2024-04-25T14:35:39.956Z

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Es ist zwar nur ein Archivbild, aber mit Symbolkraft: Calvin Sengül (2.v.r.) freut sich, wieder mit seinen Kollegen jubeln zu dürfen.
Es ist zwar nur ein Archivbild, aber mit Symbolkraft: Calvin Sengül (2.v.r.) freut sich, wieder mit seinen Kollegen jubeln zu dürfen. – Foto: Sportfoto Zink/O. Gold

Calvin Sengül - zurück auf dem Feld, zurück im Leben

Der 26-jährige Angreifer des SC Eltersdorf wurde in der Partie gegen den 1. SC Feucht nach langer Leidenszeit (Long-Covid) eingewechselt

Sportliche Gründe hatte seine Einwechslung keine. Das gibt Trainer Bernd Eigner offen und ehrlich zu. Die Partie gegen den 1. SC Feucht war nämlich längst zugunsten der Quecken entschieden, als Calvin Sengül in der 82. Minute im Tausch mit Robin Renner das Feld betrat. Auch wenn es nur gut zehn Minuten war, die der 26-jährige Angreifer mitwirken konnte: Sein Einsatz ließ die Herzen der Eltersdorfer höher schlagen - das von Bernd Eigner genauso wie von den "normalen" Fans.

Es verwundert nicht, dass Stadionsprecher, Queckenfunk-Macher und SCE-Stimmungsbarometer Holger Betzelt die richtigen Worte für das findet, was diese Rückkehr nach langer Leidenszeit für die "gesamte Queckenfamilie" bedeutete: "Er hat von Anfang an emsig an seinem Comback gearbeitet, ließ sich durch diese verdammte Krankheit nicht besiegen, denn diese Niederlage wollte er niemals hinnehmen. Daher war seine Einwechslung mehr als Gold wert. Sie war ein Zeichen für alle, dass man sich niemals hängen lassen darf." Ähnliches berichtet Bernd Eigner: "Sein Einsatz war nach dem Drama um ihn eine zwischenmenschliche Entscheidung. Calvin ist menschlich eine Granate. Jeder Eltersdorfer hat sich riesig mit ihm gefreut."

Der Angesprochene selbst spielt das Ganze etwas herunter. Wobei: Nach den schwierigen Wochen und Monaten zuletzt hat er noch besser zu schätzen gelernt, dass Normalität eben nicht normal ist und selbst simpelste Dinge, wie einfach nur gesund zu sein, von unschätzbarem Wert sind. Im Oktober 2021 hat sich Calvin Sengül wie viele andere im Team auch mit dem Coronavirus infiziert. "Der Verlauf an sich war sehr mild. Wie eine Erkältung. Nur an einem Tag hatte ich Fieber", blickt der zum damaligen Zeitpunkt vollständig geimpfte Versicherungskaufmann zurück.

Nachdem er wieder negativ war und nach einer mehrtägigen Genesungsphase war es für den Bamberger, der seit 2018 für die Quecken spielt, logisch, dass er wieder ins Mannschaftstraining zurückkehrt. "Ich habe zwar gemerkt, dass es langsam besser wird. Aber die Luft hat mir schon noch sehr gefehlt", erinnert sich der Vollblut-Fußballer. Bis zur Winterpause kam er noch zu einigen Kurzeinsatzen. Sein Hauptaugenmerk lag darauf, zur Rückrunde wieder fit zu sein - zumal im Ärzte grünes Licht gaben und keine Covid-Folgeschäden diagnostizierten. Er wollte unbedingt mithelfen, dass Eltersdorf die Regionalliga hält. "Zudem war ich vor der Infektion in einem guten Zustand." Sieben Tore erzielte er in 15 Spielen. Er war drauf und dran, den in den Profibereich abgewanderten Dickson Abiama vergessen zu machen.

Dann allerdings der Super-GAU, die Vollkatastrophe, die Bruchlandung. "Ich ließ mich kurz nach der Infektion boostern. Zu früh, wie sich später herausgestellt hat." Die 3. Impfung war zuviel des Guten. Als Calvin Sengül am 1. Januar wieder ins Training einsteigen wollte, "hat das nicht so gut geklappt", wie er ins einer wohl typischen nüchternen Art feststellt. Sein Zustand war nämlich deutlich dramatischer: Selbst bei leichtesten Spaziergängen schoss sein Puls in ungeahnte Höhen. Über drei Wochen hinweg aß er nur zwei Laugenstangen pro Tag. Mehr ging nicht - aus Geschmacksgründen, und von der Menge her.

Auch der so bitter nötige Genesungs-Schlaf blieb ihm verwehrt. "Nach einer Stunde bin ich wieder aufgewacht und mir war unendlich schlecht. Dann war an eine Nachtruhe nicht mehr zu denken." Doppelt bitter - und vor allem für die Psyche ein große Belastung: Sämtliche Ärzte - es waren nicht wenige - , die er aufsuchte, konnten ihm nicht weiterhelfen. Alle bescheinigten ihm aus schulmedizinischer Sicht einen einwandfreien Zustand. "Es hieß immer nur, ich solle mich gedulden."

Dass Geduld eine Tugend ist, wusste der Bamberger schon vorher. Nun wurde aber daraus ein Martyrium. Er probierte es immer wieder, sich zu zumindest etwas sportlich zu betätigen. Manchmal ging es besser, dann wieder schlechter. "Die Höhen und Tiefen waren schon krass." Trotz des seelischen und körperlichen Ausnahmezustandes blieb er weiterhin nah dran an der Mannschaft, ein Teil von ihr. Und das auch noch als der in Teamkreisen bekannte Dauer-Optimist. "Und das, obwohl es schon krass war, wenn er nach zwei Runden um den Platz völlig ausgepumpt neben der Bande lag. Das nimmt einem mit", macht Bernd Eigner deutlich. Holger Betzelt: "Corona, dieses Teufelszeug! Trotz alle dem war er immer dabei und motivierte alle."

Bernd Eigner beschreibt seine "Nummer 11" als "schnell, kopfballstark und mit der gewissen Ruhe vor dem Tor".
Bernd Eigner beschreibt seine "Nummer 11" als "schnell, kopfballstark und mit der gewissen Ruhe vor dem Tor". – Foto: Sportfoto Zink/D. Marr

Sein positiver Charakter war einer der Schlüssel zurück ins normale Leben. Und eine Ernährungsberaterin, "die ich über einen Bekannten, der fast an Covid gestorben wäre, kennengelernt habe." Denn erst diese brachte eine dauerhafte Besserung auf den Weg. Durch eine bewusstere Ernährung mit viel Proteinen und keinen verarbeiteten Lebensmitteln. "Zudem nehme ich täglich bis zu 20 Tabletten, die viele Mängel - wie beispielsweise Q10 - ausgleichen."

Licht am Ende des Tunnels. Obwohl Calvin Sengül auch während seiner Long-Covid-Phase ab und an minutenweise zum Einsatz kam - u.a. in der Relegation um einen Regionalliga-Platz -, fühlte er sich erst, als etwas anderes auf dem Teller landete, besser. Er konnte wieder Kondition aufbauen, überhaupt seinen Körper belasten. Und am 4. November war es soweit - das langersehnte Comeback stand an. Gegen den 1. SC Feucht. Auch, wenn es nur zehn Minuten waren.

"Ich weiß, dass ich weiter in kleinen Schritten denken muss. Aber immerhin. Ich bin wieder gesund und fühle mich immer fitter - auch wenn ich erst bei 20 Prozent bin." Läuft alles nach Plan, hier ist der 26-Jährige inzwischen vorsichtig, will er nach der Winterpause wieder der Alte sein. Nämlich die Allzweckwaffe im Angriff der Quecken, die "mit ihrer Art viele mitreißt" (Bernd Eigner). Und dann werden auch wieder sportliche Argumente dafür sprechen, Calvin Sengül aufzustellen - von Beginn an, und nicht "nur" als Einwechselspieler.

Aufrufe: 09.11.2022, 08:30 Uhr
Helmut WeigerstorferAutor