2024-05-10T08:19:16.237Z

Vereinstreue
Von ihren Fans werden die Spieler der Viktoria Aschaffenburg mit viel Herzblut und Leidenschaft unterstützt.
Von ihren Fans werden die Spieler der Viktoria Aschaffenburg mit viel Herzblut und Leidenschaft unterstützt. – Foto: Moritz Hahn

"We are blue, we are white - we are Schönbusch-Dynamite!"

Vertreter der "Blue-Boys" und "Tradition 1901" geben gemeinsam mit dem Fanbeauftragten einen Einblick in die Seele der Viktoria.

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Ohne sie wird es mucksmäuschenstill im Stadion. Ohne sie herrscht keine Stimmung, gibt es keine Atmosphäre, keine Emotionen neben dem Spielfeld. Ohne sie wäre der Fußball nicht das, was er ist: Leidenschaft, Hingabe, Rausch. Die Fans, die bei Heim- und Auswärtsspielen ihre Mannschaft anfeuern und ihrem Verein in guten wie in schlechten Zeiten die Treue halten. So wie beim Regionalligisten Viktoria Aschaffenburg.

„Mein Vater hat mich mitgenommen zu meinem ersten Spiel“, berichtet Jochen Dlugosch. Er war damals zehn und Aschaffenburg kickte in der Oberliga Hessen. Seitdem ist er „mit dem Viktoria-Virus infiziert“, wie er es nennt. Seitdem hängt sein Herz an dem 1904 gegründeten Club aus Unterfranken – auch genetisch bedingt. Sein Großvater Josef Beickert war in den 50er und 60er Jahren, als die Weiß-Blauen in der Amateurliga aufliefen, mit dem ersten Elektrogeschäft in der größten Stadt am Bayerischen Untermain Sponsor des Vereins.

Je mehr Erfolg, desto mehr Anhänger im Stadion

„Ich war immer schon Befürworter von lokalen Mannschaften“, berichtet der heute 54-Jährige, der früher für TuS Leider, einen Aschaffenburger Ortsclub, die Fußballstiefel geschnürt hat. Seit 2017 ist er nun Fanbeauftragter bei der Viktoria. Er, der noch die glorreichen Zweitliga-Zeiten in den 80ern miterlebte, hatte lange Zeit selbst einen Fanclub, die „Ascheberger Jungs“, geleitet, aus dem später der Fanclub „Tradition 1901“ hervorging.

„Wir haben momentan einen harten Kern von 50, 60 aktiven Fans“, sagt Jochen Dlugosch, „bei größeren Spielen sind es auch mal 100 bis 200“. Doch das war nicht immer so, erinnert er sich. „Viele Jahre waren wir in der Versenkung verschwunden, sind in der Oberliga rumgedümpelt. Seitdem die Führungsriege des Vereins gute Arbeit leistet, wird das auch von den Fans wieder honoriert.“ Die einfache Rechnung dahinter: Je mehr Erfolg da ist, desto mehr Anhänger kommen ins Stadion. „Mit zunehmender Etablierung in der Regionalliga sind die Zahlen gestiegen.“

Auch Dlugosch unterscheidet zwischen Fans und „normalem“ Publikum. „Wir hatten lange eine Basis von 200 Zuschauern, die definitiv zum Spiel gekommen sind; mittlerweile sind wir bei etwa 800 bis 1.000 angelangt.“ Im Schnitt zählt die Viktoria damit neben der SpVgg Unterhaching zu den führenden Heimteams der Liga. Mit Verhältnissen wie in Nordrhein-Westfalen, wo etwa Rot-Weiß Essen durchschnittlich rund 8.000 Fans an der Hafenstraße begrüßen darf, sei dies freilich nicht vergleichbar. „Dort gibt es Großstädte und somit viel mehr Menschen.“

Im Schnitt zählt die Viktoria in Sachen Fanzahlen neben der SpVgg Unterhaching zu den führenden Heimteams der Liga.
Im Schnitt zählt die Viktoria in Sachen Fanzahlen neben der SpVgg Unterhaching zu den führenden Heimteams der Liga. – Foto: Peter Mularczyk

Aschaffenburg hat 70.000 Einwohner, mit den umliegenden Orten komme man auf etwa 150.000. Früher, zu Amateurliga-Zeiten, wenn der 1. FC Nürnberg zu Gast war, kamen schon mal 20.000 ins Stadion am Schönbusch. Lang ist's her. Doch tendenziell zeigt sich Dlugosch zufrieden mit der Resonanz. „Fürs Spiel gegen die kleinen Bayern hatten wir in dieser Saison 2.000 Karten im Vorverkauf an den Mann und an die Frau gebracht.“ 2019 war das Stadion mit 6.000 Zuschauern beim Toto-Pokal-Halbfinale gegen den TSV 1860 München gut gefüllt. „Das ist dann eine andere Atmosphäre als bei normalen Heimspielen. Da kommen Leute, die du normalerweise nicht siehst bei so einem Spiel und das Team mitanfeuern.“

"Die haben kein Traditionsbewusstsein mehr"

Einer, dessen Herz ebenfalls seit Kindesbeinen weiß-blau schlägt, ist Frank Schipke, seit fünf Jahren Vorsitzender des 2015 gegründeten SVA-Fanclubs „Tradition 1901 e.V.“ Er ist seit mehr als 35 Jahren Fan der Viktoria. „ Das ist mein Heimatverein. Das war er schon immer – und wird er auch immer bleiben.“

Anhänger von Clubs aus dem Fußball-Oberhaus ist der 47-Jährige schon lange nicht mehr. „Ich habe deutlich Abstand genommen zur Bundesliga und zum Profigeschäft, weil ich das für eine Farce halte, was da läuft“, spricht Schipke Klartext – und ergänzt sogleich: „Aus meiner Sicht verdienen die Leute zu viel; die haben kein Traditionsbewusstsein mehr; ihnen ist egal, wo sie spielen, in welchem Verein. Das ist nur noch ein Geschäft. Die Fans werden verarscht von hinten bis vorne.“

Deshalb hat sich Frank Schipke, der auch jeden Sonntag zur Partie seines Heimatvereins in der Kreisklasse geht, vor Jahren ganz bewusst für den Amateursport entschieden. „Die Viktoria war schon immer mein Herzblut. Ich bin immer dabei geblieben, auch in Zeiten der Insolvenz. Wenn man Fan ist, sollte man auch Fan bleiben - auch wenn's mal nicht so gut läuft.“

Stets ganz nah dran an der Mannschaft: die "Blue Boys Aschaffenburg".
Stets ganz nah dran an der Mannschaft: die "Blue Boys Aschaffenburg". – Foto: Foto: Facebook

Das sieht auch Ilias Pandelidis von den „Blue Boys Aschaffenburg“ so. Er ist seit mehr als zwei Jahren Vorsitzender des rund 50 Mitglieder starken Fanclubs, dessen harter Kern sich aus etwa 25 SVA-Supportern zusammensetzt. „Mein älterer Bruder hat in der U19 gekickt, ich bin mit dem Verein groß geworden“, sagt er, der bei jedem Heimspiel im Stadion mit dabei ist. „Das gehört halt irgendwie mit dazu.“

Genau wie Schipke liebt auch er den „ehrlichen Fußball, den man sich noch leisten kann“. Der 32-Jährige schätzt besonders die Atmosphäre am Schönbusch genauso wie bei Auswärtspartien. „Es gibt doch nix Geileres als so ein Spiel wie gegen Garching oder Aubstadt. Da hast du nicht diesen Schickimicki - du hast den Fußball, den du auch aufm Bolzplatz in der B-Klasse siehst“, gerät der gebürtige Ascheberger ins Schwärmen - und präzisiert: „Ich meine vom Feeling her - fußballerisch ist das freilich eine andere Sache. Aber das Außenrum: die Bratwurst, der Bierduft, die Gemeinschaft mit den Jungs. Und wenn dann ein Tor fällt, ist das Ekstase pur!“

Keine Vereinskneipe: "Das ist ein Armutszeugnis"

Die Viktoria bestimmt seinen Alltag, das gibt Ilias Pandelidis offen zu. Täglich verfolgt er jedes Nachrichten-Schnipsel in den Sozialen Medien oder auf Online-Portalen wie FuPa. „Ich bleib da immer uptodate – und Heimspiel am Wochenende ist sowieso Pflicht.“ Vor und nach der Begegnung trifft er sich mit seinen Jungs meist im „Biersepp“, der Fan-Kneipe der „Blue Boys“ in der Innenstadt. Notgedrungen. Denn eigentlich gab es für die Viktoria-Anhänger mal einen Treffpunkt „unter der Tribüne“. Doch das Stadion-Stüberl wurde nach einem Wasserschaden bis heute nicht wieder hergerichtet. Sehr zum Leidwesen der weiß-blauen Gefolgschaft.

Auch Frank Schipke bedauert den Verlust. Zudem hat seit gut zwei Jahren das rund 500 Meter vom Stadion entfernte Vereinsheim am SVA-Trainingsplatz geschlossen. Den einstigen Pächter der Vereinskneipe habe man rausgeschmissen, berichtet der 47-Jährige. „Keine Ahnung, wann sie wieder aufmachen“, blickt er wenig hoffnungsvoll in die Zukunft. „Fakt ist: Viktoria ist der höchstklassigste Verein in ganz Aschaffenburg, der keine Vereinskneipe hat. Das ist ein Armutszeugnis.“ Derzeit treffen er und die etwa 30 Tradition-Mitglieder sich vor Anpfiff in der Gaststätte des gegenüber liegenden Tennisclubs.

Derartige Probleme und Anliegen an die Vereinsführung heran zu tragen, ist Aufgabe von Jochen Dlugosch. Als Fan-Beauftragter fungiert er als Bindeglied zwischen Verein und Anhängerschaft. Zudem kümmert er sich unter anderem um Anfragen hinsichtlich Kartenreservierungen oder informiert die heimischen Fans über gewisse Regularien bei Auswärtsspielen. Ebenso organisiert er regelmäßige Fanclub-Meetings, bei denen diverse Themen von Vereins- und Fanclub-Seite angesprochen werden. So wie etwa der Wunsch vieler Viktoria-Supporter, dass für Auswärtsfahrten vom Verein ein Bus zur Verfügung gestellt wird.

„Wir diskutieren schon seit mehr als fünf Jahren mit den Verantwortlichen darüber“, zeigt sich Frank Schipke verärgert, dass bis heute hierzu nichts geschehen ist - und die Fans ihre Reisen in fremde Stadien selbst organisieren müssen. „Der VfB Eichstätt hatte sogar zehn Fans im eigenen Mannschaftsbus mit dabei. Wir wünschen uns, dass der Verein endlich aktiv wird und künftig ein entsprechendes Fahrzeug auf die Beine stellt.“

„Da wird dann mal ein Bierchen mehr getrunken"

Die Auswärtsfahrten waren zuletzt aufgrund der Corona-Problematik generell weniger geworden - „aus Angst sich im Bus anzustecken“, wie Jochen Dlugosch berichtet. Er selbst fährt häufiger im Privatauto zu den Spielen und nimmt Freunde mit. Wenn es über mehrere hundert Kilometer quer durch Bayern, etwa nach Burghausen oder Buchbach ging, hatte er bislang stets eine Übernachtung am Zielort miteingeplant. „Meistens nehme ich dann auch meine Frau mit – die akzeptiert auch, dass sie dann mit zum Spiel geht“, erzählt er und lacht.

„Vor Corona gab's die zwei Bayernliga-Saisons hintereinander, in denen ich kein einziges Spiel verpasst habe – auch nicht auswärts“, erinnert sich Frank Schipke. „Nach Corona ist ein bisschen der Zug rausgegangen, was die Auswärtsbesuche betrifft. Bei einem Heimspiel ist aber nach wie vor der ganze Tag geprägt von Viktoria – da gibt’s sonst nichts anderes!“

Ein zuverlässiger Zuschauermagnet: Wenn die "kleinen Bayern" am Schönbusch zu Gast sind, ist die Hütte (meist) voll.
Ein zuverlässiger Zuschauermagnet: Wenn die "kleinen Bayern" am Schönbusch zu Gast sind, ist die Hütte (meist) voll. – Foto: Adrian Goldberg

Mit dem Abschneiden der Mannschaft ist er zufrieden. Er geht da mit Trainer Jochen Seitz konform und meint: „Der Klassenerhalt und ein anständiger Tabellenplatz sind geschafft, mir reicht das vollkommen aus.“ Blue-Boys-Kollege Ilias Pandelidis hatte sich hingegen etwas mehr erhofft. Doch am Ende zeigt er sich zufrieden mit dem Rang im Mittelfeld. „Wir leiden immer sehr mit - so wie gegen Eichstätt, als wir in der 93. Minute den Elfer verschossen haben“, blickt er zurück. Endstand: 0:0. Drei wichtige Punkte durch die Lappen gegangen. Das stecken er und seine Fanclub-Mannen dann zwar nicht mit klassischem „Frust-Saufen“ weg, aber: „Da wird dann schon mal ein Bierchen mehr getrunken, sagen wir's mal so.“

„Ja, die Jungs haben meist nen guten Durst“, kann auch Jochen Dlugosch bestätigen. Vor allem bei Auswärtsfahrten. „Da kann's schon mal vorkommen, dass sie einiges intus haben, wenn die Fahrt etwas länger dauert.“ Doch im Stadion benehmen sich die Anhänger der Viktoria generell anständig, wie der Fanbeauftragte bescheinigt. Im Gegensatz zu manch anderen Fans seien die Ascheberger auswärts sogar recht beliebt. „Randaliert wird da nicht – die haben sich meist gut im Griff. Es sei denn, sie werden provoziert.“ Und Ilias Pandelidis fügt hinzu: „Von Gewalt distanzieren wir uns.“

"Das Gefühl es wächst nie so richtig zusammen"

„We are blue, we are white - we are Schönbusch-Dynamite!“ lautet eines der typischen Schlachtgesänge der Weiß-Blauen, die am Schönbusch schon immer ihren Stammplatz auf der Stehtribüne gegenüber der Haupttribüne haben. Oder: „Wir kommen nicht vom Neckar, wir kommen nicht vom Rhein, wir kommen von Viktoria Aschaffenburg am Main!“ Zur klassische Fan-Ausstattung eines Viktoria-Fans gehört definitiv der Schal, bestätigen Dlugosch und Pandelidis einhellig. „Die Leute ziehen auch mehr und mehr Trikots und T-Shirts an, setzen Mützen auf. Der Fanartikel-Verkauf ist ein nettes Zubrot für den Verein.“

Laut Jochen Dlugosch gibt es Fanclubs, die wesentlich lauter sind als die Anhänger der Viktoria. „Wacker Burghausen etwa hat eine sensationelle Unterstützung.“ Auch die Bayreuther Fans, die ihre Mannschaft künftig in der Dritten Liga anfeuern dürfen, seien nicht von schlechten Eltern. Zu den interessantesten Duellen aus Fan-Sicht zählt dem 54-Jährigen zufolge die Partie gegen Schweinfurt. Wegen dem Derby-Charakter. „Und auch gegen die Zweite von Bayern München, weil's hier in der Region viele FCB-Fanclubs gibt.“

In puncto Fan-Freundschaften zu anderen Clubs nennen Pandelidis und Dlugosch Namen wie Würzburger FV, Kickers Offenbach, SpVgg Bayreuth oder Borussia Fulda. Doch die meisten seien über die Jahre hinweg „etwas eingeschlafen“ oder ohnehin „nicht ganz so eng“ gewesen.

Wohin geht die Reise der Viktoria in der kommenden Saison? Es bleibt spannend....
Wohin geht die Reise der Viktoria in der kommenden Saison? Es bleibt spannend.... – Foto: Imago Images

Das Verhältnis der Aschaffenburg-Fanclubs untereinander – neben den beiden genannten gibt es noch die „Blue Fanatics“, „Frankenpower“, die „Heylandsfreunde“ und den „Viktoria Fanclub Schönbusch 1984“ - bezeichnet Frank Schipke als schwierig. „Die alten Fanclubs meinen, die neuen machen alles falsch. Da hat man manchmal das Gefühl es wächst nie so richtig zusammen hier. Das ist schade, denn es sind genug da, die den Verein unterstützen könnten.“ Man könne einfach nicht so miteinander. „Was wirklich die Gründe dafür sind, versteh ich auch nicht. Wir sind alles Fans der Viktoria, doch es gibt ein paar, die können sich untereinander nicht riechen. Bei uns und den Blue Boys gibt’s jedoch keine Probleme.“

Langfristiges Ziel heißt: Dritte Liga

Die heile Fußball-Welt mit völliger Harmonie gibt’s freilich in keinem Verein. Vor gewissen Unstimmigkeiten und Reibungspunkten ist auch Viktoria Aschaffenburg nicht gefeit. Doch die Fans wollen weiter positiv in die weiß-blaue Zukunft und in die bevorstehende Saison blicken. „Das langfristige Ziel unseres Vorstands ist es, dass die Viktoria in die Dritte Liga aufsteigt“, berichtet Jochen Dlugosch. Ein Ziel, dem sicherlich auch die Anhängerschaft des Vereins nicht abgeneigt ist. „Und mit dem Erfolg kommen gewiss noch mehr Zuschauer“, ist sich der Fanbeauftragte sicher. Dann erklingt es noch lauter: „We are blue, we are white - we are Schönbusch-Dynamite!“

Aufrufe: 025.6.2022, 08:00 Uhr
Stephan HörhammerAutor