2024-05-02T16:12:49.858Z

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Gewohntes Bild (v. l.): Torschütze Herbert Sitter jubelt mit Richard Kroh und Werner Hiltmair.
Gewohntes Bild (v. l.): Torschütze Herbert Sitter jubelt mit Richard Kroh und Werner Hiltmair. – Foto: Konrad Kressierer

Herbert „Tom“ Sitter: Nie verletzt, nie abgestiegen

Erdings Top 100

Er war nicht nur ein erstklassiger Fußballer, sondern auch ein leidenschaftlicher Trainer. Die Wege von Herbert „Tom“ Sitter kreuzten sich unter anderem mit Fußballgrößen wie Mani Bender, Manuel Baum und Thomas Tuchel.

Eichenried – Sein Ballgefühl war schon immer außergewöhnlich. Herbert „Tom“ Sitter war als Fußballer gefürchtet für seine präzisen Flanken, beidfüßige Torabschlüsse und vor allem die Freistöße. Als Fußballtrainer gab er sein Wissen an Spieler bis hinauf zur 3. Liga weiter. Außergewöhnlich ist: „Ich war nie verletzt – und deshalb tut mir heute auch nichts weh.“

Herbert Stefan Sitter wächst in der Waldstraße in Eichenried auf. Mama Anne führt dort die örtliche Posthalterei, Vater Stefan ist als Kassenverwalter zuständig für die Güter in Zengermoos, Peterhof und Karlshof, die der Stadt München gehören. Darüber hinaus ist er Vorsitzender des FC Moosinning. „Mit zehn Jahren habe ich in der Schülermannschaft mit dem Fußball angefangen“, erzählt Herbert Sitter. Logischerweise beim FCM, denn der SV Eichenried wird erst ein paar Jahre später gegründet. Mit der B-Jugend wird er vier Jahre später Meister in der Münchner Gruppe. In der A-Jugend darf der technisch versierte Mittelfeldspieler per Sondergenehmigung in die Erste Mannschaft, die von Otto Humplmair trainiert wird, hineinschnuppern. Moosinning spielt damals in der Bezirksliga (5. Liga), Sitter geht noch zur Schule. Nach dem Abitur, das er am Gymnasium in Erding ablegt, „habe ich erst einmal studiert, das war aber nichts“. Und so arbeitet der Eichenrieder erst einmal bei der Landeshauptstadt München.

Als Fußballer muss er sich fast jede Saison auf einen anderen Trainer einstellen: Walter Wagenbauer, Dani Cudiz, ein guter Spezl der Löwen-Torwartlegende Petar „Radi“ Radenkovic, noch einmal Otto Humplmair und schließlich Edi Sailer. In dieser Zeit wird Herbert Sitter zu Tom Sitter. „Wir haben uns damals alle Spitznamen von Rockmusikern gegeben“, erzählt er. „Und ich habe mich Tom, nach Tom Fogerty von Creedence Clearwater Revival, genannt.“ Der Name ist ihm schließlich geblieben. „Aber nicht nur mir“, erzählt er lachend. „Werner Hiltmair zum Beispiel heißt heute noch Doug nach CCR-Schlagzeuger Doug Clifford.“

Unter Paul Breitner für die Oberbayernauswahl gespielt

Zu dieser Zeit wird alljährlich der Hans-Huber-Pokal ausgetragen, bei dem die Bezirke gegeneinander antreten. Für die Koordination und Betreuung der Oberbayernauswahl ist Edi Sailer zuständig, der beim Bayerischen Fußball-Verband (BFV) angestellt ist. Auswahltrainer ist Paul Breitner sen., zugleich Coach beim ESV Freilassing.

Einst: Herbert Sitter bei der Erstkommunion.
Einst: Herbert Sitter bei der Erstkommunion. – Foto: Privat

„Das war eine Super-Bezirksliga damals“, erinnert sich Sitter. Zusammen mit seinen FCM-Kollegen Martin Lanzinger und Toni Eschbaumer spielt er für Oberbayern. Mit im Team unter anderem der Freilassinger Ex-Profi Hermann Lindner. Das Endspiel gegen Niederbayern findet in Erding statt. Beim Stand von 1:0 legt sich Sitter den Ball zum Freistoß zurecht. „Hermann Lindner hat gesagt: ,Hau drauf und schnipsel ned wieder’“, erinnert sich Sitter. „Ich habe ihn über die Mauer zum 2:0 in den Winkel geschnipselt und lachend zum Hermann gesagt: ,Jetz host as!’“ Oberbayern gewinnt am Ende 2:1.

Als Rahmenprogramm für die Deutschland-Radrundfahrt mit Didi Thurau spielt die Oberbayernauswahl im Münchner Olympiastadion gegen eine Landesligaauswahl. Mittelfeldregisseur Sitter führt sein Team zu einem unerwarteten 2:1-Erfolg. Auf dem Nebenplatz des Olympiastadions setzen die Oberbayern noch einen drauf und schlagen ein paar Wochen danach die Amateure des FC Bayern, die in der Bayernliga (3. Liga) spielen, 4:2 – Sitter trifft zweimal.

Aufstieg vor 3000 Zuschauern

Und auch mit dem FCM läuft es 1980/81 in der Bezirksliga perfekt. „Edi Sailer hat immer gesagt, dass wir aufsteigen wollen, und da haben alle nur geschaut“, erinnert sich Sitter. „Der Edi war im taktischen Bereich vielleicht nicht so gut, aber er war optimistisch, euphorisch, positiv und ein Motivationskönig.“ Ein Beispiel ist das Punktspiel beim Mitkonkurrenten in Freilassing, „ein Prestigeduell zwischen den Trainern Breitner und Sailer“. Eine Halbzeit lang wird Moosinning vorgeführt und hat es ausschließlich Torwart Martin Lanzinger zu verdanken, dass es in der Halbzeit nur 1:0 für den ESV steht. Sailer schwört das Team in der Pause ein, der FCM gewinnt 4:3 – nach drei Sitter-Toren. „Das werde ich nie vergessen, wie der Breitner noch eine Viertelstunde nach dem Spiel auf seiner Trainerbank gesessen ist und fassungslos ins Leere gestarrt hat“, sagt der Matchwinner lachend.

Bezirksligameister 1981 und Aufsteiger in die Landesliga: Der FC Moosinning mit (hinten, v. l.) Robert Kroh, Sepp Huber, Georg Loher, Gerhard Mayer, Herbert Sitter, Karl Thumbs, Franz Eschbaumer, Charly Lehmer, (vorne, v. l.) Betreuer Günter Thumbs, Richard Kroh, Werner Hiltmair, Eicke Lenz, Franz Lenz, Martin Lanzinger, Toni Eschbaumer, Horst Kroh, Rupert Lanzinger, Betreuer Werner Hirner, Trainer Edi Sailer.
Bezirksligameister 1981 und Aufsteiger in die Landesliga: Der FC Moosinning mit (hinten, v. l.) Robert Kroh, Sepp Huber, Georg Loher, Gerhard Mayer, Herbert Sitter, Karl Thumbs, Franz Eschbaumer, Charly Lehmer, (vorne, v. l.) Betreuer Günter Thumbs, Richard Kroh, Werner Hiltmair, Eicke Lenz, Franz Lenz, Martin Lanzinger, Toni Eschbaumer, Horst Kroh, Rupert Lanzinger, Betreuer Werner Hirner, Trainer Edi Sailer. – Foto: Privat

Der FC Moosinning wird Meister, muss aber in die Aufstiegsrunde, weil es für drei Bezirksligameister nur zwei direkte Aufstiegsplätze gibt. Der FCM muss gegen den Topfavoriten TSV Eching ran und schafft die Sensation. „2:1 vor 3000 Zuschauern in Freising – unvergesslich“, schwärmt Sitter. Die Tore schießen Rupert Lanzinger und Herbert Sitter. Als es dann in der Landesliga für den Aufsteiger nicht läuft, wird Edi Sailer durch Hans Humplmair ersetzt, später folgt Dieter Brenninger.

Dass Herbert Sitter dem FC Moosinning nach drei Landesliga-Jahren den Rücken kehrt, hat einen persönlichen Grund: Sein Vater Stefan wird nach knapp zwei Jahrzehnten als FCM-Vorsitzender abgewählt. „Das war hundsgemein und unverschämt“, schimpft Sohn Herbert. „Er hatte angekündigt, noch zwei Jahre machen zu wollen, weil dann ein Vereins- und ein Ortsjubiläum angestanden wären, auf das er sich sehr gefreut hatte, und dann haben sie es ihm nicht mehr vergönnt.“ Herbert Sitter verlässt den FCM: „Wahrscheinlich wäre ich sonst bis zur AH geblieben.“

„Ich hätte nie gedacht, dass ich Trainer werde“

So aber nimmt seine sportliche Karriere eine Wendung. „Ich hätte nie gedacht, dass ich Trainer werde“, erzählt er. Georg Karl und Hans Warzecha vom SC Erding holen ihn als Spielertrainer zum C-Klassisten. „Da spielten viele Spezln, die ich vom Fortgehen her kannte, allen voran Richard Brandhuber.“ Beruflich ist es kein Problem, als Außendienstler bei einem Münchner Pressevertrieb kann er sich die Zeit gut einteilen. Lange bleibt er nicht, die C-Klasse (8. Liga) ist nicht sein Ding. „Das hat keinen Spaß gemacht, do hams mi richtig dahaut“, erzählt Sitter, der nach Fischerhäuser zum B-Klassisten Grüne Heide Ismaning wechselt, mit dabei auch einige Moosinninger Spezln wie Herbert Frank und „Doug“ Hiltmair.

Mürrisch: Herbert Sitter als junger Trainer.
Mürrisch: Herbert Sitter als junger Trainer. – Foto: Konrad Kressierer

Die Heidler steigen souverän auf. Spielertrainer Herbert Sitter wird Torschützenkönig mit 35 Treffern und holt sich in der folgenden Saison die Torjägerkrone eine Klasse höher mit 25 Toren. Grüne Heide wird Vizemeister hinter dem Ortsrivalen FC Ismaning, steigt aber über die Relegation ebenfalls in die Bezirksliga auf. Die Euphorie ist groß. „In der Heide ging’s immer rund, da wurde immer gefeiert“, erinnert sich Sitter, „und auch die FCI-Spieler sind immer gekommen“. Fünf Jahre coacht Sitter das Team, spielt immer seltener von Beginn an und wechselt sich schließlich nur noch ab und zu als Joker ein. Er kündigt seinen Abschied an.

Weil es beim FC Ismaning unter Spielertrainer Manfred Rauscher nicht mehr läuft („Das war ein Superteam, aber die Chemie hat nicht gestimmt“) und der FCI nach einer katastrophalen Rückrunde absteigt, wird Sitter vom Vorstandsduo Helmut Horst und Max Eisenreich zum FCI geholt und steht mit einer völlig neu formierten Mannschaft in der Winterpause auf Platz zwei. Dann aber folgt für Sitter „eine schwere Enttäuschung“, wie er sagt. Toni Plattner, Onkel der aus Ismaning stammenden Leitl-Brüder Rainer, Wolfgang, Christian, Jürgen und Stefan, wird in Ingolstadt entlassen. „Er brachte Torwart Mike Probst und ein paar Leitl-Buam mit, und schon war ich entlassen.“ Vom FCI gibt es allerdings eine großzügige Abfindung. „Eigentlich wollte ich mit meiner damaligen Freundin von dem Geld in den Urlaub fliegen, als mich Wast Wurm anrief“, sagt Sitter. Der Manager des FC Falke Markt Schwaben braucht einen Trainer, weil die Mannschaft in der Bezirksoberliga auf einem Abstiegsplatz steht und Trainer Walter Simmelbauer entlassen worden ist.

In der Bayernliga gegen FC Augsburg und TSV 1860 II

Er übernimmt im Februar 1992 die Falken. „Da waren Ausnahmespieler im Team wie Hermann Knaller, Romeo Pinto, Markus Aigner, die Schiwietz-Brüder oder Cedo Gospic, der für diese Liga viel zu gut war.“ Die Falken spielen immer vorne mit, steigen im Jahr 2000 in die Landesliga auf und marschieren durch in die Bayernliga (3. Liga), „weil das ein unglaublicher Zusammenhalt in der Truppe war“. Plötzlich heißen die Gegner FC Ingolstadt, FC Augsburg und TSV 1860 München 2. Was keiner glaubt: Falke hält die Liga. Unvergessen das Spiel gegen die Löwen, „als die uns 90 Minuten lang hinten reingedrückt haben und wir kurz vor Schluss das 1:0 gemacht haben“, erinnert sich Sitter. „Aber dann war ich plötzlich nicht mehr gewünscht“, erzählt er. Franz Schick übernimmt zur Rückrunde 2003 – und steigt in die Landesliga ab. Heute kicken die Falken in der Kreisklasse (9. Liga).

Aber Sitter ist in Trainerkreisen gut vernetzt. Er bekommt einen Anruf von Willi Bierofka, der beim (mittlerweile) Bayernligisten FC Ismaning aufhört. „Das wäre doch dein Ding, du kennst dich doch aus in der Bayernliga“, sagt er. „Da hatte ich aber beim Landesligisten Eching schon zugesagt“, erinnert sich der Eichenrieder. „Aber die Echinger haben super Verständnis gezeigt, dass ich quasi vor der Haustür trainieren kann, und mich von meinem Wort entbunden.“

Wieder muss er eine neue Mannschaft zusammenstellen, um Torwart und Kapitän Manuel Baum. Gut, dass er sich schon seit Jahren regelmäßig mit dem Nachwuchskoordinator des TSV 1860 München, Ernst Tanner, austauscht, der ihm immer wieder Spieler empfiehlt, die bei den Löwen durchs Raster fallen. FCI-Manager Hans Blößl engagiert noch Ex-Bayernprofi Mani Bender. „Ein super Typ, am Ball perfekt, seine Ecken und Freistöße waren genial – eine absolute Bereicherung fürs Team“, erinnert sich Sitter. „Und wenn du in München mit ihm unterwegs warst, haben sie dir überall den Roten Teppich ausgerollt, als ob er immer noch bei Bayern spielen würde.“

„Sorry, Trainer, aber ich war in Untersuchungshaft“

Trainerkollege Ludwig Trifellner schickt ihm Tobi Schweinsteiger. „Von dem war ich am Anfang im Training gar nicht so begeistert“, betont Sitter. „Dann habe ich ihn bei einem Testspiel gegen Bayern 2 eingewechselt, und dann schießt der drei Tore.“ Der Bruder von Bayern-Star Basti Schweinsteiger ist sich für kein Sondertraining zu schade, arbeitet mit dem Coach an seinen Schwächen. „Das war vor allem sein linker Fuß“, sagt Sitter, der sich besonders darüber freut, als ihm Tobi Schweinsteiger Jahre später ein Foto schickt mit der Widmung: „Ich habe dir sehr viel zu verdanken.“

Engagiert: Herbert Sitter – hier als Coach des BCF Wolfratshausen – ist sauer.
Engagiert: Herbert Sitter – hier als Coach des BCF Wolfratshausen – ist sauer. – Foto: MM-Archiv

In der Saison 2006/07 läuft es nicht mehr beim FCI, und Sitter muss im dritten Bayernliga-Jahr gehen. Er wird ersetzt durch Ex-Löwentorjäger Bernhard Winkler – der nach 50 Tagen auf der Trainerbank schon wieder das Handtuch wirft. Der Eichenrieder geht für drei Jahre zum Landesligisten BCF Wolfratshausen. „Da habe ich mich sehr wohl gefühlt, die Leute da waren richtig nett und hatten eine tolle Mentalität“, erinnert er sich. Vor allem an die Punktspiele gegen den FC Augsburg 2 denkt er zurück: Dort ist Thomas Tuchel Trainer. „Aber letztlich war Wolfratshausen vom Fahren her doch zu aufwändig, von Eichenried aus bist du doch eine Meile unterwegs“, erklärt Sitter seinen Abschied 2009.

Nach einem Angebot von Türk Gücü München (als Nachfolger von Werner Lorant), „das an Lächerlichkeit nicht zu überbieten war“, folgt eine Saison beim Kreisligisten FSV Harthof: „Ein komisches Jahr.“ Sein lustigstes Erlebnis ist, als einer seiner Kicker nicht zum Spiel erscheint und sich dafür beim Dienstags-Training entschuldigt mit den Worten: „Sorry, Trainer, aber ich war in Untersuchungshaft.“

Vom Cheftrainer zum Diskochef

Als Trainer hilft er in der Saison 2012/13 auf Bitte von Silvia Kuhmann noch einmal daheim in Eichenried aus. „Das war praktisch, da musste ich quasi nur über die Straße gehen“, erzählt er. Aber nachdem es Querelen gibt und Kuhmann hinwirft, zieht sich Sitter in der Winterpause zurück, obwohl der SVE in der Kreisklasse auf Rang drei steht: „Da war einfach zu viel Unruhe im Verein.“

Jetzt: Herbert „Tom“ Sitter im Sommergarten, den er – ebenso wie Weekend und Kennedy – gepachtet hat.
Jetzt: Herbert „Tom“ Sitter im Sommergarten, den er – ebenso wie Weekend und Kennedy – gepachtet hat. – Foto: Wolfgang Krzizok

Beruflich verschlägt es Sitter in ein ganz anderes Metier – die Gastronomie. Er übernimmt die Erdinger Diskothek Dos Santos, die später zum Penthaus wird, „und wo immer viele Fußballer gekommen sind. Das war wie ein Wohnzimmer“. Mittlerweile ist er Pächter vom Weekend in Erding, außerdem vom Sommergarten und der Kennedy Bar, die er allerdings unterverpachtet hat.

Mit dem Fußball hat er abgeschlossen, mit einer besonderen Bilanz. „Ich bin nie abgestiegen“, stellt er fest und ergänzt augenzwinkernd. „Ich bin immer vorher gegangen.“ War er denn wirklich nie verletzt? „Doch, einmal – fast“, erzählt Herbert „Tom“ Sitter. „Das war bei Falke, als wir in der Vorbereitung einen Dauerlauf gemacht haben und ich mich nicht richtig aufgewärmt hatte. Da habe ich ein Stechen in der Wade verspürt und gemerkt, das könnte eine Zerrung werden. Da habe ich den Lauf gleich beendet.“ Und er fügt lachend an: „Man muss halt wissen, wann man aufhört.“

Wolfgang Krzizok

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Aufrufe: 012.6.2021, 08:00 Uhr
Wolfgang KrzizokAutor