2024-05-08T14:46:11.570Z

Allgemeines
Tobias Michels erklärt den gesundheitlichen Aspekt eines schnellen Re-Starts
Tobias Michels erklärt den gesundheitlichen Aspekt eines schnellen Re-Starts – Foto: Nückel/Steinmann

Was zwei Physiotherapeuten zu einem Re-Start sagen

Tobias Michel und Josch Jensen erklären: Diese Zeit benötigen Fußballer, um nach dem Lockdown verletzungsfrei zu bleiben

Tobias Michael trainiert die U19 des SV Viktoria 08 GMHütte und ist beruflich Physiotherapeut. Mit seinem Kollegen und Freund hat er uns einen interessanten Beitrag geschickt, in dem sie sportmedizinisch erörtern, wie lange die Vorbereitung laufen muss und wie hoch das Verletzungsrisiko bei einem schnellen Re-Start wäre:

Die Freude war groß, als die Politik die Weichen stellt, wieder auf den Platz zu dürfen, aber dennoch muss die Frage erlaubt sein, wie sinnvoll ist eine schnelle Rückkehr in den Wettkampfbetrieb und sind zwei Wochen Vorbereitungszeit, wie vom NFV vorgeschlagen, wirklich genug?

Seit Frühjahr 2020 musste sich der Amateurfußball nun mit zwei langen Spielunterbrechungen infolge der Covid-19 Pandemie zurechtfinden. Aktuell werden auf Landesebene versucht Entscheidungen zu treffen, ob und wenn ja in welcher Form die Saison beendet werden soll und kann. In Hamburg und Schleswig-Holstein wurde die Saison für alle Vereine auf Landesebene bereits beendet. In anderen Ländern hingegen herrscht starke Uneinigkeit in Bezug auf die Fortsetzung. Aber was genau stellt eigentlich die größte Herausforderung dar, wenn es darum geht die Saison fortzuführen? Wie sieht es zB. unabhängig von Covid-19 mit der Gesundheit der Spieler aus? Hätte man aktuell genug Zeit die Spieler adäquat vorzubereiten oder besteht sogar ein erhöhtes Verletzungsrisiko?

Wir, zwei Physiotherapeuten, haben uns wissenschaftlich mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt und möchten aufzeigen wie nicht nur unsere Senioren, sondern vor allem auch unsere Juniorenfußballer sich wieder verletzungsfrei dem Wettkampfbetrieb nähern sollten. Hierzu haben wir medizinische Onlinedatenbanken durchsucht und sind auf verschiedene Studien gestoßen. Aufgrund der Aktualität und Qualität haben wir uns für 2 Übersichtsarbeiten, mit 126 wissenschaftlichen Primärquellen, entschieden.

Schauen wir zurück auf den Bundesliga Restart am 16. Mai 2020. Zu dem Zeitpunkt war die Saison 19/20 für exakt 63 Tage unterbrochen. Schauen wir auf die Verletzungsrate hatte wir nach dem Lockdown eine 3,12-fach erhöhte Verletzungsrate.

Bisciotti umschreibt die Gründe für die erhöhten Verletzungsraten. Beim Lesen der Arbeit kommen wir an dem Begriff Detraining nicht vorbei. Vereinfacht gesagt ist Detraining das Gegenteil von Training. Bereits nach 2-4 Wochen bauen sich physisch adaptierte Kapazitäten aufgrund reduzierter Belastung ab. Detraining verursacht Veränderungen der Körpermasse und Komposition, reduziert die Neuromuskuläre und Kardiovaskuläre Effizienz und infolgedessen entstehen Verluste von essentiellen Ressourcen wie Kraft, Geschwindigkeit, Mobilität, Flexibilität und Ausdauer und es erhöht sich außerdem das Risiko für Verletzungen.

In der Arbeit von Mohr geht es darum wie die Vorbereitung bis zu dem Start im vollen Mannschaftstraining aussehen sollte. Sprich der Zeitraum und die Trainingsmethoden auf dem Platz, bis das Verletzungsrisiko wieder auf dem Level wie vor den Pandemischen Pausen ist. Dazu hat Mohr nicht nur aktuelle Daten nach dem ersten Lockdown genutzt, sondern er beruft sich auch auf vorherige Untersuchungen, die mit normalen Sommer bzw. Winterpausen zusammenhängen. Es ist gut erforscht, dass eine adäquate Vorbereitung das Risiko für Verletzungen in der Saison deutlich verringert. Wenn wir nun auf den Amateurfußball schauen, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass eine so lange Pause zu deutlich höherem negativem Impact durch Detraining führt als eine gewöhnliche Sommer- oder Winterpause.

Die Kernphasen des vorbereitenden Trainings bis zum normalen Mannschaftstraining mit vollem Kontakt und Tempo beinhalten:

Aerobes und Anaerobes Sprint- und Ausdauertraining, dies bezieht sich nicht nur auf Joggen gehen und Intervalltraining, sondern vor allem auf die Fußballspezifischen Bewegungen auf dem Platz inklusive Stollenschuhen. Normale Ausdauereinheiten sind nicht zu vergleichen mit Richtungs-/Tempowechseln auf dem Platz und schon gar nicht mit reaktiven Bewegungen beim Spiel mit Gegnern. Es geht um Fußballspezifische Bewegungsmuster auf die sich der Muskel-Sehnen-Apparat und das neurologische System erst einmal wieder einstellen müssen.

Basis Krafttrainingsprogramm, welches durchaus auch schon vorher zuhause trainiert werden kann, was die Grundzüge betrifft allerdings auf dem Platz auch weitere Steigerung bedarf, da zum Krafttraining nicht nur verschiedene Kniebeuge Varianten oder andere Kraftübungen zählen, sondern auch Sprint und Sprungkraft (Plyometrie) die ebenfalls fußballspezifisch auf dem Platz trainiert werden müssen.

Sportartspezifisches Training, vorgegebene oder reaktive Bewegungsmuster die mit Ball und Gegner trainiert werden müssen. Bei denen es auch eine progressive Steigerung bedarf und man sich an Wettkampfbedingungen heranarbeiten muss. Hierbei empfiehlt es sich auf Spielformen zurückzugreifen, die auf engen Raum stattfinden, um die Reaktionsfähigkeiten der Spieler wieder auf ein gutes Niveau zu bekommen.

Für das vorbereitende Training ergibt sich aus der Literatur ein Zeitraum von Minimum 3-5 Wochen und danach kann mit Vollkontakt und wettkampfspezifischen Training begonnen werden. Wenn man ab diesem Zeitpunkt z.B. die vorgeschlagenen zwei Wochen des NFV hinzu nimmt, nähert man sich einem realistischen Vorbereitungsszenario. Dabei muss man aber auch bedenken, dass diese Zeiträume für Profisportler erhoben wurden, man sollte also bei den Amateursportlern nicht mit dem untersten Bereich der 3 Wochen planen, sondern eher mit den 4-5 Wochen bevor eine vernünftige Vorbereitung auf eine Weiterführung der Saison starten kann. Des Weiteren geben die Autoren auch zu bedenken, dass der Körper nicht sofort die gewohnten Regenerationsqualitäten besitzt, was ein zu engmaschiges Trainingsvolumen und vor allem den zu Knappen Zeitraum der Saisonspiele betrifft. Eine erhöhte Frequenz der Spiele in Form von „englischen Wochen“ würde also wieder zu einer Steigerung des Verletzungsrisikos beitragen.

Bei aller Emotionalität und Ehrgeiz der unseren Sport so toll macht, möchten wir daran appellieren sinnvoll an unsere Kinder und Jugendlichen zu denken und sie Verantwortungsvoll wieder an unseren Sport heranzuführen und sie nicht mit wilden Aktionismus einem stark erhöhten Verletzungsrisiko auszusetzen und damit vielleicht eine Welle von Langzeitverletzen auszulösen, die danach eventuell unserem Sport gänzlich den Rücken kehrt, nur weil wir unseren Ehrgeiz Entscheidungen haben treffen lassen.

Alle Trainerkollegen:innen, die ihre Jungs und Mädchen gewissenhaft vorbereiten möchten, können sich gerne bei uns melden. Wir versuchen alle so gut es geht bei Fragen oder ihrer Trainingsplanung zu unterstützen.

Mit sportlichen Grüßen

Tobias Michels und Josch Jensen

  1. (Bisciotti et al., 2020) Return to football training and competition after lockdown caused by the COVID-19 pandemic: medical recommendations.
  2. (Mohr et al., 2020) Return to elite football after the COVID-19 lockdown.
  3. (Seshadri et al., 2021)Case Report: Return to Sport Following the COVID-19 Lockdown and Its Impact on Injury Rates in the German Soccer League.
Aufrufe: 013.3.2021, 07:30 Uhr
FuPa Weser-EmsAutor