Zeitenwende bei Arminia Bielefelds Fußball-Frauen. Im September 2020 gab Werner Jöstingmeyer den Staffelstab des Abteilungsleiters an Jan Reineke weiter, Anfang April dieses Jahres wurde Markus Wuckel nach mehr als 17 Jahren im Traineramt von Tom Rerucha abgelöst. Den Abstieg aus der 2. Bundesliga vermochten die Neuen nicht zu verhindern. Ein hemdsärmeliges Gespräch auf einer Bierzeltgarnitur am Spielort Postheide über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Armininnen.
Jan Reineke erklärt uneitel die Abläufe ohne sich selbst aus der Kritik zu nehmen. „Wahrscheinlich war der Trainerwechsel vom Zeitpunkt her schon zu spät. Wir haben uns blenden lassen von den Pokalerfolgen, als wir ins Halbfinale eingezogen sind. In der Liga war es zwar eng, aber im Pokal schlägst du den SC Sand, stehst im Halbfinale gegen den Champions-League-Finalisten Wolfsburg und denkst: ,Du bist der Geilste’. Dann hatten wir eine gute Vorbereitung, sind ins Gütersloh-Spiel gegangen und dachten: ,Die packen wir’. 1:5 verloren. Wir haben sie vollkommen unterschätzt. Wir dachten, wir könnten es dann umbiegen, doch die Mädels waren nicht so weit. Dann gehst du in den Lockdown, wir holen einen Torwart- und einen Athletiktrainer dazu – und gewinnen zum Wiederbeginn furios mit 5:3 in Leipzig. Das war ein typisches Wuckel-Spiel. Doch es war offensichtlich geworden, dass wir keine Spielidee hatten.“
Reineke gibt zu: „Wir haben hinten ,lang raus’ gespielt, auf dass der Ball auf die Flügel zu Maja Sternad oder Gentiana Fetaj kommt, die sich irgendwie durchsetzen, irgendwie ein Tor fällt und wir gewinnen. Aber die Spielerinnen haben gesagt: ,Wir wissen nicht, wie wir es machen sollen. Alles beruht auf Zufällen’. Dann haben wir uns von Markus getrennt. Das war für mich persönlich sehr bitter. Aber mit nur zweiwöchiger Vorlaufzeit haben wir beim 4:0 in Mönchengladbach die Entwicklung gesehen. Das war wahnsinnig, wie viel die Spielerinnen von dem umgesetzt haben, was das neue Trainerteam erarbeitet hat, speziell defensiv.“
Jan Reineke bilanziert: „In den nächsten Spielen hat man gesehen: Jedes Mal nach einem guten Start, wenn ein Negativerlebnis wie Rückstand oder Ausgleich passiert, ist die Mannschaft wieder in alte Muster verfallen. Sie war unter Stress nicht mehr in der Lage, das Neue abzurufen, hat in der Abwehr individuelle Fehler gemacht und wieder lange Bälle gespielt.“
Reineke: „Nach der Niederlage in Jena waren wir quasi weg. Es war zwar eng und wir hatten noch fünf Spiele, aber vom Kopf her war es so: Das wird nichts mehr. Da war der Ansatz, nicht mit allen Mitteln zu versuchen, irgendwie über die Linie zu kommen. Schön, wenn es noch klappt, aber die Idee war, für das nächste Jahr aufzubauen. Daran zu arbeiten, wo es fehlt.“
Reineke: „Wir hatten sie nicht in der Breite. Uns fehlte die Möglichkeit, einer Spielerin zu sagen: ,Im Moment reicht es für dich nicht, jetzt ist eine andere dran.’ Und die andere bringt mindestens 95 Prozent von dem, was die erste brachte.“ Tom Rerucha erklärt: „Dass die Qualität in der Breite fehlte, lag wohl auch daran, dass immer eine Elf gespielt hat, die anderen Spielerinnen damit keine Praxis bekamen. Sie wurden auch im Training nicht richtig gefördert, waren immer in Trainingsgruppe zwei. Vom Potenzial her haben wir Spielerinnen, die perspektivisch interessant werden können.“
Jan Reinke erklärt die Gedankengänge der Abteilungsleitung: „Wir haben extra im Nachwuchsleistungszentrum nachgefragt und wollten keine Zwischenlösung. Wir wollen einen systematischen Aufbau. Wir setzen deshalb jetzt auf den Nachwuchs. Bei unserer U 17 hat der Aufstieg die Bundesliga zweimal nicht geklappt, diese Saison müssen sie hoch. Wenn dann von dort jedes Jahr zwei Granaten hochkommen, die nah daran sind, erste Frauen zu spielen, ist das top. Und wir haben den Kader krass verstärkt.“ Rerucha ergänzt: „Wir machen mit Moritz Vogt als Torwarttrainer weiter, dazu kommen Tim Peterburs als Athletik-Trainer und Charley Achtereekte als Techniktrainer. Wir haben die Strukturen ja erst geschaffen. Wir wollen das Ganze auf breite Füße stellen und keine Abstriche machen müssen.“
Jan Reineke sagt: „In die Regionalliga mit weniger Engagement zu laufen wäre genau das Gegenteil von dem, was wollen. Wir haben jetzt die Chance, es einmal vernünftig zu machen. Klar wollen wir wieder aufsteigen, das ist unser Ziel Nummer eins, das hat Tom auch gesagt. Wir müssen aber auch aus den vergangenen Jahren lernen. Wir müssen jetzt aufbauen, was wir in einem oder zwei Jahren brauchen. Es wäre schön, wenn wir mal zehn Spielerinnen hätten, die drei, vier Jahre für Armina stehen. Auch das neue Präsidium des Gesamtvereins unterstützt unsere Pläne. Rainer Schütte, Maurice Eschweiler und Olaf Köster waren schon hier. Der neue Präsident Rainer Schütte hat sich schon erkundigt und gefragt, wo er helfen könne. Wenn der Vorstand den Eindruck hätte, wir machten es nicht vernünftig, würden wir keine Unterstützung bekommen.“
Jan Reineke hat mehrere Blicke auf die Sportlerinnen: „Wichtig ist, dass es fußballerisch und menschlich passt. Das erkennt man auch bei unseren Arbeitseinsätzen an der Postheide, wenn wir das Gelände gemeinsam flottmachen, das Unkraut ausreißen. Da kann man beobachten, wie die Spielerinnen drauf sind und wer mitmacht. Die, die wirklich was tun, sind meistens auch die, die nachher spielen.“
Die Flügelspielerinnen Maja Sternad (zu Werder Bremen) und Gentiana Fetaj (CZ Jena) haben den Verein in Richtung Bundesliga verlassen. Diese Verluste müssen aufgefangen werden. Tom Rerucha sagt wie: „Genta und Maja waren keine Goalgetterinnen, sondern Vorbereiterinnen. Wenn sich alles auf eine Spielerin konzentriert, die Tore machen muss, hängt es eben von der Form dieser Spielerin ab. Das müssen wir ändern, vorne viel flexibler sein. Im letzten Drittel müssen mehrere Verantwortung übernehmen. Sarah Grünheid darf nicht die einzige sein, die vorn angespielt werden kann. Ich sehe das nicht als Druck gegenüber Sarah. Die ganze Offensive muss gleichberechtigt einbezogen sein, jede Spielerin muss mitgenommen werden. Wir denken über ein Spiel mit zwei Spitzen, ein 3-5-2-System nach. Das kommt uns von den neuen Spielerinnen her entgegen.“
Jan Reineke hat eine klare Vision, an deren Anfang allerdings erstmal die Hürde Aufstieg steht: „Ich warne davor zu glauben, dass es ein Selbstläufer wird. Das muss allen klar sein. Die Breite an besseren Mannschaften ist in der Regionalliga größer geworden. Ich sehe Borussia Mönchengladbach als Hauptkonkurrent. In Berghofen haben wir uns immer schwer getan. Es kann passieren, dass du vorneweg marschierst und dann irgendwo stolperst. Ich fände es schön, wenn wir aufsteigen würden und dann mal drei, vier Jahre souverän in der 2. Liga blieben. Und nicht immer nach oben oder unten gucken müssen. Dann hätten wir es auch einfacher, mal extern nachzubessern.“