2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines
Ulrike Geithe (Foto) am Ball. Lothar Scheschonka
Ulrike Geithe (Foto) am Ball. Lothar Scheschonka

Drang zum Ball war stärker als Druck der Funktionäre

Vor 50 Jahren musste der DFB sein Frauenfußball-Verbot kippen.

Zwei Pionierinnen aus Bremerhaven erinnern sich an die schwierigen Anfangsjahre –inklusive Rollenklischees und Witzen über Trikottausch. Am Ende gewann der Fußball.

VON DIETMAR ROSE

Wenn es darum ging, Frauen von ihrem Sport fernzuhalten, war den Herren des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) jedes noch so fadenscheinige Argument recht. Gegen den Frauenfußball wurden gesundheitliche Bedenken wie der angeblich drohende Verlust der Gebärfähigkeit in Stellung gebracht, auch Sitte und Moral seien in Gefahr. „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“, begründete der DFB 1955 sein Frauenfußball-Verbot. Doch der Drang der Frauen zum Ball war stärker als die Bevormundung der Funktionäre. 1970 musste der DFB das Verbot aufheben – auch für Ulrike Geithe und Ursula Weckmann eine Befreiung. Die beiden Bremerhavenerinnen zählen zu den Pionierinnen des Frauenfußballs im Land Bremen.

Sportliche Erfolge
Ulrike Geithe und Ursula Weckmann kickten für die Turn- und Sportvereinigung (TSV) Wulsdorf, die mit zehn Bremer Meisterschaften zwischen 1970 und 1982 die dominierende Mannschaft dieser Zeit war und sich mehrfach für deutsche Meisterschaften qualifizierte. Dennoch habe sie sich nicht als Vorreiterin für andere junge Frauen gefühlt, erinnert sich Ursula Weckmann. „Ich habe damals gar nicht gewusst, dass es dieses Verbot gab. Ich habe ja immer Fußball gespielt – nur nicht im Verein“, sagt die 61-Jährige, deren Leidenschaft früh geweckt worden war: „Ich habe schon als Drei- oder Vierjährige auf dem Platz gestanden. Die Jungs wollten mich nicht mitspielen lassen, aber ich habe mich einfach in den Weg gestellt.“

Familiär musste die gelernte Bilanzbuchhalterin keine Widerstände überwinden – der Tipp, dass sich bei Sparta Bremerhaven eine Frauenmannschaft gebildet habe, kam von ihrem älteren Bruder. Und auch nach dem Wechsel von Sparta zu den stärkeren Wulsdorferinnen erhielt Ursula Weckmann Unterstützung: „Meine Eltern haben immer hinter mir gestanden. Vor dem Training hatte ich Musikunterricht. Anschließend haben mich mein Vater oder meine Mutter dann zum Training gefahren.“

Straßenfußball mit den Jungs
Dass das keine Selbstverständlichkeit war, musste Ulrike Geithe erfahren, die einige Jahre später zum Wulsdorfer Team stieß. Fußballspielende Töchter – da gab es in vielen Familien Vorbehalte. Und das nicht nur von besorgten Vätern, die sich Sorgen machten, dass Schrammen an den Beinen nicht so gut zu einem Tanzabend im Kleid passen. „Meine Mutter war komplett dagegen. Sie wollte das typische Mädchen aus mir machen, am besten mit Ballettunterricht. Aber die Sache war nicht mehr aufzuhalten, sämtliche Schuhe waren kaputt“, erzählt die Bremerhavenerin, die sich als Straßenfußballerin gegen Jungs durchzusetzen gelernt hatte. Mit 16 Jahren stellte sich Ulrike Geithe in Wulsdorf im Probetraining vor: „Ich weiß noch, dass ich ziemlich aufgeregt war. Ich war so glücklich, als eine Spielerin zu einer anderen sagte: ,Die kann man gebrauchen‘. Fußball war mein Leben.“

Den gesellschaftlichen Auftrag, die Gleichberechtigung auch auf dem Platz einzufordern, verspürten zumindest im Bremerhaven der 1970er Jahre die wenigsten Spielerinnen – im Vordergrund stand die Lust auf Bewegung. „Bei vielen Frauen war es so, dass die Männer Fußball gespielt haben. Die haben im Vereinsheim gesessen und gesagt: Das machen wir jetzt auch“, blickt Ursula Weckmann zurück.

Dumme Sprüche der Männer
Dass sie als Fußballerin aus den üblichen Rollenmustern gefallen sei, habe sie selten zu spüren bekommen: „Ich weiß noch, dass eine Kollegin in der Pause mal auf mich zukam und fragte: ‚Stimmt es, was man sich über sie erzählt?‘ Ich dachte: Huch, was kommt denn jetzt? Dabei wollte die Kollegin nur wissen, ob ich wirklich Fußball spiele.“ Bei einer anderen Gelegenheit habe ein Vorgesetzter im Kollegenkreis über ihr Karriereende sinniert – Ursula Weckmann hatte sich bei einem Spiel einen Beinbruch zugezogen. Doch der überfürsorgliche Chef wurde enttäuscht: „Ich habe nach drei Monaten wieder gespielt.“

Die Reaktionen der Männer bei Auftritten der Wulsdorferinnen waren oft chauvinistisch, obwohl zu Highlight-Spielen wie im Mai 1973 im Goldpokal gegen die Damen des FC Bayern München, das torlos endete, auch schon mal 1500 Zuschauer auf die Bezirkssportanlage strömten. „Es wurde damals belächelt. Oder es kamen dumme Sprüche: Wo bleibt denn der Trikottausch? Unterste Schublade eigentlich“, erzählt Ursula Weckmann. Wobei das Leistungsniveau in den Anfangsjahren überschaubar gewesen sei, räumt Ulrike Geithe ein: „Wir hatten Sportlerinnen dabei, die vielleicht nicht hätten Fußball spielen sollen. Dieses Bild hat sich zum Glück verändert. Früher gab es Mannsweiber, heute sind es Frauen, die auch Frauen geblieben sind.“

Die 57-Jährige weiß, wovon sie redet. Zum einen kickt sie seit dieser Saison wieder bei ihrem Stammverein in Wulsdorf – mit Spielerinnen, die 30 oder mehr Jahre jünger sind als sie. Zum anderen trainiert die Sozialpädagogin die U14-Mädchen des Bremer Fußball-Verbandes (BFV).

Fehlende Anerkennung
Dass sich der Frauenfußball in den vergangenen 50 Jahren, seit Aufhebung des Verbots durch den DFB, enorm entwickelt hat, steht für die beiden Pionierinnen aus Bremerhaven fest. Die Gründung der Frauennationalmannschaft im Jahr 1982 und die Einführung der Bundesliga acht Jahre später seien wichtige Schritte gewesen, um mehr mediales Interesse zu wecken. Von den Kämpfen ihrer Vorgängerinnen wisse die heutige Generation der Spielerinnen wenig bis nichts, bedauern Ulrike Geithe und Ursula Weckmann – vieles sei für junge Frauen heutzutage auch nicht mehr vorstellbar.

In Wulsdorf fand die beeindruckende Erfolgsgeschichte Anfang der 1980er Jahre ein Ende, als die TSV-Frauen einige Missstände nicht mehr hinnehmen wollten. „Wenn irgendeine Altherrenmannschaft trainieren wollte, mussten wir weichen. Die Anerkennung hat gefehlt“, betont Ursula Weckmann. Müde vom Kampf um Trainingszeiten und einem neuen Trikotsatz alle fünf Jahre zog sie mit vielen Spielerinnen weiter in den Landkreis Cuxhaven, zur TSG Nordholz. Ulrike Geithe musste wegen einer für damalige Zeiten astronomischen Ablöseforderung von 2000 Mark bleiben. Deshalb rät sie noch heute jungen Spielerinnen, die sie trainiert: „Lasst euch nicht aufhalten. Und schon gar nicht von irgendeinem Funktionär, der seine Machtposition ausübt.“

Vielfalt im Kreis Rotenburg

Neben der TSV Wulsdorf gibt es aktuell nur noch vier weitere Vereine in Bremerhaven, die eine Frauenmannschaft im Spielbetrieb haben. Dabei handelt es sich um den OSC Bremerhaven, den ESC Geestemünde, Galatasaray Bremerhaven und den Geestemünder TV.

Im Landkreis Cuxhaven ist die Vielfalt größer. Der Oberligist FC Geestland ist dort zurzeit das höchstrangigste Frauen-Team. Auf 22 Mannschaften bringt es der Landkreis Rotenburg. Aushängeschild ist Landesligist SG Anderlingen/Byhusen. Der TSV Abbehausen ist als Oberligist das Topteam aus dem Landkreis Wesermarsch.

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Aufrufe: 020.5.2020, 08:25 Uhr
Nordsee-Zeitung/ dirAutor