2024-04-25T14:35:39.956Z

Allgemeines
Erfolg ist schön, Spaß und Freude am Spiel aber sind im Kinderfußball viel, viel wichtiger.  HÜBNER
Erfolg ist schön, Spaß und Freude am Spiel aber sind im Kinderfußball viel, viel wichtiger.  HÜBNER

Wie der Fußball Menschen verändert: Späte Einsichten eines Fußball-Papas

Erbitterter Konkurrenzkampf schon beim Spiel der Jüngsten

Es gibt die Tage, da taucht er wieder auf. Manchmal nachts, unvermittelt, plötzlich. Und wir fragen uns dann: Wer ist dieser Mann, was will er?

Einen Teil der Antwort bekommen wir von einem Herrn, der ihn mal kennengelernt hat. Am Rand eines B-Jugendspiels war das, er war als Vater dabei und freute sich über die gute Leistung seiner Kinder. Der fremde Mann war auch Vater und ärgerte sich, dass der andere sich freute. So habe man sich gegenseitig ein bisschen angegiftet, was schließlich ein klein wenig ausgeartet ist und ziemlich peinlich wurde für den fremden Mann.

Und dieser fremde Mann, das soll wirklich ich gewesen sein? Nein, wenn dann bestimmt mein „alter Ego“, mein Fußball-Ich, für das ich mich heute, rund 15 Jahre später, noch immer schäme. Ja ich erinnere mich, dass der Fußball schon mal zu viel an Emotionen freigesetzt und einen anderen Menschen aus mir gemacht hat, gierig nach Erfolg und pöbelnd gegen jeden, der meinen kickenden Söhnen diesen Erfolg hat streitig machen wollen.

Nein, so war ich nicht immer, aber zu oft. Weil ich erst spät begriffen habe, dass der Kinder- und Jugendfußball in erster Linie das Spiel der Kinder ist und eigentlich Spaß vermitteln soll, Freude an der Bewegung unter Freunden. Nur blöd, wenn das Talent der Söhne von Anfang an sehr gelobt wird und man zu träumen beginnt, von der großen Karriere, von Geld, von Ruhm. Und nun versucht, den Kindern den Weg dorthin zu ebnen, immer in Angst, ja nichts zu versäumen. Plötzlich ist nichts wichtiger als eine Meisterschaft der F-Junioren, ein Einzug ins Landkreis-Pokalfinale und diese Bedeutung versucht man den Kindern zu vermitteln. Aber muss man acht-, neun-, zehnjährige Kinder zusätzlich motivieren?

Merkur-Cup als große Bühne

So richtig begonnen hat dann alles mit dem Merkur Cup. Es war die allererste Auflage des Turniers, und unsere Buben haben sensationell das Finalturnier erreicht. Die Heimatzeitung war voll mit Fotos und Berichten. Unser Sohn, einer der Protagonisten, trat im TV-Studio auf und wurde von Rummenigge geehrt. Der Beginn einer großen Karriere? Da will man als Vater nichts versäumen.

Seine beiden Brüder galten dann als noch talentierter, den Jüngsten wollte der FC Bayern schon als F-Junior, er war bei den Talenttagen den Sichtern sofort ins Auge gestochen. Wolfgang Dremmler hat angerufen und von diesem „sehr interessanten Jungen“ geschwärmt. Und der Vater geriet in ein Fahrwasser, das ihn sicher bald in die Büros der großen Manager, zu Uli Hoeneß, vielleicht nach Madrid oder Barcelona spülen würde. Dachte er. Wie Millionen anderer Väter.

Ach ja, das Geld. Schon den Kinder- und Jugendfußball macht es kaputt, weil es den meisten Eltern einfach nicht mehr um das nette Spiel der Kinder geht, sondern um die Projektion eigener, unerfüllter Träume auf die Kids. Das macht aus dem netten Fachverkäufer urplötzlich einen schlimmen Proleten, der gegen andere Eltern, den Schiedsrichter und sogar den eigenen Trainer pöbelt. Der seriöse Banker wird zum Hooligan, die brave Hausfrau zur Furie. Was man im Kinderfußball erleben kann, spottet jeder Beschreibung. Es geht nicht mehr um das Spiel mit und unter Freunden, sondern darum, sich und seinen Nachwuchs hervorzuheben aus der Masse. Das Kind soll möglichst früh gescoutet werden für die Bayern, von den Verbandstrainern für die Auswahlteams. Und natürlich soll es Meister werden und Turniersiege feiern, so oft wie nur möglich.

Zum Glück, zu spät aber für den verblendeten Vater, wurden bei den Kleinsten bald die Tabellen abgeschafft, keine Meistertitel mehr vergeben, neue Spielformen eingeführt, die Eltern so weit wie möglich ins Abseits gestellt. Das Erfolgsdenken der Erwachsenen aber hat man nie beseitigen können, weil immer noch der Maßstab ist, ob und wann das Talent endlich von einem Profiklub geholt wird. Und das geschieht immer früher, obwohl die Eltern längst aufgeklärt sein sollten, dass selbst oder gerade dann die Wahrscheinlichkeit, ganz oben anzukommen, absolut minimal ist.

Der „Relative Age Effect“ als großes Problem

Man will es einfach nicht wahrhaben, weil man das eigene Kind doch immer für das beste und begabteste hält. Zumal, wenn es einem oft bestätigt wird. Von Gerd Müller bekommt es mal im Olympiastadion vor großem Publikum einen großen Pokal überreicht als „Talent des Jahres“. Später steht man auf der Tribüne bei einem internationalen Hallenturnier und hört, wie sich zwei Trainer über die Wahl zum besten Spieler unterhalten und „ganz klar den kleinen Siebener von Sechzig Rosenheim“ favorisieren. Als Vater platzt man vor Stolz. Noch mehr, wenn man dann Klemens Hartenstein am Telefon hat, damals NLZ-Leiter beim SC Freiburg, der den Jungen in Freiburgs hochgelobte Fußball-Schule holen möchte. Man erfährt aber auch, dass die Luft dünner wird, je höher es nach oben geht.

Den Wechsel nach Freiburg verhindert ein Snowboardunfall und als der verletzte Ellbogen kurz nach seiner Heilung neuerlich bricht, weil der Bub einfach viel zu früh wieder gekickt hat, ist fast ein ganzes Jahr verloren und der Traum von Freiburg geplatzt. Zum größten Problem aber wird nun ein Manko, das der Sport, nicht nur der Fußball, ungelöst mit sich herumschleppt: Dieser verdammte RAE, der „Relative Age Effect“, der spät im Jahr Geborene und retardierte Kinder massiv benachteiligt.

Als betroffener Vater beschäftigt man sich recht intensiv damit, erstellt Statistiken, aus denen klar hervorgeht, dass diese Kinder kaum eine Chance in Auswahlteams haben, auch nicht in den Nachwuchsleistungszentren, die ja inzwischen als das Nonplusultra galten, ohne die man sowieso keine Chance mehr auf eine Profikarriere hatte. Keiner hat es dem Buben so deutlich gesagt wie ein früherer Jugendtrainer bei 1860 München: „Du bist ein super Fußballer, aber wir spielen hier in den höchsten Ligen. Kann man dir das zumuten?“ Die Frage war natürlich zugleich die Antwort, Ähnliches bekommt man dann in der Bayernauswahl zu hören: „Fußballerisch top, aber kann körperlich nicht mithalten.“ Wie viele Talente mögen es sein, die deswegen auf der Strecke bleiben, aussortiert und entmutigt, weil bei der aktuellen Struktur des Jugendfußballs gerade bei den 14- bis 15-Jährigen der Erfolg der Mannschaft immer wichtiger wird, nicht die individuelle Förderung? Die Kleinen können vielleicht besser kicken, helfen aber weniger dabei, eine Eliteklasse wie die Regionalliga zu halten.

Es gibt ja die Typen, die gerade aus solchen Erfahrungen Kraft schöpfen, ein Philipp Lahm zum Beispiel, unser Sohn aber war da ein bisschen anders gestrickt. Er spürte bald, dass es wohl nichts werde mit der großen Fußballkarriere und richtete seinen Fokus bald auch auf andere Dinge des Lebens. Nicht aber der Vater, der noch immer jedes Wochenende unterwegs war, jedes Mal eine logistische Meisterleistung vollbrachte, wenn es darum ging, von den Spielen seiner drei Söhne möglichst viel mitzubekommen, auch wenn der eine in Ingolstadt, der andere in Augsburg und der dritte daheim in Rosenheim spielte.

Erbitterter Konkurrenzkampf schon beim Spiel der Jüngsten

Und wenn er dann so am Spielfeldrand stand, ließ sich schnell erkennen, dass er die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte, dass zumindest einer von ihnen, wenn schon nicht in der Bundesliga, so aber doch vielleicht in einer möglichst hohen Spielklasse ankommen werde. Immer wieder witterte er Verrat, auch Neid, geriet fast in eine Handgreiflichkeit, als bei einem Spiel in Milbertshofen der Hauptplatz kurzfristig gesperrt und die Partie auf den holprigen, eigentlich unbespielbaren Nebenplatz verlegt wurde. Die offenherzige Begründung: „Sonst haben wir gegen euch ja gar keine Chance“ war der Auslöser für verbale Entgleisungen, die einem, so man sich daran erinnert, noch heute die Schamesröte ins Gesicht treiben.

War das wirklich immer ich? Es scheint so, es gibt ja Zeugen. Aber auch Leute, die das kaum glauben wollen, weil sie diesen Menschen unter anderen Bedingungen kennengelernt haben. Ja, gewöhnlich ist er ein besonnener Mensch, der Gewalt, auch verbale Gewalt, verabscheut. Aber der Fußball konnte ihn völlig verändern, weil da viel zu viel Erfolgsdenken im Spiel war, erbitterter Konkurrenzkampf schon beim Spiel der Jüngsten, weil jeder glaubt, er könne hier einfach mal so „die Sau rauslassen“. Vor allem aber glaubt man als Vater, seine Jungs bestmöglich schützen zu müssen. Gegen andere Eltern, den Schiedsrichter, sogar den eigenen Trainer. Und vor allem das Unheil dieser Welt.

Inzwischen ist aus dem Vater ein Großvater geworden. Der sich wünscht, seinen Enkel in ein paar Jahren zum Fußball begleiten zu können. Ihm Spaß zu vermitteln, der nicht Ergebnisse, Tabellen und Titel in den Mittelpunkt rückt, sondern Freude am Spiel. Nur darum geht es doch, dann wird sich der Erfolg sowieso von alleine einstellen. Und dass der Profifußball nicht das einzig seligmachende Ziel sein muss, weiß er inzwischen auch. Die drei Söhne haben alle einen Studienabschluss und stehen nun im Leben ihren Mann. Ist das nicht schöner als sie in einem knallharten Geschäft zu wissen, in dem nur noch Profit, nicht mehr aber der Mensch zählt? Oder redet man sich damit enttäuschte Hoffnungen einfach nur schön? Egal.

Die Chance, oben anzukommen, ist nur minimal

Beim Enkel will der Opa nun alles besser machen


Aufrufe: 029.11.2019, 10:49 Uhr
Reinhard Hübner / Redaktion Münchner MerkurAutor