2024-05-10T08:19:16.237Z

Analyse

Kabinengespräch: "50+1 lehnen die meisten Fans ab!"

Philipp Knappmeyer, Max Wegner und Michael Meier diskutieren das Für und Wider, wenn ein Scheich mit dem großen Geld an der Vereinstür anklopft.

Pünktlich zum Start des Amateurfußballs und der Bundesliga präsentiert FuPa Ostwestfalen eine weitere Ausgabe von „Kabinengespräch – die dritte Halbzeit“. Dieses Mal diskutieren Philipp „Lippi“ Knappmeyer, Mitorganisatoren der Lesebühne Lübbecke, und Michael Meier mit Max Wegner. Max ist selbst auch Vorstandsmitglied im Jugendförderverein des FC Lübbecke und außerdem ein waschechter Lübbecker, der den Sprung in die 2. Bundesliga geschafft hat, jetzt bei Fortuna Düsseldorf in der Regionalliga kickt und nie den Bezug zu seiner Heimatstadt verloren hat.

Michael Meier: Philipp, ihr seid ja immer für eine Überraschung gut. Mit der „Fußballkulturellen Lesebühne“ ist Euch das ja wieder einmal gelungen. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Philipp Knappmeyer: Das ist eigentlich in einem ganz entspannten Rahmen entstanden. Viele im Umfeld des FC lesen gerne die 11Freunde. Hier werden ja viele Dinge rund um den Fußball von einer anderen Perspektive aufgezogen. Zudem folgten auch immer mehr die Veröffentlichungen rund um Themen wie Korruption beim DFB oder unglaubliche Enthüllungen bei „Football Leaks“. Es gibt eine Vielzahl von Autoren auf dem Markt, die sich sehr differenziert mit dem Produkt Fußball auseinandersetzen. Zudem hatte ich mit meinem Bruder Patrick die 11Freunde-Lesereihe in Düsseldorf besucht und wir haben den ganzen Abend Tränen gelacht. Diesen Mix aus Humor und Kritik fanden wir enorm cool. Wir haben das anschließend mal im Förderverein besprochen. Da kam schnell der Gedanke, solche Formate nicht immer nur den großen Städten wie Köln oder Berlin zu überlassen, sondern auch einmal in Lübbecke einen Akzent zu setzen. Erster Ansprechpartner war Jens Kirschneck von 11Freunde.

Er ist Mindener und hat dadurch einen lokalen Bezug. Die Antwort auf unsere Mail war gleich positiv. Letztlich war das auch bei allen anderen Autoren der Fall. Unsere Liste stand nach gerade einmal einer Woche. Wir wollten auf jeden Fall Ronny Blaschke (erhielt bereits 2007 die Auszeichnung „Fußballbuch des Jahres“ von der Deutschen Akademie für Fußballkultur) und Christof Ruf (Autor des Buches „Fieberwahn – Wie der Fußball seine Basis verkauft“) haben. Es ging dann sehr schnell. Nur bei Ansgar Brinkmann hatten wir keinen direkten Kontakt. Das lief ausschließlich über den Manager (lacht). Man muss aber auch sagen, dass wir die Sponsoren gefunden haben, die das Konzept unterstützen. Denn ganz umsonst kommen die Autoren natürlich auch nicht. Aber auch hier war die Resonanz total positiv, solch eine Veranstaltung in Lübbecke aufzuziehen. Es war von Beginn an klar, nicht an einem Ort zu bleiben, sondern mit den Veranstaltungsorten durch die Stadt zu wandern. Und ich denke, wir haben ganz interessante Örtlichkeiten gefunden.

Max Wegner: Wir haben noch eine spannende Lesung für Kinder im Dezember am Start und packen ja auch das Thema „Schiedsrichter“ an. Die Idee ist einfach ziemlich cool. Ich bin mir sicher, dass das Projekt auf großes Interesse stößt. Mir gefällt es außerdem immer sehr, wenn Lübbecke von sich Reden macht.

50+1-Regelung

Knappmeyer: Männer, kommen wir aber mal auf die Dinge zu sprechen. Welche Art von Fußball will man bei uns in Deutschland, beispielsweise im Vergleich zur Premier League, sehen? Sollte man die 50+1-Regelung beibehalten oder sollte man den Weg freimachen für große internationale Investoren, um in diesem Spiel international noch wettbewerbsfähig zu sein?

Meier: Wir drei werden das sicherlich entscheiden (lacht). Ich denke, die meisten Fans in Deutschland lehnen das ab. Aber ich vermute mal, die Vereine ticken da anders. Sie werden über kurz oder lang die Tür für 50+1 aufmachen. Auf die Fans wird dabei nur wenig Rücksicht genommen. Sie sollen für Stimmung in den Stadien sorgen. Dennoch sind sie auch oft ein Gegenpol. Die Fans wollen sich „ihren“ Fußball erhalten und die Marke nicht verkaufen. Der normale Fan möchte weiter ins Stadion gehen, für bezahlbares Geld, seine Stadionwurst essen und Bierchen trinken. Gerade in England hat man gesehen, wo bei den großen Vereinen die Reise hingeht. Die Ticketpreise werden immer teurer - und die Stimmung hat im Vergleich zu vor zehn Jahren eindeutig nachgelassen. Der normale Zuschauer kann sich die Preise teilweise nicht mehr leisten und vielen Vereinen ist es vielleicht auch lieber, angepasste Champagner-Trinker im Stadion zu haben. Die machen wenigstens keine Stimmung gegen den Verein. Bei vielen Vereinen wie aktuell dem Hamburger SV oder meiner Borussia aus Mönchengladbach werden auf einmal die Stadionhymen geändert. Ich glaube nicht, dass darüber mit den Fans diskutiert wurde. Ob 50+1 für alle Vereine allerdings ratsam ist, wage ich zu bezweifeln, weil immer mehr Leute etwas zu sagen haben, die vom Fußball so viel Ahnung haben wie ich vom Computer-Bauen. Das könnte für Vereine auch nicht gut ausgehen.

Knappmeyer: Mich ärgert am meisten daran, dass ein offizieller Wettbewerb ja eigentlich nicht mehr stattfindet. Gerade in England weißt Du doch eigentlich schon vor der Saison, wer die ersten sechs Plätze belegt. Das was ja eigentlich das Leistungsprinzip sein soll, nämlich sich mit besonders hohen Anstrengungen Erfolge zu erarbeiten, wird dadurch ja schon im Kern zunichte gemacht. Ich schaue eigentlich Fußball wegen des Wettbewerbs, aber den wird es dann mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr geben. Mich nervt diese Zukunft komplett. Deswegen schaue ich mir vieles gar nicht mehr an. Die Vorrunde der Champions League z.B. ist doch der größte Mist.

Meier: Ich bin komplett bei Dir, Philipp. Aber darauf werden die meisten Vereine sicherlich keine Rücksicht nehmen. Es wird ja auch immer gesagt, es ändert sich nur dann etwas, wenn die Fans dem Stadionbesuch fernbleiben, sich nicht immer die neuesten Trikots kaufen. Ich glaube da nicht dran. Gladbach hat das erste Saisonspiel gegen Schalke einen Topzuschlag von 20 Euro auf die günstigsten Sitzplatzkarten erhoben. Und sei Dir sicher, dass Stadion wird trotzdem ausverkauft sein.

Knappmeyer: Da halte ich dagegen. Nicht das Handeln des Einzelnen bewirkt etwas, sondern nur, gebündelt sein Interesse zu kommunizieren – und eine echte Reaktion, also Veränderung bzw. Erhalt von Regeln zu bewirken. Das ist vergleichbar mit der „Fridays for future-Bewegung“.

Wegner: Wechselt mal die Brille: Aus Sicht der Vereine ist es doch ideal, wenn da jemand um die Ecke kommt, unendlich Geld investiert, die besten Spieler holt, am besten noch ein neues Stadion und Trainingsgelände baut und den großen Erfolg verspricht. Gerade Vereine, die schnell nach oben wollen bzw. oben bleiben wollen und nicht die besten finanziellen Mittel, zu viel Konkurrenz oder strukturell stärksten Regionen im Rücken haben, können solch ein Angebot sicher nicht abschlagen. Auch wenn sie vielleicht Bauchschmerzen mit der Entscheidung haben. Es ist schade, wenn dadurch die Kultur der Vereine verloren geht, sich Fangruppen abwenden und zu viele Leute mitsprechen wollen. Gleichzeitig sieht man aber auch bei Leipzig, dass es damals sehr schlecht geredet worden ist, mittlerweile das Stadion aber meist sehr gut gefüllt ist, weil die Leute einfach guten und nun auch internationalen Fußball sehen wollen und sich keine Gedanken mehr machen wo das Geld herkommt. Der Erfolg wäre ohne den Investor wahrscheinlich nicht möglich gewesen und Leipzig wäre nicht da, wo sie heute sind.

Meier: Das ist ein wahrscheinlich ein ziemlich realistischer Blick auf die Dinge. Aber hast Du schon einen Verein gehört, der die Aktionen der Fans, die sich kritisch äußern, z.B. auf Bannern im Stadion, gut gefunden hat oder sogar unterstützt hat? Ich kann mich daran nicht erinnern. Vielleicht könnte sich was ändern, wenn Fußballfans vereinsübergreifend ihre Stimme erheben würden. Und zwar gemeinsam und nicht im eigenen Stadion.

Knappmeyer: Es gab interessante Beispiele, dass Fans sich als Mitglieder im Verein Mitbestimmung sichern. Hansa Rostock ist sicher eins der besten Beispiele. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die, die für sich reklamieren, Hansa zu sein – als Fans und Mitglieder - eine Umwandlung von Teilen des Vereins in unternehmerische Strukturen zulassen – aber selbst da ist es jetzt passiert. Diesen Diskurs geht RB Leipzig ja schon qua Satzung gar nicht mehr ein. Mehr als grenzwertig.

Meier: Klar ist doch, dass Vereine über Jahre keinen Erfolg haben werden, die sich nicht für Investoren öffnen. Geld schießt eben doch Tore. Auch andere Vereine wie RW Essen und andere Traditionsvereine, die sehr fanbezogen agieren, sind mittlerweile sportlich in der Versenkung verschwunden. Ich bin der Meinung, die meisten Vereine stellen den Erfolg über traditionelle Dinge. Das ist aber nicht nur im Fußball der Fall. Das Wertegerüst, das auch in Vereinen vermittelt wird, gerät immer mehr in den Hintergrund.

Wegner: Geld schießt nicht immer Tore. Zumindest nicht sofort. Man sollte schon nochmal erwähnen, dass es trotz der großen Gehälter und der großen Namen der Spieler vier Jahre gedauert hat, bis Leipzig in Liga 3 aufgestiegen ist. Und dann bezieht bitte nochmal die Rolle der Spieler in diesem System mit ein. Hier ist es so, dass natürlich mit Geld gelockt wird und ich persönlich auch Spieler kenne, die sich ligatechnisch verschlechtert, jedoch finanziell ziemlich stark verbessert haben. Es ist als Spieler doch total schwierig abzuwägen. Auf der einen Seite will man den größtmöglichen sportlichen Erfolg in der möglichst höchsten Spielklasse. Auf der anderen Seite weißt du, dass deine Zeit als Spieler begrenzt ist und du ziemlich schnell sehr viel Geld verdienen musst. Natürlich macht man sich dann Gedanken und hofft natürlich auch, wenn man sich für den sportlichen Rückschritt entscheidet, in zwei, drei Jahren wieder in der aktuellen Liga ange-kommen zu sein. Anderseits gibt es natürlich auch Fälle, wo die Investoren bei Misserfolg wieder abspringen. Dann hast du dich sportlich verschlechtert, nur Kopfschmerzen und im schlechtesten Fall kein Geld. Abschließend muss ich sagen, dass ich mich nicht zu 100% auf eine Seite stellen kann.

Aufrufe: 013.8.2019, 09:00 Uhr
Michael MeierAutor