Natürlich soll ein guter Kicker mit der Pille umgehen können, genügend Luft haben für 90 Minuten und sich im Kollektiv ein- bzw. unterordnen können. Ein wichtiges Stilmittel einer erfolgreichen Mannschaft im Kontaktsport Fußball ist aber auch eine gewisse Aggressivität, oft auch Griffigkeit oder Galligkeit genannt. Doch wo liegen die Grenzen? Was ist fair, was ist bereits unfair? Die Antwort darauf liefern Spieltag für Spieltag die Schiedsrichter, die bei Vergehen unterschiedlichster Art bekanntlich Karten verteilen. Diese persönlichen Strafen wiederum sind der Parameter für die sog. Fairnesstabelle. Ein Blick darauf in der Bayernliga Nord spuckt den SV Donaustauf als fairste und den 1. SC Feucht als unfairste Mannschaft aus. Doch wie aussagekräftig ist dieses Ranking? Sind die Feuchter tatsächlich die bösen Buben der Liga und die Staufer die Engelchen?
Zunächst eine generelle Einordnung: Spielabbrüche wegen entgleisender Fans oder aufgrund körperlicher oder verbaler Eskalationen auf dem Platz hat es im bisherigen Saisonverlauf nicht gegeben. Gott sei Dank. Denn derartige Ereignisse sind verabscheuenswürdig sondergleichen. Heißere Eisen in Sachen Sportgerichtsbarkeit waren bisher nur der Abbruch der Partie Gebenbach vs. FC Eintracht Bamberg wegen zu dichtem Nebel sowie der verrutschte Torpfosten bei Abtswind vs. Hof. In beiden Fällen kann man aber durchaus von höherer Gewalt oder einfach nur Pech reden. Menschen auf oder neben dem Spielfeld waren nicht der direkte Auslöser für diese Aufreger. "In der bisherigen Spielzeit hat es keine Probleme in Sachen Fairness gegeben", stellt auch Dr. Michael Völk fest. Er ist Mitglied im Verbands-Schiedsrichter-Ausschuss und somit für die Organsation der Referees in der Bayernliga Nord zuständig.
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Geht es um generelle Entwicklungen der Bayernliga Nord kann man ohne Weiteres die Süd-Staffel als Vergleich herbeiziehen. Ein Blick auf die Fairness-Tabellen beider bayerischen fünften Ligen zeigt: Donaustauf, die fairste Mannschaft der "Nord", hat einen Quotienten von 2,57. Das südliche Pendant, der FC Deisenhofen, 2,34. Am anderen Ende der jeweiligen Rankings stehen Feucht (4,78) und der TSV 1860 München II (4,31). In der Bayernliga Süd hat bisher kein Team über 100 gelbe Karten bekommen, im Norden mit Feucht und Kornburg zwei. Der Contrapunkt dazu: Neun ober-, niederbayerischen und schwäbischen Fünftligsten haben über 100 Punkte auf dem Konto, in der Oberpfalz und in Franken sind es nur fünf.
Zurück zur eingangs erwähnten Frage, ob beim 1. SC Feucht tatsächlich nur böse Buben spielen, weil die Mittelfranken laut Fairnesstabelle die unfairste Mannschaft der Spielklasse sind. Florian Schlicker, Trainer des Traditionsvereines, hat dazu eine klare Meinung: "Ich glaube nicht, dass wir die unfairste Mannschaft der Liga sind. Ganz im Gegenteil. Ich kann mich an kein gegnerisches Team erinnern, das nach einer Partie gesagt hätte, wir seien Treter." Doch Zahlen lügen bekanntlich nicht, und sprechen eine eindeutige Sprache. Das weiß auch der 42-Jährige.
Angesprochen auf die vielen Karten, die die Mannen um den aktuell rotgesperrten Tamino Gratz kassiert haben, versucht Schlicker das Ganze zu differenzieren. Klar, man spiele hart, was aber durchaus erlaubt und auch wichtig sei, um erfolgreich zu sein. "Wir haben nix zu verschenken. Keine Tore, keine Punkte, keine Zweikämpfe. Everybody's darling zu sein ist nicht Sinn dieser Kontaktsportart." Dem SC-Coach ist es aber wichtig, zu betonen, dass seine Jungs nicht überhart oder gar unfair agieren würden. "Einige Spieler sind einfach temperamentvoll und neigen ab und an zu Übersprungshandlungen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Aber solche Charaktere hat jede Mannschaft."
Also nicht nur böse Jungs in Feucht. Nur Akteure, die gewinnen wollen - und alles dafür einsetzen. Auch wenn sie dabei - nicht vorsätzlich - Grenzen überschreiten. Und die Engelchen am Fuße der Wallhalla? "Ja, wir haben eine brave Mannschaft. Vielleicht sogar eine zu brave", stellt SVD-Trainer Stefan Wagner fest. Jeder Verein, so der 54-Jährige, ist natürlich stolz darauf, als vorbildlich zu gelten. Der jeweilige Trainer ist hingegen nur mittelmäßig zufrieden, Rang 1 der Fairnesstabelle inne zu haben.
"Das ist ein zweischneidiges Schwert", macht Wagner deutlich - und erklärt warum: Natürlich sei seine Mannschaft darauf aus, viele Situationen spielerisch zu lösen. Dotzler, Grauschopf & Co. haben die nötige Qualität dazu. "Aber es hat eben auch nicht gereicht, dass wir aufsteigen. Weil es vorne Mannschaften gibt, die giftiger sind als wir." In gewissen Situationen, in denen es Spitz auf Knopf steht, vermisst der Staufer Coach ab und an Typen, die dazwischen hauen, ein Zeichen setzen, zeigen, wer Herr im Hause ist. "Manche Situationen, sind wir uns doch ehrlich, kann man einfach nicht spielerisch lösen."
Die Fairness-Tabelle der Bayernliga Nord - der 1. SC Feucht ist das eine extrem, der SV Donaustauf das andere. Doch es gibt noch ein Team, das eine Besonderheit aufweist: Der TSV Abtswind. Das Kräuterdorf hat die zweifelhafte Ehre, die meisten Roten Karten bis dato gesammelt zu haben. Sieben an der Zahl. Und somit mehr als doppelte soviele wie die nächsten Teams in dieser Rangfolge (Geesdorf, Gebenbach, DJK Bamberg mit jeweils 3). Zum Vergleich der Blick in die Bayernliga Süd: Dort ist der TSV 1860 Rosenheim mit fünf glatten Platzverweisen Spitzenreiter.
Auch Claudiu Bozesan, Trainer des TSV Abtswind, ist wie seinen Vorrednern eine Interpretation dieser nackten Statistik wichtig. "Der Grund für die vielen Roten Karten ist nicht, dass die Mannschaft undiszipliniert ist." Der erfahrene Coach spricht vielmehr von "Übermotivation", "unglücklichen Situationen" und einem gewissen Reifeprozess, in dem seine Team hier noch stecke. Zudem gebe es einige fragwürdige Entscheidungen - so wie zuletzt die Rote Karte gegen Fabio Groß in der Partie gegen Gebenbach - , die vielleicht mit der kartentechnischen Vorgeschichte von Abtswind zusammenhängen.
Der 56-Jährige hat aber erkannt, dass die Platzverweise eine Schwäche sind, an der man arbeiten muss. "Wir haben schon mehrmals über dieses Thema gesprochen", berichtet er. "Durch die vielen Unterzahl-Phasen und gesperrten Spieler verschaffen wir uns ja selber einen Wettbewerbsnachteil. Das kann nicht sein." Zu seinem guten Fußballer gehört eben neben der Technik, der Kondition und dem Gefühl für das Gefüge auch das Gespür, wann wie weit welche Grenzen überschritten werden dürfen...