2024-04-25T14:35:39.956Z

Ligabericht
Ein Bild für die Ewigkeit: Die Mannschaft von Viktoria Kahl unmittelbar nach dem feststehenden Aufstieg in die Bayernliga. Foto: Viktoria Kahl
Ein Bild für die Ewigkeit: Die Mannschaft von Viktoria Kahl unmittelbar nach dem feststehenden Aufstieg in die Bayernliga. Foto: Viktoria Kahl

Die "Möglichmacher" von Kahl und ihr Eichhörnchen-System

Von der Bezirks- in die Bayernliga: Viktoria Kahl feiert den größten Erfolg der Vereinsgeschichte, weiß aber auch um die Schwere der neuerlichen Aufgabe

Das Wort "Märchen" wird im Fußball oft und gerne verwendet - fast schon ausgeschlachtet. Deshalb muss man vorsichtig mit der Verwendung sein, um dessen Wertigkeit nicht in Gefahr zu bringen. Auf Viktoria Kahl, das den Aufstieg in die Bayernliga über den Umweg Relegation geschafft hat, trifft dieser Begriff jedoch zu wie auf wohl keinen anderen Neuling in der 5. Liga. Vor zwei Jahren noch in der Bezirksliga haben die Unterfranken das Unmögliche möglich gemacht und sind schnurstracks durchmarschiert. "Wir erleben derzeit nicht nur die erfolgreiche Phase der Vereinsgeschichte, sondern auch die interessanteste", berichtet Andre Kasiow, Sportlicher Leiter in Kahl.

Zugegeben, auf der Landesliga-Landkarte ist Viktoria Kahl keine unbekannte Mannschaft, gehört seit Jahren praktisch zum Inventar dieser Spielklasse. Der Abstieg in die Bezirksliga kann in diesem Zusammenhang als Betriebsunfall tituliert werden, den es einfach zu überstehen galt. Doch dass es nach der LaLi-Rückkehr gleich nochmal mit einem Aufstieg klappen könnte - das wollte in Kahl lange keiner so richtig wahrnehmen. "Keiner von uns hat das Wort Bayernliga auch nur sagen wollen", blickt der 48-jährige Vereinsfunktionär zurück.


"Die Mannschaft hat sich in Windeseile gefunden"

Dass im aktuellen Kader einige Akteure wie Torjäger Janik Heßler oder Spielmacher Aydin Gökhan mit höherklassiger Erfahrung zu finden sind, entreißt Viktoria Kahl im ersten Moment den Nimbus eines Außenseiters. Doch nach dem Bezirksliga-Abstieg mussten zahlreiche Nachwuchskicker integriert, eine neue Mannschaft aufgebaut werden. Fleißarbeit fernab irgendwelcher Visionen. "Glücklicherweise haben die Ideen unseres Trainers Nils Noe dann schnell gefruchtet, die Mannschaft hat sich in Windeseile gefunden."

Dennoch war der Klassenerhalt das vorrangige Ziel für die Saison 2018/19. Man wollte sich profilieren, das Team in Ruhe entwickeln und den Abstieg vergessen machen. Andre Kasiow gibt allerdings zu: "Im stillen Kämmerlein habe ich schon auf eine Platzierung zwischen Rang 5 und 10 gehofft." Das Team um seinen Sohn und Torhüter Patrick Kasiow erfüllte die heimlichen Vorgaben des Sportlichen Leiters nicht nur, sondern übertraf sie meilenweit. "Man hat schnell gesehen, dass wir mit den absoluten Topmannschaften mithalten können. Trotzdem war der Bayernliga-Aufstieg weit, weit weg."


"Im Feiern sind die Jungs längst Bayernliga"

Nach einer starken Saison mit 17 Siegen, fünf Unentschieden und acht Niederlagen konnten aber selbst die größten Pessimisten die Tatsache nicht mehr verleugnen, dass Viktoria Kahl - nur einen Punkt hinter Meister Karlburg - auf direkten Weg in die 5. Liga war. Und nach dem - vor allem im Hinspiel überzeugenden - Relegationsduell gegen Jahn Forchheim fiel die Party umso enthusiastischer aus. "Doch, doch. Im Feiern sind die Jungs längst Bayernliga", berichtet Andre Kasiow, der vor seiner Zeit in Kahl u.a. bei Aschaffenburg im Nachwuchsbereich als Trainer aktiv war.

Durch seinen Vorgänger und Bekannten Benni Hotz, der inzwischen Funktionär beim Regionalligisten Viktoria Aschaffenburg ist, landete Andre Kasiow, der in Mainaschaff lebt, dann vor zwei Jahren bei Kahl. Die beiden Viktorias trennten damals nicht nur zwei Spielklassen, sondern subjektiv betrachtet auch Welten. Dieser Abstand hat sich nun etwas verringert - auch dank der guten Arbeit von Kasiow, der auf ein großes Spieler- und Talente-Netzwerk zurückgreifen kann.


Kahl profitiert von einer fußballverrückten Region

Diese Kontakte waren auch nötig, um das gerade einmal 8.000-Einwohner zählende Kahl in die Bayernliga zu führen. "Man muss schon zugeben, dass wir sehr von den starken Vereinen in der Region profitieren. Unsere Spieler haben in Frankfurt, Offenbach, Aschaffenburg oder auch Alzenau eine sehr gute Ausbildung genossen." Das fußballerische Potenzial des Dorfes in Unterfranken ließe es Kasiow zufolge nicht zu, Bayernliga-Fußball zu ermöglichen. Bis auf Jungspund Emirhan Sezer gehöre auch nur ein gebürtiger Kahler dem aktuellen Kader an.

Nichtsdestotrotz steht bei Viktoria Kahl eine geschlossenene Mannschaft auf dem Platz, die im Örtchen fest verwurzelt und angesehen ist. Das liegt vor allem daran, dass der Kern des Teams bereits seit mehreren Jahren zusammenspielt. "Und wir versuchen alles, damit das Umfeld stimmt. Wir wollen eine familiäre Atmosphäre - und das schätzen die Spieler." Andre Kasiow schafft es also regelmäßig Kicker aus der Region mit "sanften" Argumenten zur Viktoria zu locken. Denn "hartes" Geld spielt in Kahl nur eine untergeordnete Rolle, wie der Funktionär betont.


Der Aufstiegskader bleibt zusammen

Natürlich müsse der Etat für die Bayernliga nun genauso erweitert werden wie das Betreuer- und Funktionsteam. Auch das Umfeld muss den neuen Anforderungen noch etwas angepasst werden. "Wir haben derzeit alle Hände voll zu tun. Glücklicherweise sind wir mit den Kaderplanungen schon relativ weit, sodass wir uns auf andere Dinge konzentrieren können", erzählt der 48-Jährige, der sich freut, dass die Aufstiegsmannschaft in großen Teilen zusammenbleiben wird. Nur einige, wenige Ergänzungen sollen vorgenommen werden.

Doch auch, wenn Viktoria Kahl eigenen Vorstellungen zufolge eine "schlagkräftige Mannschaft" in das Bayernliga-Rennen schicken wird, wird der Aufsteiger wohl Abstiegskandidat Nummer 1 sein. "Das wird schon allein dadurch deutlich, dass Forchheim vor allem im zweiten Spiel eine große Hausnummer für uns war. Und der Jahn war in der letzten Saison Kellerkind. Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen." Doch gerade, weil man sich bei den Unterfranken über die Rolle in der 1. Bayernliga-Saison der Vereinsgeschichte bewusst ist, sieht man eine Chance, zu bestehen.


Viktoria Kahl und das "Eichhörnchen-System"

Nach dem "Eichhörnchen-System", wie es Kasiow nennt, will man Punkt um Punkt sammeln, für die ein oder andere Überraschung sorgen. Und dass Duelle gegen Großbardorf, Bayern Hof oder Eltersdorf zu absoluten Fußballfesten im Ort am Main werden, steht sowieso bereits jetzt fest. "Alles andere als ein Nichtabstiegsplatz wäre unrealistisch", betont Andre Kasiow noch einmal. Unrealistisch war vor Jahresfrist jedoch auch der Bayernliga-Aufstieg...

Aufrufe: 028.5.2019, 13:15 Uhr
Helmut WeigerstorferAutor