2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Nach dem Durchmarsch von der Bezirks- in die Bayernliga ist Viktoria Kahl aktuell Tabellenletzter in der 5. Liga. Eine ungewohnte und sehr fordernde Situation für Trainer Nils Noe (rechts).
Nach dem Durchmarsch von der Bezirks- in die Bayernliga ist Viktoria Kahl aktuell Tabellenletzter in der 5. Liga. Eine ungewohnte und sehr fordernde Situation für Trainer Nils Noe (rechts). – Foto: PresseFoto Evans/Ryan Evans

Der ärmste Tropf der Bayernliga?

Trainer Nils Noe (36) ist mit seinem Heimatverein Kahl Schlusslicht der Bayernliga Nord - und muss in der aktuellen Zwangspause mit dieser demotivierenden Tabellensituation zurechtkommen

Gemeinhin sind Sportler - egal welcher Sparte - darauf erpicht, Niederlagen oder anderweitige Enttäuschungen möglichst schnell aus der Welt zu schaffen - mit einem positiven Erlebnis, einem Sieg oder sogar einer Erfolgsserie. In Anbetracht dessen durchlebt Aufsteiger Viktoria Kahl in der derzeitigen Zwangspause eine absolute Ausnahmesituation. Mit gerade einmal neun Punkten zieren die Unterfranken das Tabellenende der Bayernliga Nord (Letzter in der Südstaffel mit 14 Punkten: Nördlingen) - und der Aufsteiger hat derzeit keine Möglichkeit, diese Scharte vorerst auszuwetzen. Trainer Nils Noe steht also aktuell vor einer doppelt schweren Aufgabe. Er muss sein Jungs motivieren - in einer langen fußballfreien Zeit. Als Schlusslicht. Ist der 36-jährige B-Lizenz-Inhaber deshalb der ärmste Tropf der Bayernliga? Der Pädagoge selbst hat eine klare Antwort auf diese Frage im großen FuPa-Interview parat.

FuPa: Nils, hast Du Mitleid verdient - bist Du der bemitleidenswerteste Trainer der Bayernliga?
Nils Noe (36): Nein, das finde ich nicht. Uns geht es aufgrund von Corona nicht anders als allen anderen Vereinen.

Vielleicht doch: Immerhin müsst ihr als abgeschlagener Tabellenletzter die lange Zwangspause durchstehen.
Dass muss man etwas differenzierter betrachtet. Einerseits sind wir nicht abgeschlagenes Schlusslicht. Wir haben bei vier Spielen weniger vier Punkte Rückstand auf den vorletzten Rang, der bereits zur Relegation berechtigt. Außerdem haben wir im vergangenen Jahr - vor allem Zuhause - gezeigt, dass wir in Topbesetzung durchaus konkurrenzfähig sind. Andererseits war es uns von Anfang an klar, dass wir einzig und allein gegen den Abstieg kämpfen werden.

Ist es gerade wegen der tabellarischen Konstellation schwierig, Deine Spieler zurzeit zu Individualtraining zu motivieren?
Ich bin kein großer Freund des Individualtrainings in der aktuellen Phase. Der Großteil meiner Jungs ist ohnehin sportbegeistert und will sich fit halten. Entsprechende Vorgaben sind deshalb nicht nötig. Außerdem: Es geht ja mindestens erst wieder am 1. September los - also in mehr als drei Monaten. Die Frage ist deshalb, ob es sinnvoll ist, aktuell Läufe oder Kraft- und Stabi-einheiten vorzugeben. Wir haben noch genügend Zeit für den Feinschliff - und das aktuelle Fitnessniveau halten die Jungs, wie vorher angesprochen, sowieso.


»Die Bayernliga ist für uns ein Abenteuer.«

Ist demnächst das wieder mögliche Training mit besonderen Rahmenbedingungen auf dem Platz vorgesehen?
Meine Idee wäre es, die Jungs in diesem Rahmen einfach mal zusammen zu trommeln, um sich nach langer Zeit wieder mal zu sehen. Ein Art Willkommen-zurück-Nummer. Unter den gegebenen Voraussetzungen ist nicht mehr drin, als mal entspannt eine Runde mit dem Ball zu arbeiten.

Der FC Viktoria Kahl ist nicht irgendein Fußballclub für Dich, sondern Dein Heimat- und somit Herzensverein. Belastet Dich die aktuelle Lage - einerseits Corona und die unklaren Folgen, andererseits Schlusslicht der Bayernliga Nord - deshalb besonders?
Nein. Die Bayernliga ist für uns ein Abenteuer - nicht mehr und nicht weniger. Es war eigentlich gar nicht unsere Zielsetzung, aufzusteigen. Wir haben auf keinen Fall irgendeinen Leistungsdruck, unbedingt die Klasse halten zu müssen.

Die Stimmung ist wegen der bescheidenen sportlichen Situation deshalb auch nicht am Boden?
Das nicht. Wobei der Verein schon zu kämpfen hat - aber nicht wegen des Tabellenplatzes. Im vergangenen Jahr hat uns ein Sturm heimgesucht und große Schäde hinterlassen. Und nun die Corona-Sache. Finanziell haben wir deshalb wirklich zu knabbern. Bisher hat - Gott sei Dank - kein Sponsor seinen Vertrag gekündigt. Bisher. Wir müssen schauen, wie sich das Ganze entwickelt und hoffen. Auch unsere Haupteinnahmequelle, der Flohmarkt auf unsere Gelände kann derzeit nicht stattfinden.

Nils Noe bezeichnet Kahl als seinen Heimatverein, war schon als Aktiver bei der Viktoria.
Nils Noe bezeichnet Kahl als seinen Heimatverein, war schon als Aktiver bei der Viktoria. – Foto: Hans Will

Ein Flohmarkt als Haupteinnahmequelle?
Ja, auf unserem Gelände findet eigentlich jeden Monat ein Flohmarkt statt. Die Platzmiete ist unsere Haupteinnahmequelle. Seit März jedoch fallen diese Veranstaltungen weg.

Zurück zum Sportlichen: Du bist nun die dritte Saison in Kahl Trainer. Nach zwei Aufstiegen, dem Durchmarsch von der Bezirks- in die Bayernliga, überwiegend in dieser Spielzeit erstmals Negativerlebnisse. Musstet Du als Coach erst mal das Verlieren lernen?
Kann man so sagen. Ich bin sehr ehrgeizig - und dann ist es bekanntlich nicht so einfach, zu verlieren (schmunzelt). Gott sei Dank bin ich gleichzeitig ein sehr positiver Mensch. Es gibt nichts Schlechtes, was auch nicht etwas Gutes mit sich bringt: Aus Niederlagen lernt man mehr wie aus Siegen. Gewinnt man nur, nimmt die Selbstreflexion ab.

Wenn's läuft, dann läuft's, heißt es immer: Im Erfolgsfall verselbstständigen sich oft viele Dinge im positiven Sinne, ein Trainer braucht nur wenig einwirken. Was versuchst Du dann derzeit: Willst Du auf Gedeih und Verderb gewisse Dinge ändern?
Meiner Meinung nach das Wichtigste ist es, dass die Stimmung innerhalb einer Mannschaft gut ist und bleibt - auch als Tabellenletzter. Hätten wir in unserer Situation auch noch schlechte Stimmung, wäre der Abwärtsstrudel noch deutlicher zu führen - bis hin zu Auflösungserscheinungen. In der Wintervorbereitung hatten wir durchaus kritische Situation in dieser Hinsicht. Doch ich selbst versuche immer, Zuversicht und Optimismus auszustrahlen. Auch im Training versuchen wir, immer wieder Spaßübungen einzubauen - wie beispielsweise Lattenschießen. Wir sind keine Profis, sondern Hobbyfußballer - das darf man nie vergessen.

Ist es überhaupt sinnvoll, in schlechteren Phasen alles infrage zu stellen und vielleicht etwas bewusst zu ändern? Sind nicht gerade nach einigen Niederlagen gewohnte Abläufe sehr wichtig, um wieder in die Spur zu finden?
Dass man taktisch immer mal wieder verändern vornimmt, vor allem in negativen Phasen, ist völlig klar und normal. In diesem Zusammenhang beharre ich nicht auf meiner Meinung, sondern nehme auch gerne Ratschläge von außen an. Auch ich versuche mich stetig weiter zu entwickeln. Generell gilt: Alles in Frage zu stellen, wäre übertrieben. Wir sind zweimal in Folge aufstiegen, also kann nicht alles schlecht sein auf einmal.

Ist die Bayernliga für Viktoria Kahl einfach eine Nummer zu groß?
Hm. (überlegt) Wir sind Letzter mit neun Punkten - von daher würde sich ein Ja fast aufdrängen. Ich glaube aber, dass die Bayernliga nicht eine Nummer zu groß ist für uns. Wir können den Klassenerhalt schaffen. Ob es dauerhaft in Anbetracht der gleichbleibenden Einnahmen bei deutlich höheren Kosten über einen längeren Zeitraum hinweg sinnvoll ist, in der Bayernliga zu bleiben, steht auf einem anderen Blatt. Gerade was die Zusammenstellung des aktuellen Kaders betrifft haben wir Fehler gemacht, das muss man zugeben. Und das ist einer der Hauptgründe, warum wir so schlecht da stehen.

Inwiefern?
Wir liegen geographisch sehr unvorteilhaft. Aus Bayern haben wir im Endeffekt nur Aschaffenburger Spieler, die wir akquirieren können - alles andere ist zu weit weg. Und aus Hessen möchte keiner zu uns kommen, weil er dann zu Auswärtsspielen bis zu 400 Kilometer fahren müsste.


»Die Gefahr, die Identität zu verlieren, ist groß«

Und deshalb ist es schwierig, qualitativ hochwertige Spieler zu bekommen?
Genau. Darüber rede ich übrigens regelmäßig offen und ehrlich mit unseren Führungsspieler, mit dem sportlichen Leiter und auch dem Präsidenten. Durch die lange Relegation hatten wir sehr spät Planungssicherheit. Dann hat uns mit Gökhan Aydin (ging zu Vatan Spor Aschaffenburg/Anm. d. Red.) eine Woche vor dem Vorbereitungsbeginn auch noch unser torgefährlichster Spieler verlassen. Es war für uns sehr schwierig, bayernligataugliche Kicker zu finden. Wir mussten Notverpflichtungen tätigen, die uns auch nocht enttäuscht haben.

Wie kann man sich das vorstellen?
Wir hatten nicht die nötige Zeit, um ausführliche Gespräche zu führen und Spielerbeobachtungen zu machen. Ein Berater hat uns Videos geschickt, aufgrund derer wir Spieler verpflichtet haben. Und in dem ein oder anderen Neuen haben wir uns einfach getäuscht. Hinzu kommt, dass es im Umkreis - also in Richtung Aschaffenburg und dem Hanauer Kreis - einfach zu viele höherklassige Vereine gibt, aber zu wenig entsprechendes Spielermaterial.

Ergo ist die Gefahr, die eigenen Identität zu verlieren, in der Bayernliga größer als eine Klasse drunter?
Ja, kann man durchaus feststellen.

Von den Verantwortlichen um Präsident Franz Will (links) erhält der 36-Jährige volle Rückendeckung.
Von den Verantwortlichen um Präsident Franz Will (links) erhält der 36-Jährige volle Rückendeckung. – Foto: Dirk Meier

Beschäftigt Ihr Euch angesichts dessen überhaupt noch mit dem direkten Klassenerhalt - das rettende Ufer ist 13 Punkte entfernt?
Realistisch betrachtet ist die Relegation unser Ziel. Und ganz so schlecht wären diese Extraspiele gar nicht mal. Immerhin könnte es zum Derby gegen Haibach (aktueller Vize in der Landesliga Nordwest/Anm. d. Red) kommen.

Kommen wir zu Dir persönlich: Warum ist der Trainerjob für Dich genau der richtige?
Ich bin 36, an den Jungs noch einigermaßen dran und Vollblut-Fußballer. Ab und zu spiele ich im Training noch selber mit. Irgendeine Funktionärsrolle wäre mir zu weit weg vom Geschehen. Ich interessiere mich für Taktik, Trainingssteuerung und das Zwischenmenschlich einfach mehr wie für bürokratisch-organisatorische Aufgaben.


»Ich habe hier großen Handlungsspielraum«

Ist es ein Vor- oder Nachteil, beim Heimatverein Trainer zu sein. Einerseits kennst Du alles aus dem Effeff, andererseits braucht ja ein Coach eine gewisse Distanz, um auch unangenehme Entscheidungen treffen zu können.
Ein klarer Vorteil. Fritz Will war schon zu meiner aktiven Zeit Vorsitzender der Viktoria. Ich habe einen sehr guten Draht zu ihm. Genauso zu Andre Kasiow (sportlicher Leiter/Anm. d. Red.). Wir alle haben ein sehr gutes und offenes Verhältnis. Deshalb habe ich großen Handlungsspielraum, was mir sehr gefällt. Es passt einfach hier.

Apropos: Dein Vertrag wurde ligenunabhängig um eine weitere Saison verlängert. Kannst Du Dir überhaupt vorstellen, woanders Trainer zu sein?
Prinzipiell bin ich in Kahl sehr zufrieden - trotz der sportlichen Situation. Ich fühle mich bei der Viktoria sehr, sehr wohl. Und es gibt nur wenige Vereine, die mir Ähnliches bieten könnten. Ich bin auf keinen Fall ein Trainer, der von einem Club zum nächsten tingelt.

Vielen Dank für das Gespräch, alles Gute für die Zukunft - und ganz wichtig: Gesund bleiben.

Aufrufe: 017.5.2020, 08:30 Uhr
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