2024-04-25T14:35:39.956Z

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Lässt sich von einem 0:0 nicht aus der Bahn werfen. Urlöwe und Chefcoach Daniel Bierofka. F: Leifer
Lässt sich von einem 0:0 nicht aus der Bahn werfen. Urlöwe und Chefcoach Daniel Bierofka. F: Leifer

Biero spricht über Pereira, Löwen Abstieg und die TSV-Fans

„Jeder versuchte, sein eigenes Süppchen zu kochen“

TSV 1860 München – Eigentlich kennt er seinen Verein, das stets aufgeregte Löwen-Umfeld. Trotzdem dürfte sich Daniel Bierofka gewundert haben, wie wuchtig nach dem 0:0 in Seligenporten mal wieder die Schlagzeilen ausgefallen sind.

Der „Dämpfer auf dem Dorf“ (tz) kam noch recht harmlos daher. „Die blaue Null“ (Abendzeitung) hatte schon einen kritischeren Touch. Doch auch der Trainer selbst, der reichlich Grund hatte sich aufzuregen (Timo Gebharts lascher Auftritt, ein unbedarft fragender Stadionsprecher), wurde plakativ gewürdigt. „Bierofka macht den Lorant“, titelte dieblaue24, die Bild-Zeitung gar: „Trainer wird zum bösen Biero!“

Ob Bierofka mit Kalkül oder aus dem Bauch heraus gepoltert hat, ist schwer zu überprüfen. Er selbst gab in einem gestern veröffentlichten kicker-Interview immerhin zu, sich durchaus an seinen Berufskollegen zu orientieren. Angefangen bei Papa Willi, mit dem Bierofka jr. „sehr lebhaft über Taktik und Spielordnungen“ diskutiert: „Er lebt alles mit. Von ihm kommen oft Denkanstöße, die mich weiterbringen.“ Bis hin zu noch aktiven Trainer. Ein ehrgeiziger Mensch wie Bierofka schaut natürlich auch, was links und rechts vom eigenen Stall so gecoacht wird. „Ich verfolge alle Trainer“, so Bierofka, „teilweise auch die Pressekonferenzen, um zu sehen, was sie sagen und wie sie sich geben.“

Imponierende Vertreter seiner Zunft sieht Bierofka derzeit bei 1899 Hoffenheim und Schalke 04. „Gerade Nagelsmann und Tedesco machen einen tollen Job. Aber nicht jeder Trainer passt zu jedem Verein“, gibt er zu bedenken: „Wenn hier (bei 1860) einer mit dem Anzug draußen steht und sich nicht fannah gibt, dann könnte das zum Problem werden.“

Einer, der zum Problem wurde, ist Vitor Pereira, sein Vorgänger. Anfängliche Bewunderung für den Startrainer wich bei Bierofka schnell dem Gefühl, dass die Aufgabe 1860 selbst für den prominenten Portugiesen zu groß gewesen ist. „Am Anfang hatte ich ein tolles Gefühl, als Vitor Pereira kam“, blickt der Urlöwe zurück: „Ich habe eine Menge von ihm gelernt, viele Sachen mitgenommen. Bis heute muss ich sagen, dass er ein toller Trainer ist, aber sein System hat einfach nicht funktioniert.“ Und zwar aus folgenden Gründen: „Es war keine Mannschaft auf dem Platz, es war kein Miteinander da, kein mannschaftliches Gefüge. Gegen Ende wurde es immer schlimmer. Und selbst ein erfahrener Trainer wie Pereira kam mit dem Druck nicht mehr so klar.“

Dem Strukturchaos beim Investorenklub von der Grünwalder Straße sei es geschuldet gewesen, dass das System 1860 sozusagen implodierte. Im Rückblick sieht es Bierofka so: „Es wäre gut gewesen, wenn der eine oder andere Entscheidungsträger näher an der Mannschaft gewesen wäre, um ein Gefühl für die Situation zu bekommen. Aber Ian Ayre kam erst Ende April, hatte viele andere Dinge zu tun. Er war einfach zu weit weg. Vielleicht hätte man noch mal eingreifen müssen, aber selbst dann wäre es schwierig geworden.“

Als Co-Trainer, der Bieroka ab Februar war, erkannte er: „Es war einfach keine Mannschaft mehr da. Es waren Einzelspieler, und der unbedingte Wille, in der Liga zu bleiben, fehlte. Den hat man auch im Training nicht mehr richtig gespürt. Jeder versuchte, sein eigenes Süppchen zu kochen.“ Seine Lehre daraus: „Ich habe gesehen, dass der Charakter mit das Wichtigste bei einem Spieler ist, die Qualität nicht an erster Stelle kommt.“ 1860 sei schließlich „völlig verdient abgestiegen“.

Das Ende vom Lied ist die 4. Liga. Mit der Pointe, dass Bierofka, der am wenigsten für den Doppelabstieg konnte, die „Mammutaufgabe“ zufällt, den Betriebsunfall zu reparieren. Bierofka traut es sich zu – „in den nächsten zwei Jahren“, wie er sagt. Er setzt nicht zuletzt auf die gleichermaßen leidensfähige wie leidenschaftliche Fanbasis. Die Stimmung bei den Heimspielen in Giesing sei „außergewöhnlich“, schwärmt er: „Das sind englische Verhältnisse, Fußball pur.“ Dem Verein und den Fans tue es „einfach gut, dass wir zu unseren Wurzeln zurückgekehrt sind und im Moment den Fußball in aller Einfachheit leben“.

Dass dazu auch mal ein 0:0 in Seligenporten gehört, begleitet von aufgeregten Diskussionen, ist bei diesem Verein kaum anders zu erwarten.

Aufrufe: 029.8.2017, 10:48 Uhr
Münchner Merkur - Uli KellnerAutor