2024-05-17T14:19:24.476Z

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So sieht bekanntlich ein Tischkicker aus.
So sieht bekanntlich ein Tischkicker aus. – Foto: Artem Beliaikin from Moscow, Russia, CC0, via Wikimedia Commons

SpVg Odenkirchen: Titelsammler im Tischfußball

Tischfußball ist in Odenkirchen ein großes Thema, dabei läuft diese Sportart unterhalb des Radars.

Für die einen ist es eine kurzweilige Kneipenbeschäftigung, für einen Verein aus Gladbach ist es „Hochgeschwindigkeitsschach“: Tischfußball. Die SpVg Odenkirchen gehört darin zu den besten Adressen in NRW – mit deutschen Meistern, Nationalspielern und Weltmeistern. Über eine Sportart, die unter dem Radar läuft, und eine Mannschaft, die um mehr Wahrnehmung kämpft.

Bei mancher Sportart lässt sich die Bekanntheit alleine daraus ableiten, wo diese ausgeübt wird. Ein ansehnlicher Trainingsort, der „Sport“ ausstrahlt und sofort auffindbar ist – alles Dinge, die der Aufmerksamkeit dienlich sind. Wer zu den Tischfußballern der SpVg Odenkirchen möchte, steht in Wetschewell vor einem Pförtnerhaus samt verschlossenem Rolltor, dahinter ein schmuckloses Fabrikgebäude. Früher saß dort die Kammgarnspinnerei Stöhr. Nun kann sich jeder in der Größe bis zu 100 Quadratmeter Lagerboxen anmieten und, wer mag, zusätzlich noch private Räume. An einer Brandschutztür im ersten Stock befindet sich dann der erste Hinweis auf die Tischfußballer – und was sich angesichts der Lagerhaus-Kulisse nicht erahnen lässt: Dahinter das zusammengeworfene Ambiente eines Klubheims mit Kühlschrank, ausgedienten Tischen und Stühlen, ein paar Postern an der Wand und fünf Tischkickern. Jemand hat Essen einer Fast-Food-Kette mitgebracht, der Bestellschein für Pizza geht herum.

Bock aufs Kickern

Mit einer reinen Hobbytruppe hat das hier jedoch nur bedingt etwas zu tun – schließlich kommen an diesem Mittwoch mehrere Weltmeister und Deutsche Meister in den Vereinsräumen zusammen; Bernd Baars (in der Klasse Ü63) und Guido Jansen (im Doppel der Klasse Ü50) holten erst vor zwei Wochen in Frankfurt den nationalen Titel im Tischfußball. Der Laie bekommt derweil sofort vermittelt, dass eine „starke Fünf“ die Spiele gewinnt – also die mittlere Spielstange mit fünf Spielfiguren; die moderne Schusstechnik der „Jet“ ist, bei dem durch geschicktes Abrollen der Hand die Figur einen satten Schuss absetzt – und fürs ungeübte Auge alles ohnehin viel zu schnell abläuft. Als rein leistungsorientiert versteht sich die Truppe jedoch nicht. „Jeder ist willkommen“, sagt Christof Brockers, der vor vier Jahren zur Mannschaft stieß, weil er wieder „Bock aufs Kickern“ hatte – und zuletzt die erste Stadtmeisterschaft der Tischfußballer mit organisierte. Denn Zuwachs ist erwünscht. Gerade im Nachwuchs.

Einige Mitglieder kennen sich bereits seit Jahrzehnten, kamen immer wieder auf Turnieren zusammen, verloren sich über die Jahre berufs- und familiär-bedingt aber immer wieder aus den Augen. Vor zehn Jahren intensivierten und organisierten sie ihre Leidenschaft fürs Kickern dann als Mannschaft. „Viele kleine Gruppen haben sich dann zu einer großen zusammengeschlossen“, sagt Brockers. Inzwischen gehören sie seit 2020 als Abteilung der SpVg Odenkirchen an, da mit dem Bundesliga-Aufstieg der Senioren-Mannschaft – also für Spieler über 50 Jahren – eine Vereinszugehörigkeit erforderlich war.

In Odenkirchen war man derweil überrascht, welche hochdekorierten neuen Mitglieder man sich da in den Verein holte. „Bei der Aufnahme des Vereins habe ich bei der Mitgliederversammlung einen Bericht vorgetragen. Da wurden große Augen gemacht. Weltmeisterschaften im Tischfußball – das wissen die Leute gar nicht“, sagt Seniorenspieler Guido Jansen, selbst seit 35 Jahren am Kicker. Bei den Senioren gehöre man zur „Top Drei“ in Deutschland, sagt Jansen, in der 1. Bundesliga sei aktuell aber kein Vorbeikommen an Seriensieger Eintracht Frankfurt. In NRW holte man zuletzt viermal in Serie die Landesmeisterschaft. Die erste Herren-Mannschaft spielt zudem seit dieser Saison in der Landesliga – und einzelne Spieler starten regelmäßig bei hochklassigen Turnieren bis hin zu Weltmeisterschaften.

Kaum Anerkennung

An der öffentlichen Wahrnehmung geht das bislang aber vorbei. Tischfußball besitzt den Ruf als kurzweiliger Kneipensport, nur dass Tischkicker inzwischen vielerorts aus den Kneipen verschwunden sind. Und anders als seine Verbündeten Dart und Billard ist dem Tischfußball bislang im Ansehen nicht der Sprung zum professionellen Sport gelungen. „Es ist eine Nischensportart“, sagt Guido Jansen. Dabei hat sich international in den vergangenen Jahren einiges bewegt. Ein Weltverband organisiert den Sport, es gibt von jedem Großturnier Streamingangebote – und wer diese Videos im Internet abruft, bekommt bemerkenswert professionelle Bilder zu sehen. Im Vorjahr fand die sogenannte „Multitable-WM“, das höchste Turnier im Tischfußball, im französischen Nantes statt. „Da habe ich schon gestaunt, was die da aufgezogen haben“, sagt Jansen.

Ein kleiner Exkurs: Bei der „Multitable-WM“ muss sich ein Spieler an allen Tischkicker-Modellen behaupten. Denn: Tischkicker bedeutet nicht gleich Tischkicker. Fünf Modelle sind vom Weltverband zugelassen, jeder Tisch mit eigener Charakteristik. Der französische „Bonzini“-Tisch ist mit Teleskopstangen eher träge im Spielstil, das führende deutsche Modell „Leonhart“ hingegen deutlich rasanter. Manche beherrschen alle Tische, einige haben ihr bevorzugtes Modell. Für jeden Tisch gibt es zusätzlich eine eigene Weltmeisterschaft, nennt sich dann „World Cup Series“. Aus der Odenkirchener Mannschaft gewannen 2022 beispielsweise Anestis Agelopoulos und Rami Hazwani im Senioren-Doppel den WM-Titel am Tisch „Leonhart“.

Das Aushängeschild des Vereins ist jedoch Luis Jansen, Sohn von Guido Jansen. In der deutschen Rangliste steht er aktuell auf Platz elf. „Mit 17 Jahren ist er einer der besten in Deutschland“, sagt Mannschaftskollege Agelopoulos. Vor sechs Jahren fing Luis Jansen mit Tischfußballer an und entwickelte schnell eine bemerkenswerte Klasse. Bei der „Multitable-WM“ im Vorjahr gewann er den U16-Titel in derKategorie „Klassik-Doppel“ sowie den Teamwettbewerb mit der Junioren-Nationalmannschaft. Insbesondere während der Corona-Zeit intensivierte er sein Spiel. Nun trainiert er rund eine Stunde am Tag, in der Vorbereitung auf ein Turnier auch mal länger. „Wenn ich alleine trainiere, schiebe ich die Bälle in den Reihen hin und her, übe Pässe, Abläufe und verschiedene Schusstechniken“, sagt Jansen. Es geht um Automatismen und Ballkontrolle durch fehlerlose Handhabung, aber auch um Spielsysteme und Taktik, schnelle oder abwartende Aktionen. „Hochgeschwindigkeitsschach“, nennt Agelopoulos Tischkickern auf diesem Niveau. Die kognitive Beanspruchung ist enorm.

Über die Landesgrenzen hinaus

Inzwischen ist Luis Jansen europaweit unterwegs, 20 größere Turniere spielt er in diesem Jahr. Sein Höhepunkt ist die World Cup Serie im August am „Leonard“-Tisch. Geld verdienen lässt sich damit hingegen nicht. „Man legt nur drauf“, sagt Guido Jansen. Fahrten für den Ligabetrieb und die Turniere, Startgelder, Übernachtungs- und Verpflegungskosten, dazu das Equipment – alles muss aus eigener Tasche bezahlt werden. Warum der Aufwand? „Die Gemeinschaft ist immens und es herrscht eine gute Kameradschaft“, sagt Guido Jansen und fügt an: „Es ist einfach Spaß an der Freude – und die Herausforderung, in wenigen Sekunden Entscheidungen zu treffen, um ein Spiel zu gewinnen. Konzentration, Physis, das sind Höchstleistungen.“ Im Verein muss es aber nicht zwingend so ambitioniert zugehen, nicht jeder Spieler reist zu Turnieren. Die Erfolge seien zwar toll, ergänzt Mannschaftskollege Brockers, aber eben nicht alles.

Entsprechend möchte die Abteilung künftig für den Nachwuchs und Frauen attraktiver werden, denn Tischfußball ist bislang ein sehr männerdominierter Sport. „Man kann hier hinkommen und Spaß haben“, sagt Brockers. Unteranderem organisiert die Mannschaft jeden zweiten Mittwoch ein Doppel-Turnier, bei dem die Partner von Runde zu Runde neu ausgelost werden. Künftig soll es zudem weitere Meisterschaften geben. „Wir wollen unseren Sport präsentieren und Jugendliche an den Tischfußball heranführen“, sagt Guido Jansen. Denn man sei zwar aktuell ein junger Verein, der sich aber vor allem durch Senioren trägt.

Aufrufe: 020.5.2023, 22:00 Uhr
Daniel BrickweddeAutor