2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
– Foto: Henrik Martinschledde

Anna Aehling: „Die Professionalität hier ist viel größer“

Interview: Anna Aehling, bis zum Dezember als Fußballerin für den Zweitligisten FSV Gütersloh aktiv, spielt jetzt für das Team der Indiana University in den USA. Die 20-Jährige träumt von einer Karriere im Nationalteam.

Frau Aehling, wie wurden Sie in der neuen Heimat aufgenommen und wie haben Sie sich dort eingelebt?
ANNA AEHLING: Ich habe mich hier in Bloomington sehr gut eingelebt. Die Mannschaft ist super nett, und die Gegebenheiten hier sind wirklich der Wahnsinn. In den ersten Wochen war es schon eine kleine Umstellung für mich, weil das Training hier ein bisschen anders ist und auch der Spielrhythmus. Wir hatten kurz vor Ostern zum Beispiel vier Spiele in neun Tagen.

Mit wem aus der fußballerischen Heimat in Deutschland halten Sie Kontakt, und wie sieht das aus?
AEHLING: Ich versuche, mit meiner Familie und meinen engsten Freunden möglichst oft über Facetime Kontakt zu haben. Da sind auch viele Spielerinnen dabei, mit denen ich auf dem FLVW-Internat war und beim FSV Gütersloh gespielt habe, wie zum Beispiel Wiebke, Noreen, Pauli, Soffe und Sjoeke (Anm. d. Red.: Ex-FSV-Keeperin Wiebke Willebrandt, die aktuellen FSV-Spielerinnen Noreen Günnewig und Pauline Berning sowie die jetzt für Frankfurt und im A-Nationaltem spielenden Ex-Gütersloherinnen Sophia Kleinherne und Sjoeke Nüsken). Manchmal ist es schon schwierig mit der Zeitverschiebung. Denn über den Tag hinweg habe ich meistens sehr viel zu tun, und abends, wenn ich ein bisschen Zeit habe, schlafen in Deutschland schon alle (lacht). Aber ich versuche, immer die Tageszeiten zu finden, an denen ich sie anrufen kann.


Wie sieht Ihre erste sportliche Zwischenbilanz im „Hoosier State“ aus?
AEHLING: Wir sind hier schon am Saisonende angelangt und haben uns sehr gut geschlagen. Wir haben die meisten Punkte für Indiana seit 1998 geholt, haben einen guten Schritt nach vorne gemacht und die Saison in der 14er-Liga auf dem fünften Platz abgeschlossen. Aber ich glaube, in den nächsten Jahren ist da noch mehr drin. Die Saison war wirklich intensiv, denn wir hatten in fast jeder Woche zwei Spiele. Und dazwischen noch Training. . .

Und in den Spielen gibt es keine Unentschieden . . .
AEHLING: Ja, das stimmt. Wenn es nach 90 Minuten unentschieden steht, geht das Match in die Verlängerung. Dort gilt dann die Golden-Goal-Regel. Das war manchmal auch sehr kräfteraubend.

Welche Rolle haben Sie in ihrem neuen Team inne?
AEHLING: Meine Hauptposition in dieser Saison war die rechte Innenverteidigung. Linke Innenverteidigerin war mit Oliwia Wos übrigens eine weitere deutsche Spielerin, die früher für Herford und Bielefeld und auch in der Westfalenauswahl gespielt hat. In zwei oder drei Spielen hat mich mein Trainer Erwin van Bennekom auch als Außenverteidigerin eingesetzt.


Wie sieht Ihr wöchentliches fußballerisches Pensum aus?
AEHLING: Meist haben wir am Donnerstag und Sonntag ein Spiel, an allen anderen Tagen Training. Außer montags, das ist oft unser „day off“. Dazu kommt, dass wir viel reisen müssen. Zum Beispiel mussten wir auch nach Pennstate fliegen, und diese Reisen nehmen noch mal ein bisschen mehr Zeit in Anspruch. Insgesamt haben wir in der Saison schon einen ordentlich straffen Zeitplan mit Fußball und Uni. Aber alles ist machbar, und Zeit für Team-Abende hatten wir auch (lacht).


Das ist trotz Corona möglich?
AEHLING: Wir werden hier täglich auf Corona getestet und halten uns uns eigentlich ausschließlich in unserer „Team-Bubble“ auf. Außerdem sind schon 70 Prozent unserer Mannschaft geimpft.


Und das wöchentliche Studentinnen-Pensum ist zu bewältigen?
AEHLING: Also, ich bin keine Person, die alles sehr schnell fertig bekommt, sondern ich brauche immer ein bisschen mehr Zeit. Deswegen sitze ich unter der Woche häufig bis neun oder zehn Uhr abends an meinen Hausaufgaben. Aber dafür schaffe ich es meistens, dass ich am Wochenende mehr Zeit habe und dann viel unternehmen kann. Mein Studiengang ist Outdoor Recreation, Parks & Human Ecology. Bisher macht es mir sehr viel Spaß, mein Lieblingsfach ist Management in Recreation, Park and Tourism. Dort lerne ich sehr viel über Leadership und wie man eine Organisation oder ein Unternehmen leitet.


Was ist der größte Unterschied zwischen dem Leben in einem westfälischen Fußball-Internat und der Zeit als Fußball-Studentin in den USA?
AEHLING: Der größte Unterschied liegt wohl im schulischen Bereich, denn momentan habe ich viele Online Classes, bei denen ich mir meine Zeit selber einteilen kann, während ich in Deutschland genau vorgegebene Zeiten hatte. Außerdem haben wir hier im sportlichen Bereich während der Saison nicht so viel Zeit, individuell etwas für uns zu machen, da wir eigentlich immer spielen, regenerieren, wieder spielen und wieder regenerieren. . .

Wo liegen die Unterschiede im Fußball-Betrieb?
AEHLING: Die Professionalität unseres Uni-Teams hier ist einfach viel größer. Wir haben sehr oft Gespräche mit unseren Coaches, haben viele Video- und Gegneranalysen. Und die Voraussetzungen hier was Spielfeld, Stadien, Krafträume, Campus und so weiter angeht, sind wirklich der Wahnsinn.


Welche Kontakte bestehen derzeit zum DFB?
AEHLING: Da die ursprünglich für August 2020 geplante und dann auf Januar/Februar 2021 verschobene U20-Weltmeisterschaft in Costa Rica und Panama ja leider endgültig abgesagt wurde, hatten wir auch keine Maßnahmen mehr mit dem DFB. Im Moment habe ich dementsprechend auch keinen Kontakt zu Trainerin Kathrin Peter, die früher ja auch meine Trainerin in der Westfalenauswahl und im FLVW-Internat war.

Ihren amerikanischen Traum leben Sie jetzt. Gibt es weitere fußballerische Ziele, vielleicht sogar Träume?
AEHLING: Ich versuche mich hier in Indiana bestmöglich weiterzuentwickeln und das Beste aus mir rauszuholen. Und natürlich wäre es dann schön und auch ein Traum, irgendwann mal eine Einladung von den DFB-Frauen zu bekommen.

Aufrufe: 030.4.2021, 06:00 Uhr
Rüdiger ZinselAutor