Kenan Celik ist ein leidenschaftlicher Mensch. Er ist stolz auf seine Familie, sein Sohn und sein Neffe spielen Fußball bei Vatanspor, er selbst ist seit einem Jahr Vorsitzender des Vereins, den Einwanderer vor 25 Jahren gründeten. Sein Stolz ist so groß, dass der 53-Jährige heuer seinen Bruder zum Trainer gemacht hat. Der spielte einst Landesligafußball, schnupperte sogar mal am Profifußball. Mit Ercan Celik, so der Plan, klappt es endlich mit dem Aufstieg in die Kreisklasse. Momentan sieht das gut aus: Vatanspor steht auf Rang drei, ein Punkt Rückstand ist es auf den Tabellenführer. Doch seit einigen Tagen ist Kenan Celik nicht mehr stolz. „Jetzt schäme ich mich“, sagt der Vorsitzende.
Anlass dazu waren die Vorfälle nach Spielschluss in der B-Klasse 10. 1:1 stand es nach 94 Minuten zwischen Zabo Eintracht II und Vatanspor II, dann pfiff der Unparteiische einen Elfmeter zugunsten der Heimmannschaft, die so 2:1 gewann. Die Situation eskalierte, ein Vatanspor-Akteur soll zwei Zabo-Spieler mit Faustschlägen niedergestreckt haben, die dem bedrängten und mit wüsten Ausdrücken beschimpften Schiedsrichter zu Hilfe eilen wollten.
Sogar ein anonymer Brief erreichte unsere Redaktion, in dem ein Vater entsetzt das Geschehen schildert, der mit seinem achtjährigen Sohn zufällig als Zuschauer anwesend war. Er nahm diese Erlebnisse zum Anlass, wie er schreibt, „mit ihm nie wieder ein Amateurfußballspiel zu besuchen, solange er sich im Kindesalter befindet“. Wie können, fragt er abschließend, „Mannschaften wie Vatanspor überhaupt noch Teil des Spielbetriebes sein?“ Thomas Raßbach, der Kreisspielleiter, hat sich diese Frage auch gestellt (siehe untenstehendes Interview) und kurzerhand dafür gesorgt, dass Vatanspor vorübergehend nicht mehr zum Spielbetrieb gehört.
Fünf Pflichtspiele Zwangspause verordnete Raßbach den beiden Herrenmannschaften in B- und A-Klasse sowie einen Besuch des Konfliktmanagers, der mit Mannschaft und Vereinsführung versucht, solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden. Das Brisante: Schon zweimal mussten Punktspiele der A-Klassenmannschaft Vatanspors heuer abgebrochen werden, das Sportgericht setzte die Partien allerdings noch einmal neu an.
Kenan Celik hat jetzt gehandelt. Fünf Spieler hat er kurzerhand aus dem Verein geworfen, „damit“, hofft er, „wird so etwas nicht mehr vorkommen“. Vatanspor, versichert der Vorsitzende, sei kein böser Verein. Es mache ihn traurig, was man nun über den Klub erzählt, was man in der Zeitung lesen muss. „Wieder ein Spielabbruch, wieder war es Vatanspor – ich konnte nachts nicht mehr schlafen, weil ich mich so dafür geschämt habe“, sagt Kenan Celik.
Seine Trainer hat er angewiesen, rigoros die Unruhestifter rauszuwerfen, „und wenn es meine Neffen oder Söhne sind“. Die Meisterschaft, von der Kenan Celik vor der Saison so sehr träumte, ist ihm nun gar nicht mehr wichtig: „So möchte ich kein Meister werden. Da ist es mir lieber, wir werden Fünfter oder Achter – können uns aber richtig benehmen.“ Als er noch Trainer war, oder früher, als er Kampfsport betrieb, war es nie das Wichtigste zu gewinnen, sagt Celik: „Entscheidend war, dass man es akzeptieren kann zu verlieren, das macht Sportler aus.“
Die, die das nicht konnten, haben sie jetzt weggeschickt. „Ich bin kein Hellseher“, sagt der Vorsitzende, „aber ich bin frohen Mutes, dass jetzt nichts mehr passiert. Wir sind ja schließlich nicht Real Madrid. Wir sind Vatanspor, in der A-Klasse 6.“
Herr Raßbach, nach dem jüngsten Vorfall haben Sie für Vatanspor eine Zwangspause verordnet.
Raßbach: Ja, ich wollte, dass die Beteiligten die Emotionen runterfahren und dass auch die nächsten Gegner die Denkweise „Oh, jetzt müssen wir gegen die Schläger antreten“ aus dem Kopf bekommen.
Nach zwei Wochen Pause nimmt Vatanspor wieder am Spielbetrieb teil, sind die Probleme gelöst?
Raßbach: Das wird sich zeigen. Wir haben einen Konfliktmanager eingesetzt, der Verein hat sehr gut mitgearbeitet, die Voraussetzungen sind also gegeben, dass wir weitermachen können.
Und falls es wieder zu einem Vorfall kommt?
Raßbach: Am Ende der Saison ist es aus Wettbewerbsgründen schwierig, eine Mannschaft komplett auszuschließen, aber natürlich drohen dann ernsthafte Konsequenzen.
Das Verhalten Einzelner könnte dem ganzen Verein nachhaltig schaden.
Raßbach: Dem Verein und natürlich dem Fußball im Allgemeinen. Wenn Eltern solche Vorfälle beobachten, werden sie sich zweimal überlegen, ob sie ihr Kind in einem Verein anmelden oder es nicht doch lieber zum Flötenunterricht schicken.