2024-05-10T08:19:16.237Z

FuPa Portrait

Ein Bünder in Ecuador: "Ich wurde Toni Kroos genannt!"

Enrico Eisenkrätzer zieht es nach dem Abitur für ein Jahr nach Südamerika. Er entdeckt andere Seiten des Sports und wäre fast bei einem Drittligisten gelandet.

Nach dem Abitur studieren gehen oder doch eine Ausbildung starten? Das ist die Frage, die sich die meisten Absolventen am Ende ihrer Schullaufbahn stellen. Der Bünder Enrico Eisenkrätzer ging dabei seinen eigenen Weg – ihn zog es für ein Jahr nach Ecuador. „Ich war von den ganzen Möglichkeiten nach dem Abitur überfordert. Dann hatte mich der beste Kumpel meines Bruders dazu inspiriert, ein Jahr ins Ausland zu gehen.“ Und so begann die Geschichte von Enrico Eisenkrätzer.

Der Bünder Enrico Eisenkrätzer im Nationaltrikot seines Gastlandes Ecuador.
Der Bünder Enrico Eisenkrätzer im Nationaltrikot seines Gastlandes Ecuador. – Foto: privat

Während andere Schülerinnen und Schüler mit so einem Plan eher nach Australien oder in die USA reisen, ging der damals 18-Jährige nach Ecuador, einen 18-Millionen-Einwohnerstaat im tiefen Westen Südamerikas. „Eigentlich wollte ich vor allem mein Spanisch verbessern“, erklärt Eisenkrätzer. Darum ging der heute 21-Jährige dort wieder zur Schule und versuchte, das „normale Leben eines Ecuadorianers zu leben.“ In einer Gastfamilie, in Cuenca, der drittgrößten Stadt des Landes.

Doch schnell merkte Eisenkrätzer, dass „mir der Fußball gefehlt hat. Ich wollte endlich wieder den Ball am Fuß haben". In Deutschland hatte er seit jüngsten Jahren beim VfL Holsen gespielt. „Ich habe in Ecuador dann in der schulischen Fußball-AG gespielt, aber da kamen nie wirklich viele Spieler, obwohl es dort eigentlich schon viele fußballverrückte Leute gibt“, wundert sich der Holser.

Hier und da spielte er zusätzlich noch mit seinen Freunden in den überall vorhandenen Soccerboxen, voller Einsatz inklusive: „Es ging eigentlich immer um irgendwas. Egal, wo du gespielt hast“, sagt Eisenkrätzer. „Diese Soccerboxen beispielsweise kosteten für zwei Stunden ein paar Dollar Miete. Und die mussten immer die Verlierer bezahlen.“


Bei einer Niederlage waren Platz und Geld weg

Generell hat das runde Leder in Südamerika einen anderen Stellenwert als hier in Deutschland. „Ich erinnere mich noch gut an einen meiner ersten Tage“, sagt der 21-Jährige. „Ich sah ein paar Leute auf einem kleinen Platz kicken und fragte, ob ich mitspielen dürfte. Bei jedem Fehler wurde ich aber von meinen Mitspielern hart kritisiert und auch nach der Niederlage waren alle richtig enttäuscht.“

Was der Deutsche zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: In diesem Spiel ging es um das Besitzrecht des Platzes. „Die Jugendlichen mussten zahlen, dass sie überhaupt um diesen Platz spielen durften. Bei einer Niederlage war dann eben die Chance, den Platz zu besitzen, und auch das Geld weg.“ Für die ärmlichen Kinder der Vororte war das der Supergau.

Eines Tages kam dann aber die Wende: Enrico Eisenkrätzer wurde von einem Lehrer, gleichzeitig Trainer des örtlichen Vereins, angesprochen und zum Probetraining eingeladen. Estudiantes Cuenca spielte in der dritten Liga in Ecuador und sogar in dieser Saison um den Aufstieg mit. „Das war schon ein richtig guter Klub, der aber in irgendeinem Park trainiert hat. Wir sind zwar auch mal auf den Fußballplatz gegangen, aber meistens standen nur Konditions- und Kraftmaßnahmen auf dem Programm“, erinnert sich der Bünder.


"Ich wurde Toni Kroos genannt"

Zu einem Pflichtspiel für Estudiantes Cuenca hat es aber nie gereicht, die Auflagen für einen Deutschen waren zu schwer zu erfüllen. Dennoch war Enrico Eisenkrätzer ab diesem Zeitpunkt zumindest Fast-Profi. „Ich wurde dann dort aufgrund der scheinbaren Ähnlichkeit sehr oft ,Toni Kroos’ genannt. Das war für mich natürlich eine große Ehre.“

An das ecuadorianische Fußball-Klima musste er sich dennoch erst einmal gewöhnen. Das war Fußball voller Leidenschaft. „Hier hast du keine Schwalben gemacht. Das war ein Zeichen von Schwäche. Wenn dann mal ein Spieler am Boden lag, war eigentlich klar, dass irgendwas wirklich passiert sein musste.“ Der Spruch der deutschen Torwartlegende Oliver Kahn – "Wir brauchen Eier!" – war stets das große Trainingsmotto. „Das hat mir ziemlich gut gefallen. Das ist genau die Art, wie ich auch in Deutschland immer Fußball gelebt habe“, erklärt der Bünder.

An eine Sache wird sich Eisenkrätzer dabei wohl auch immer erinnern: „Wir hatten eine Whats-App-Gruppe mit allen Spielern. Und dann hatte ein Mitspieler einen Autounfall, bei dem er verletzt wurde und seine ganze Wade offen war. Davon hat er uns ein Bild geschickt. Es war für ihn selbst völlig normal und hat ihn gar nicht interessiert. Auch seine Mitspieler wünschten einfach ganz normal: Gute Besserung. Die sind einfach abgehärtet.“

Fußball ist in Ecuador eben mitten drin im Leben, das ganz anders ist als in Europa. Und auch, wenn Enrico Eisenkrätzer dieses Auslandsjahr in Südamerika sicher nie mehr vergessen wird, würde er es nicht unbedingt weiterempfehlen: „Das ist auch immer eine Typ-Frage. Wenn du dich dafür bereit fühlst, dann mach es unbedingt. Sonst eben nicht.“

Aufrufe: 08.4.2020, 10:30 Uhr
Nico EbmeierAutor