2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Vergangene Saison schaffte Holger Seitz mit den Amateuren den Drittliga-Aufstieg. imago images / Sven Simon
Vergangene Saison schaffte Holger Seitz mit den Amateuren den Drittliga-Aufstieg. imago images / Sven Simon

Wie funktioniert der Bayern-Campus, Herr Seitz?

Trainerauswahl und Talent-Entwicklung

Beim FC Bayern sehnt man sich danach, dass endlich wieder ein Eigengewächs den Sprung zu den Profis schafft. Dafür sorgen soll Holger Seitz, Chef des Nachwuchszentrums.

München - Mit dem Münchner Derby zwischen 1860 und Bayern am Sonntag steht auch der FCB-Campus im Blickpunkt. Immerhin tummeln sich in der U 23 der Roten zahlreiche A-Jugendspieler, die auf den Sprung in den Profi-Fußball hoffen. „Wir wollen zeigen, dass unsere zweite Mannschaft mit vielen jungen Talenten besser aufgestellt ist, als die erste Mannschaft der Löwen“, gibt Holger Seitz (45) als Mitglied der Sportlichen Leitung des Münchner Nachwuchszentrums die Marschrichtung für das Derby vor.

Sammer holte ihn als Jugendtrainer

Der gebürtige Niederbayer wurde 2015 von Matthias Sammer als Jugendtrainer zum FCB gelotst und stieg im Sommer in die Sportliche Leitung am Campus auf. Passend dazu kündigte Bayern-Cheftrainer Hansi Flick an, dass bis zum Winter die Jugendspieler Sarpreet Singh, Leon Dajaku, Joshua Zirkzee und Oliver Batista Meier bei den Profis mittrainieren werden. „Wir sind der Meinung: Wenn sich diese Talente weiterentwickeln wollen und sollen, dann müssen sie mit den besten Spielern trainieren“, sagt Flick. In München sehnt man sich danach, dass endlich wieder ein Eigengewächs den Sprung zu den Profis schafft. Doch worauf kommt es an? Und welche Rolle spielen die Trainer dabei? Die tz erklärt: So funktioniert der Campus!

Herr Seitz, Sie sind seit einem halben Jahr Teil der Campus-Leitung des FC Bayern. Wie fällt das persönliche Zwischenfazit zu Ihrem neuen Job aus?

Seitz: Ich versuche mit meiner Erfahrung bestimmte Aspekte neu aufzugreifen, die notwendig sind, um den Campus weiter voranzubringen. Gemeinsam haben wir das Individualtraining für sämtliche Nachwuchsspieler noch mal auf ein anderes Niveau gehoben. Außerdem gibt es weitere Projekte, die zum Teil neu entstanden sind und die ich begleite. Beispielsweise regelmäßig stattfindende Fortbildungsveranstaltungen und Feeback-Gespräche für unsere Trainer. Künftig ist es mein Ziel, auch bei Trainingseinheiten wieder vermehrt auf dem Platz zu sein, da ich ja sowohl beim BFV als auch beim DFB in der Trainerausbildung tätig war. Ich möchte aus diesem Erfahrungsschatz heraus unseren Trainern die Möglichkeit geben, sich weiterzuentwickeln und ihnen Hinweise geben, was sie beispielsweise bei ihrem Coaching verbessern können. Aber nicht als Oberlehrer der meint, die Fußballweisheit mit dem Schöpflöffel gegessen zu haben, sondern sehr gezielt und mit dem nötigen Feingefühl.

Seitz (re.) mit Vorstandsboss Rummenigge nach dem Drittliga-Aufstieg.

Beim DFB versucht man, bewusst Ex-Profis als Trainer zu integrieren. Mit Miroslav Klose und Martin Demichelis sind auch am Campus zwei frühere Weltklasse-Spieler tätig.

Wir wollen hier am Campus bewusst Ex-Profis einbauen, weil wir überzeugt sind: Einer, der jede Situation des Fußballs selbst erlebt hat, kann die Jungs auf sämtliche Szenarien vorbereiten. Gerade Miro und Micho wissen durch ihre Spielerkarrieren, wie man aus komplizierten Situationen rauskommt bzw. erst gar nicht hineingerät. Deswegen helfen uns solche Trainertypen mit einem Erfahrungsschatz, der an keiner Schulbank erlernt werden kann, unglaublich weiter. Trotzdem brauchen wir auch die andere Trainer-Kategorie, die einen anderen Weg gegangen ist: Trainer die schon jahrelang Jugendmannschaften trainiert und vielfältige Erfahrungen in diesem Bereich gemacht haben. Die Mischung macht’s und somit lernen wir voneinander.

Junge Trainer müssen sich oft den Vorwurf gefallen lassen, dass es ihnen nur darum geht, mit guten Ergebnissen so schnell wie möglich nach oben zu kommen.

Das ist ein berechtigter Vorwurf. Leider ist es so, dass viele jüngere Trainer das genau aus diesem Grund machen. Teilweise benutzen sie die Spieler, um ihre eigene Karriere voranzutreiben, das ist gefährlich. Und genau das ist unsere und auch meine Aufgabe am Campus: Wir müssen die Trainer herausfiltern, die ihren Job aus Leidenschaft machen.

„Da lief das alles plötzlich total in die falsche Richtung“

Wann war das zu erkennen?

Zwischen 2008 und 2010 war das schon auffällig. Da lief das alles plötzlich total in die falsche Richtung. Da sind dann genau diese Trainer, die den Job nicht aus Leidenschaft machen, auf den Zug „Ergebnis-Fußball“ aufgesprungen.

Warum gerade damals?

Pep Guardiola! Um das klarzustellen: Herr Guardiola ist für mich einer der weltbesten Trainer, ich habe unzählige Trainingseinheiten gesehen – und bei ihm war jede Einheit ein Wettkampf. Wie er die Spieler gekitzelt hat, da waren alle Antennen bei allen Spielern aufs Maximum ausgefahren. Spätestens zu dieser Zeit hat das Philosophieren über Spielsysteme stark Einzug gehalten. Ich hatte damals das Gefühl, dass viele Jugendtrainer plötzlich wie Pep sein wollten. Sie haben sich gekleidet wie er, sind herumgelaufen wie er und haben versucht, wie er zu trainieren. Plötzlich wurden häufiger Magnete fröhlich an einer Taktiktafel hin und her geschoben, um Grundordnungen gegenüberzustellen und theoretische Lösungen zu präsentieren.

„Profis haben ein ganz anderes Verständnis“

Das bringt dem Nachwuchs nichts?

Da wurde an der falschen Stelle kopiert. Eine Magnettafel in den Griff zu bekommen ist einfach, einen jungen Fußballer mit großen Zielen dagegen nicht immer. Somit eine völlig falsche Priorisierung von Inhalten im Zuge der Jugendausbildung! Wenn Herr Guardiola oder ein anderer Erstliga-Trainer das macht, hat das seine Berechtigung. Profis haben da ja ein ganz anderes Verständnis. Aber als Jugendtrainer geht es nur bedingt um diese Dinge. Da sind die elementaren Dinge des Fußballs viel entscheidender.

Was meinen Sie genau?

Schauen wir uns doch mal eine Pyramide an: Wenn die Mannschaftstaktik die kleine Spitze ganz oben ist, dann ist das Fundament die Einstellung, die Mentalität, demütig und bodenständig zu sein. Genauso wichtig ist es für die Spieler, dass sie wissen, was sie können. Das wird meiner Meinung nach stark vernachlässigt. Wir reden in Deutschland in der Ausbildung zu viel über Dinge, die Spieler nicht können. Das ist für junge Fußballer demotivierend. Wie soll mir jemand ohne Selbstvertrauen, ohne dem Wissen, was ihn ausmacht, in der 89. Minute ein Spiel entscheiden? Aufbauend auf diesem Fundament geht es um Eins-gegen-eins-Situationen. Sowohl in der Defensive als auch in der Offensive mit allen Variationen…

Sie sprechen das Thema Straßenfußballer an.

Das haben wir am Campus ganz gut im Griff, dass bei uns Eins-gegen-eins-Situationen und die elementaren technischen Dinge über allem stehen. Deswegen ist für mich auch das gezielte Individualtraining so wichtig. Wir versuchen, bis zu einem bestimmten Altersbereich so wenig wie möglich über Grundordnungen und Taktik zu reden. Weil das den einzelnen Spieler nicht weiterbringt.

Der FC Bayern Campus: Hier geht‘s rein.

Hängt es auch mit den jungen ehrgeizigen Trainern zusammen, dass es zu wenige Individualisten gibt?

Ja, auch! Wenn man sich die Mannschaftstaktik zu Nutzen macht, lassen sich Defizite einzelner Spieler relativ einfach auffangen. Verwenden wir das Defensivverhalten als Beispiel hierfür: Wenn die Spieler immer schön miteinander verschieben und mit ihrer Kompaktheit Räume zustellen, wird der Gegner Pro­bleme haben, dass er einen Ball in die gefährliche Zone spielt. Die Folge davon ist, dass man mit relativ einfachen Mitteln einen Ballgewinn erzwingen kann. Aber wenn die Mannschaftstaktik gegen stärkere Gegner nicht mehr ausreichend ist, dann kommen die Schwächen des Einzelnen zum Vorschein. Darum ist die Herangehensweise von vielen Trainern falsch.

„Einige in Deutschland müssen umdenken“

Was ist dann richtig?

Ich hab immer die Top-Spiele im Blick. In diesen Spielen sind die Eins-gegen-eins-Situationen entscheidend und wenn diese nicht oder nur oberflächlich trainiert worden sind, werde ich die Topspiele verlieren. Dagegen reicht es bei schwächeren Gegner aus, kompakt zu verteidigen oder ein durchschnittlich trainiertes Eins-gegen-eins-Verhalten abzurufen, um den Ball zu erobern. Das ist nicht unser Anspruch. Da­rum müssen einige in Deutschland umdenken.

Inwiefern?

Wenn die Mannschaftstaktik nicht mehr ausreicht, muss jeder einzelne Spieler so gut ausgebildet sein, dass er es in einem Topspiel schafft, seine Eins-gegen-eins-Situation in der Rückwärtsbewegung zu gewinnen. Oder umgekehrt in der Offensive: Wenn der Dribbler einen ordentlichen Gegenspieler hat, muss er so super sein, dass er diese Eins-gegen-eins-Situation für sich entscheidet. Darum ist die Mentalität, die Freude am „kicken“ die Bereitschaft mich weiterentwickeln zu wollen für uns das Fundament – das Mia-san-mia-Gen und Eins-gegen-Eins.

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Aufrufe: 022.11.2019, 15:21 Uhr
Münchner Merkur / tz / Manuel BonkeAutor