2024-05-10T08:19:16.237Z

FuPa Portrait

TuS Lingen: Achterbahnfahrt in die Oberliga

1992 Niedersachsenmeister – Schultejans und Weusthof mit Aufstiegsrundenerfahrung

Vor 25 Jahren feierte der TuS Lingen den größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte: Als Niedersachsenmeister ist er in die Oberliga, die damals dritthöchste Klasse, aufgestiegen. Emotionen pur am Ende einer unglaublichen Achterbahnfahrt.

Lingen. Lange sahen die Lingener wie der sichere Niedersachsenmeister aus. Sie standen immerhin 24-mal an der Tabellenspitze der Verbandsliga, doch ausgerechnet im Endspurt hatten sie „einen gewaltigen Durchhänger“, erinnert sich Mittelfeldspieler Heiner Schultejans. Vor dem letzten Spieltag drohte sogar das Ziel Aufstiegsrunde aus den Augen zu geraten.

Doch in Lohne spielte der TuS wie aus einem Guss. Torjäger Wolli Eising wurde mit seinen Saisontoren 15 und 16 zum Matchwinner. 120 Sekunden vor dem Abpfiff wechselte sich Trainer Alo Weusthof selbst ein. Nach dem Sieg im Herzschlagfinale durfte Lingen noch weiter jubeln. Schritt für Schritt zum Titel. Obmann Gregor Menger hielt telefonischen Kontakt zu den gegnerischen Plätzen, wo die Konkurrenz patzte. Der TuS rückte in der Tabelle weiter vor. Nach einem Urschrei in der Kabine war klar: Lingen hatte den Titel geholt, war Niedersachsenmeister, erreichte zum vierten Mal die Aufstiegsrunde zur Oberliga Nord. Korken knallten von Sektflaschen, die einige unverbesserlich optimistische Fans mitgebracht hatten. Die Partie in Lohne beendete die TuS-Flaute jäh, lieferte Motivation und neuen Schwung für die Aufstiegsrunde, in der die Lingener nur Außenseiter waren. „Das ist der Höhepunkt einer Fußballerlaufbahn. Ein Endspiel nach dem anderen“, weiß Schultejans.

Das Stahlbad der Nerven machte den TuS in der Aufstiegsrunde stark. Diese Mannschaft warf nichts mehr zurück. Dabei musste sie noch einiges wegstecken. Lübeck müsse, der VfL 93 Hamburg wolle und der TuS könne aufsteigen, zeigte der Trainer die Hierarchieebene auf. Dazu gesellte sich der aufstrebende Lüneburger SK. Zwischen Lübeck mit mehreren Ex-Profis und sogar einem Nationalspieler „lagen Welten“ (Schultejans).

In die Welt der Lübecker, die den sechsten Anlauf in die Oberliga unternahmen, ging es am ersten Spieltag. Und richtig sauer traten die Emsländer den Rückweg an. Beim 2:2 blieben sie moralischer Sieger. Nach 68 Minuten führte Lingen an der Lohmühle durch zwei Eising-Treffer. Aber ein Wembley-Tor von Achim Haucke und ein umstrittener Strafstoß durch Simeon Tschilibonov sorgten für den Dämpfer. „Der war nie drin“, beklagte sich Helmut Rolfes. Als er den Assistenten auf den Ballabdruck vor der Torlinie aufmerksam machen wollte, erhielt er eine Zeitstrafe. Da auch Sieling schon draußen wartete, musste der TuS eine doppelte Unterzahl überstehen. An Sprüche, wie „euch Kleinbauern machen wir platt“, kann sich Schultejans gut erinnern. Der Punkt war ein Geburtstagspräsent für Weusthof. Als Surmann es am Morgen ankündigte, winkte der Coach ab: „Mein Geschenk habe ich schon vor einer Woche bekommen“ (die Meisterschaft, die Red.).

Beim Powerplay gegen den VfL 93 Hamburg rettete Schultejans mit einem 22-Meter-Schuss in der Schlussphase einen Zähler. Es folgten die Siege gegen Lüneburg. Beim 1:0 im Emslandstadion traf Hansi Surmann, beim 4:1 in Lüneburg schossen Eising, Schultejans, Uwe Sieling und Bernd Voss die Tore, die in der Endabrechnung den Aufstieg wert waren. Der TuS nutzte seine Chancen entschlossener als in der Aufstiegsrunde ein Jahr zuvor. Chef Heinrich Essmann stellte sich mit roter Krawatte vor. „Damit haben wir noch nie verloren.“

An den Glücksbringer dachte beim 1:2 gegen die Lübecker Millionaros trotz der besten Leistung der Aufstiegsrunde vor der Rekordkulisse von 3150 Zuschauern niemand mehr. Lingen fühlte sich ausgetrickst, weil Lübeck vor dem zweiten Tor einfach unfair war: TuS-Torwart Winni Dust hatte den Ball ins Aus getreten, um einem Mitspieler eine Behandlung zu ermöglichen; Denny Skwierczynski warf das Leder in den Strafraum, wo Hauck goldrichtig stand. VfB-Trainer Ernst Menzel betonte: Das war keine bewusste Unsportlichkeit. Der TuS hätte generös über die Aktion hinwegsehen können, wenn er nur einen Bruchteil der Chancen genutzt hatte. Josef Buschemöhle gelang der 1:1-Ausgleich, aber er bezahlte sein erstes Punktspieltor für den TuS teuer: Beim Jubel brach sich der 27-Jährige, der vorher rund 20 Monate in allen Pflichtspielen auflief, das rechte Schlüsselbein. Dreimal traf der Gastgeber noch Aluminium, aber den Sieg machte Lübeck perfekt.

Lübeck meldete sich mit dem ersten Erfolg zurück im Aufstiegsrennen. Die TuS-Fans wurden den Eindruck nicht los, dass der Goliath Spaß hatte beim Sieg gegen den emsländischen David, der dem nur Wut, Tränen und Enttäuschung entgegenzusetzen hatte. Dass Lingen wegen des gleichzeitigen 4:1-Erfolgs von Lüneburg gegen Hamburg die Tabellenführung übernahm, war überhaupt kein Trost. Aber es war klar: Der Aufstieg würde dieses Mal erst mit dem Rechenschieber entschieden.

Im letzten Spiel beim VfL 93 Hamburg kam es für den TuS noch einmal knüppeldick: Eising klagte beim Abschlusstraining über Schmerzen in der linken Brustseite. Mit einem Lungenriss blieb der 29-jährige Lathener im Krankenhaus. Die Dauerverletzten Norbert Brinker und Horst Bruns fehlten ohnehin. Auf dem Weg vom Hotel in Lüneburg nach Hamburg kam der Bus von der richtigen Strecke ab. Essmann heuerte ein Taxi an, das das Team durch die Großstadt lotste. Menger wartete im Stadion und vermutete eine Finte von Weusthof. Das Team kam 25 Minuten vor Anpfiff an, die Besprechung fand im Bus statt, in dem die Spieler sich umzogen. Am Ende feierten 600 Lingener die Elf, für die Schultejans die Führung besorgte und Dust das 1:1 und damit auch den Aufstieg rettete. Eine Punktlandung. Drei Kontrahenten wiesen 7:5 Punkte auf, Lingen stieg dank der besseren Tordifferenz auf! „Ohne die mannschaftliche Geschlossenheit hätten wir es nie geschafft“, ist Schultejans sicher.

Die Party begann mit dem Schlusspfiff. Weil die Mannschaft aus Aberglauben keinen Schampus mitgenommen hatte, kauften die Verantwortlichen den Hamburgern deren Vorrat ab. Nach Mitternacht wurde die Fete in Lingen fortgesetzt. Im Autokorso fuhren die Aufsteiger am nächsten Tag zum Lingener Rathaus, wo OB Bernhard Neuhaus den willkommenen Werbeträger empfing und mit Blick auf die Konkurrenz in Meppen meinte: „Man darf ja träumen . . . “

Aber Lingen tanzte nur einen Sommer in der dritthöchsten Liga, dann fehlten neun Tore oder ein magerer Punkt zum Klassenerhalt. Ausgerechnet in der Saison mussten wegen der erhöhten Zahl der Vereine aus der 2. Bundesliga mit 24 Mannschaften gleich fünf Teams die Oberliga verlassen. Die Nordklubs VfB Oldenburg, VfL Osnabrück und Eintracht Braunschweig rissen die Emsländer mit in die Tiefe. Irgendwie passt das. Mittlerweile existiert der TuS Lingen nicht mehr.

Aufrufe: 027.12.2017, 10:27 Uhr
EmslandsportAutor