Saisonbeginn gab es noch Anfeindungen, aber mittlerweile haben wir durch unser bescheidenes Auftreten gepaart mit ordentlichen sportlichen Leistungen vieles wiedergutgemacht. Die Leute merken, dass der Verein einen anderen Weg eingeschlagen hat, nicht mehr der Geld-Klub von früher ist.

Türkgücü München: SpVgg Unterhaching als Vorbild in der Jugendausbildung

Am Montag steht das Duell mit Unterhaching an. Manni Schwabl sagte noch im Mai, er wolle am liebsten zweimal nicht gegen Türkgücü spielen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Das hat mich zu besagtem Zeitpunkt nicht überrascht, wir mussten uns viele ähnliche Dinge anhören. Ich weiß aber auch nicht, wie Schwabls heutige Meinung über uns ist. Vielleicht hat bei Ihm auch ein Umdenken stattgefunden.

In der letzten Saison flog der eine oder andere Giftpfeil zwischen Türkgücü und 1860, Türkgücü beanspruchte zeitweise die Rolle als sportliche Nummer zwei der Stadt. Da sich das Thema nun erledigt hat: Ist Unterhaching jetzt Ihr neuer Rivale?

Nein, für mich jedenfalls nicht. Unterhaching ist genau wie Sechzig ein Verein mit einer Riesen-Tradition. Da sind wir mit Türkgücü bei Weitem keine Konkurrenz. Im Gegenteil: Wir können uns bei Haching viel abschauen. Gerade, was die Jugendarbeit angeht, leisten die dort Hervorragendes. Was das angeht, ist Unterhaching ein Vorbild für uns.

Welche Lehren haben Sie aus den letzten Monaten gezogen? Türkgücü hat als zweites Stadion das OIympiastadion angemeldet. Das kostet pro Spieltag einen niedrigen fünfstelligen Betrag. Haben Sie den Anspruch, nach der Insolvenz nun auch über solche Kosten Bescheid zu wissen, um einschätzen zu können, ob der Klub sich nicht doch wieder finanziell übernimmt?

Nein. Ich bin Angestellter dieses Vereins habe ich auch keine andere Wahl. Wenn man ehrlich ist, ist es einem Spieler oder Trainer doch egal, woher das Geld kommt oder wofür es verwendet wird. Die Hauptsache ist, man bekommt am Ende des Monats sein Gehalt.

Türkgücü München: Am Ende ist es egal, wo das Geld herkommt

Sind Sie nicht vorsichtiger geworden?

Ehrlich gesagt nicht, nein. Für mich gab es keine andere Option und ich kenne das Trainerdasein ja nur in einem Investorenklub. Ich hoffe, dass der Verein die Finanzierung stemmen kann. Aber für mich zählt nur, dass die sportliche Situation nicht unter der finanziellen leidet.

Es gibt Spieler, die die Entscheidung, zu einem Einzelinvestoren-Klub wie Türkgücü zu wechseln, im Nachhinein bereuen. Haben Sie Verständnis dafür?

Naja… Fakt ist, egal was die Leute sagen: Geld regiert die Welt und wenn das Geld stimmt, kommen die Spieler automatisch. Ich bin sicher, dass viele ein vergleichbares Angebot noch einmal annehmen würden, auch bei einem Investorenklub. Viele Spieler geben sich nach außen gerne so, als würden sie nicht aufs Geld achten. Aber das ist nur Fassade.

Viele haben den Fall Türkgücü als weiteren Beweis dafür gesehen, dass Investoren sich aus dem Fußball raushalten sollten. Wie sehen Sie das?

Da stimme ich grundsätzlich zu. Das ist ein Problem. Auf der anderen Seite haben allerdings viele Vereine in den niedrigen Ligen massive Geldsorgen. Auch hier kann ich mir nicht vorstellen, dass es viele Vereine gäbe, die einen solchen Investor ablehnen und ethische Prinzipien höherstellen als wirtschaftliche Interessen. Das ist eine Zwickmühle, in der sich die meisten Klubs für das Geld entscheiden würden.

Türkgücü München: Kayabunar träumt von Rückkehr in 3. Liga

Zurück zum Sportlichen: Hätten Sie sich im März, als klar wurde, dass Türkgücü den Spielbetrieb einstellen muss, vorstellen können, dass Ihre Mannschaft sechs Monate später dort steht, wo sie steht?

Nein. Zu dem Zeitpunkt nicht. Aber witzigerweise hat mich ein Kumpel darauf hingewiesen, dass unsere Story ja ziemlich ähnlich zu der von Sechzig ist, als die nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga in der Regionalliga neu anfangen mussten. Er meinte, ich könne heute ja genau das werden, was Daniel Bierofka bei den Löwen war: derjenige, der den Neuanfang anpackt. Von da an war ich motiviert und habe die Arbeit aufgenommen.

Und seitdem läuft es wie geschmiert?

Nein. Es ist sportlich viel besser gelaufen wie gehofft, das schon. Aber wir wussten ja bis eine Woche vor Saisonstart nicht, ob wir wirklich die Lizenz bekommen und in der Regionalliga spielen dürfen. Erst als der Spielplan öffentlich wurde, auf dem wir auch aufgeführt waren, war ich mir sicher: Wir dürfen wirklich starten. Bis dahin war es für das härteste, was ich im Fußball nie erlebt habe. Kaderplaner Roman Plesche und ich, wir hatten so viel Arbeit für den Wiederaufbau in diese Mannschaft gesteckt… Hätten wir dann nicht starten dürfen, wäre ich daran kaputtgegangen. Aber der Fall ist ja Gott sei Dank nicht eingetreten.

Und so wurde aus dem Albtraum des Frühjahrs ein richtiges Fußballmärchen?

Ja, zu 100 Prozent. Wie gesagt lief nicht alles immer reibungslos. Auch sportlich mussten wir schon fünf Niederlagen hinnehmen. Aber im Unterschied zum letzten Jahr ist der Verein dann ruhig geblieben. Das kannte ich als Trainer ja noch gar nicht. (lacht) Aktuell ist es echt schön, Trainer bei Türkgücü zu sein. Wie der Abstieg zustande kam, war Mist. Ich wäre lieber sportlich abgestiegen. Aber aus der heutigen Sicht ist es echt ein Glücksfall, dass sich Türkgücü gezwungenermaßen so entwickeln konnte.

Es ginge sogar noch schöner, ein Wiederaufstieg ist ja nicht ausgeschlossen. Ist das Ihr Ziel?

Ich möchte als Trainer den maximalen Erfolg, ich möchte jedes Spiel gewinnen. Wenn man das schafft, ist der Aufstieg die logische Konsequenz. Aber das eigentliche Ziel ist es erst mal, den Verein weiter zu stabilisieren. Obwohl… Ich muss auch sagen: In der 3. Liga zu trainieren, war eine supergeile Zeit und ich träume davon, irgendwann wieder in die 3. Liga zurückzukehren. (Jacob Alschner)

Aufrufe: 01.10.2022, 10:26 Uhr
Jacob AlschnerAutor