München - Nein. Reden möchte der Spielerberater nicht. Zumindest nicht öffentlich. Es ist bereits das 13. Telefonat an diesem Tag. „Jedes Wort in dieser schweren Situation ist geschäftsschädigend. Ich muss an meine Spieler denken. Ein Obsthändler stellt sich auch nicht auf den Marktplatz und schreit: Keiner will meine Ware kaufen.“ Dann spricht er doch. Unter einer Bedingung. „Keine Namen in der Zeitung! Weder meinen Namen, noch einen Namen meiner Spieler!“
Die Regionalliga gilt als Sprungbrett für Spieler, die auf dem zweiten Weg den Sprung zum Profi packen wollen. Doch in diesem Jahr blieb das Schaufenster seit März geschlossen. „Die Kicker aus der Regionalliga hatten keine Bühne mehr. Die Profi-Klubs haben diese Spieler nicht mehr auf dem Schirm. Zudem fehlt ihnen der Wettkampfbetrieb“, sagt der Spielerberater. Im Profibereich stehen dagegen etliche Spieler ohne Arbeitspapier da. Der TSV 1860 ist das beste Beispiel. Der Drittligist hat erst Ende September zehn Spieler verabschiedet.
Fünf von ihnen suchen immer noch einen neuen Klub. Darunter auch Ex-Kapitän Felix Weber. „Die Spieler hoffen von Tag zu Tag. Die werden hingehalten. Das ist wie beim Pokern. Ich bin mir sicher, dass nach der Wechselfrist einige Spieler in der Regionalliga landen werden, die dort sportlich nicht hingehören“, sagt der Berater. In Zeiten von Corona erhalten Spieler Angebote, die weit unter ihrem Marktwert sind. Finanziell, im schlimmsten Fall aber auch sportlich. Mit jedem Tag, der verstreicht, stehen Profis und Talente vor der Entscheidung: Nehme ich ein schlechtes Angebot an? Oder hoffe ich darauf, dass noch etwas Besseres reinkommt?
Christian Köppel weiß, wie es sich anfühlt, ein Spielball zu sein: „Das Geschäft ist knallhart. Als Spieler bin ich eine Ware. Das war mir schon immer bewusst. Wenn du ein schlechtes, halbes Jahr spielst, interessiert sich keiner mehr für dich.“ Der Ex-Löwe wollte über den 1. FC Schweinfurt den Sprung zurück in die 3. Liga packen. Doch in der Hinrunde blieben Schweinfurt und Köppel weit hinter den Erwartungen zurück: „Ich hatte Schmerzen im Knie. Es gab kein Punktspiel, bei dem ich mit meiner Leistung zufrieden war“, erinnert sich Köppel.
Der Ex-Löwe arbeitete an seinem Körper, absolvierte ein Lauftraining und stellt seine Ernährung um. „Wenn das mein Kumpel Mo Awata liest, ist er sicher sauer. Er hat oft für uns in der WG gekocht. Ich musste ihm sagen: Mo, ich kann nicht mehr arabisch essen. Ich habe vier Kilo zugenommen“, lacht Köppel. Zur Rückrunde war Köppel wieder topfit. Er wollte sich präsentieren und mit Schweinfurt noch einmal angreifen. Dann kam Corona. Noch vor dem Lockdown teilte ihm der Verein mit: Wenn wir noch aufsteigen, planen wir mit dir. Ansonsten nicht.
Mit 25 Jahren musste sich Christian Köppel entscheiden, wie es in seinem Leben weitergehen soll. „Ich musste mich im März arbeitslos melden. Zum Glück ging das online. Der Gang zum Arbeitsamt blieb mir dank Corona erspart.“ Im Online-Formular gab er an, dass er Fußballprofi ist und einen neuen Verein sucht. Doch Köppel musste sich zum ersten Mal mit dem Gedanken auseinandersetzen, ob es auch einen anderen Weg gibt. Einen Weg ohne Fußball. „Mit 20 stand mir die Welt offen. Aber mit 25 Jahren dreht sich nicht mehr alles nur noch um mich selbst. Ich möchte Verantwortung übernehmen. Auch für eine Familie.“
Mit seiner Freundin ging er beim Abendessen mögliche Berufe durch: Lehrer oder Polizist. Über den Vorschlag muss Köppel noch heute lachen: „Ich? Polizist? Dafür bin ich viel zu weich. Ich würde mit einem Verbrecher noch diskutieren, ob wir das Problem nicht mit Worten regeln können, bevor ich die Pistole zücke.“ Ein Leben ohne Fußball kam für den 25-Jährigen nicht infrage. „Ich will nicht sagen: Ich kann nichts anderes. Aber in diesem Bereich habe ich Fachwissen und Talent.“ Köppel wollte bei Drittligisten vorspielen. Doch er bekam immer wieder dieselbe Antwort: Wir müssen noch abwarten.
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In dieser Zeit hielt er sich auf dem Privatplatz eines Bauern in Moosach fit. Sein Vater musste als Trainingspartner herhalten. Mit seiner Suche nach einem Drittliga-Verein war Köppel nicht alleine: „Der Markt ist richtig mies. Die Chancen auf einen Drittliga-Verein sind gering. Wenn selbst ein Kaliber wie Timo Gebhart jetzt beim FC Memmingen in der 4. Liga spielt, sagt das alles. Er hat in der Champions League gespielt. Er ist der beste Fußballer, den ich am Ball gesehen habe.“
Wie geht es einem Kicker auf Vereinssuche, der vom Fußball leben möchte, aber kaum Drittligaspiele und eine verkorkste Hinrunde vorzuweisen hat? Für Christian Köppel war die Hoffnung immer größer, als seine Zweifel. Dennoch gibt er zu, dass die Situation mit jedem Tag schwieriger wird. „Ich habe bis zum 30. 06. Kurzarbeitergeld bekommen. Je länger du einen Verein suchen musst, desto nervöser wirst du. Diese Ungewissheit kann dich zermürben.“
Das Transferfenster ist noch bis zum 5. Oktober geöffnet. Die Klubs sollten so die Möglichkeit bekommen, möglichst lange und flexibel Transfers tätigen zu können. Für die Spieler ist diese Situation wie Poker spielen: Entscheiden sie sich für ein schlechtes Angebot, wählen dafür aber die Sicherheit? Oder warten sie weiter ab und hoffen. Köppel muss oft an seine ehemaligen Mannschaftskollegen beim TSV 1860 denken. „Eigentlich kann es nicht sein, dass Felix Weber immer noch einen Verein suchen muss. Er ist ein Riesenkicker und war Stammspieler in der 3. Liga. Die Saison läuft bereits. Jetzt muss Felix darauf hoffen, dass sich ein Spieler auf seiner Position verletzt.“
Im Vergleich zu Weber hatte Köppel Glück. Er hatte bereits ein Angebot aus der Regionalliga Südwest, als sein Handy klingelte. Alexander Frankenberger, Cheftrainer im Nachwuchsleistungszentrum des FC Augsburg, hatte einen Plan für die Zukunft des Ex-Löwen. „Er hat mich gefragt, ob ich in der zweiten Mannschaft die Führungsrolle übernehmen möchte.“ Zudem erhält Köppel mit 25 die Chance, ins Trainergeschäft einzusteigen. „Ich wollte dieses Pokern nicht mehr mitmachen. Augsburg ist für mich eine Riesen-Chance . Ich hätte gerne noch einmal alles versucht, um in die 3. Liga zu kommen. Aber ich bin froh, dass ich einen tollen Verein gefunden habe und endlich langfristig planen kann.“
Dann fällt im Gespräch plötzlich ein Name: Jonatan Kotzke. Der hatte beim FC Ingolstadt bereits mit der Profikarriere abgeschlossen. Er war Kapitän der U23, bis er unter Interimstrainer Roberto Pätzold mit 28 in der ersten Mannschaft debütieren durfte. „Ich finde es super, wenn der Fußball diese Geschichten schreibt. In Augsburg stehen mir alle Türen offen. Dafür bin ich dankbar“, sagt Köppel. (CHRISTOPH SEIDL)