2024-04-30T13:48:59.170Z

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– Foto: Sebastian J. Schwarz

„Hier ist’s viel zu ruhig“

Der Trainer von Fußball-Oberligist Eintracht Trier spricht im großen TV-Interview über die gähnende Leere auf dem Moselstadiongelände, Motivationsprobleme, seine Zukunft, einen Corona-Fall im Team, die Kaderplanung und Gewinner in der Mannschaft.

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Treffpunkt Moselstadion. Der TV hat mit Josef Cinar (36), Trainer von Fußball-Oberligist Eintracht Trier, einen Interview-Spaziergang rund ums coronabedingt aktuell abgeschlossene Gelände gemacht.

Herr Cinar, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie ums derzeit gesperrte Moselstadion-Gelände schlendern?

Cinar: Hier ist’s viel zu ruhig. Normalerweise ist hier immer etwas los. Durch die Läufer, beim Training der Eintracht-Jugendteams oder bei unseren Einheiten. Das alles fehlt schon sehr. Trotz der Erfahrungen des ersten Lockdowns ist es nicht einfacher, mit der aktuellen Situation umzugehen – weil nicht absehbar ist, wann es weitergeht.

Fällt Ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf?

Cinar: Ich tue mich an manchen Tagen schon schwer. Ich verbringe viel Zeit mit der Familie und versuche, mein begonnenes und zwischenzeitlich nach Übernahme des Trainerjobs unterbrochenes Fern-Studium zum Sportfachwirt wieder aufzunehmen. Aber es ist nicht so einfach, sich da wieder mit aller Kraft hineinzuarbeiten. Zudem will ich bei dem einen oder anderen Verein hospitieren und mir die Begebenheiten und Trainings anschauen.

Zu welchen Clubs gibt’s Kontakte?

Cinar: Markus Anfang, Trainer von Darmstadt 98, hat mit angeboten, mal vorbeizukommen. Und zur U 21 des 1. FC Köln bestehen Beziehungen.

Wann haben Sie Ihre Spieler bei Eintracht Trier zuletzt gesehen, nachdem der Trainingsbetrieb seit Ende Oktober ruht?

Cinar: ,Live‘ ist mir der eine oder andere mal spontan über den Weg gelaufen. Ansonsten haben wir zuletzt nur über Videokonferenzen alle zusammengefunden. Das war zuletzt vor rund zehn Tagen der Fall. Wir versuchen, diese virtuellen Zusammenkünfte alle zwei bis drei Wochen hinzubekommen, um uns auszutauschen und damit reinhorchen zu können, wie es den Spielern geht.

Gab’s schon Corona-Fälle im Team?

Cinar: Während des ersten Lockdowns im Frühjahr hatten wir unter den Spielern einen Corona-Fall. Der trat aber erst auf, als wir schon drei Wochen aus dem Trainingsbetrieb draußen waren. Deshalb gab es keine direkten Kontakte.

Stand jetzt wird der Spielbetrieb nicht vor Ende Februar wieder aufgenommen. Ob dieser Termin realistisch ist, kann heute keiner sagen. Wie schwer ist es, keine mittelfristige Planung machen zu können?

Cinar: Es ist nicht einfach. Aber wir haben alle die gleiche Situation. Für uns ist es schade, weil wir in einem super Rhythmus waren und einen Lauf hatten. Wir hatten in den vergangenen Wochen immer wieder einen Re-Start im Blick und die Jungs entsprechend motiviert. Jede erneute Verschiebung macht das schwieriger.

Wie steht’s um Ihre Selbstmotivation?

Cinar: Bei mir ist das weniger ein Problem. Klar ist, dass allen der Wettkampf fehlt. Zu trainieren und sich am Wochenende dann nicht messen zu dürfen, macht keinen Spaß.

Komplizierter ist es für die Spieler, die eine extrem hohe Eigenmotivation brauchen, um sich neben Arbeit, Studium oder Ausbildung individuell fit zu halten – ohne zu wissen, für welchen Tag X sie diesen Aufwand betreiben. Dafür gebührt ihnen größter Respekt.

Für Sie ist der Trainerjob Hauptberuf. Sie sind nun zum zweiten Mal in Kurzarbeit. Inwieweit machen Sie sich als zweifacher Familienvater Gedanken um die berufliche Zukunft?

Cinar: Ich mache mir auf jeden Fall Gedanken. Man weiß nicht wirklich, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die mittel- und langfristige Zukunft im Fußball hat. Schwindet das öffentliche Interesse am Fußball? Wird im Profi- und Amateurbereich weiterhin so viel investiert wie jetzt? Umso wichtiger ist es, dass ich mein Studium abschließe, um für alle Fälle gerüstet zu sein.

Sportlich war 2020 allen Umwägbarkeiten zum Trotz ein gutes Jahr. Die Eintracht ist in den Spielen, die absolviert wurden, ungeschlagen geblieben und führt die Oberliga-Nordstaffel an. Welcher Spieler hat den größten Sprung nach vorne gemacht?

Cinar: Über allem steht die Mannschaft, und da haben wir uns gemeinsam weiterentwickelt. Es gibt einige Jungs, die es verdient hätten, erwähnt zu werden – wie Jason Thayaparan oder Felix Fischer.

Zwei Namen fallen jedoch besonders auf. Zum einen Maurice Roth. Ein absoluter Leader. Ich habe selten einen Spieler erlebt, der so gut verteidigen und gleichzeitig mit so einer Wucht und Qualität angreifen kann. Zusätzlich untermauert er es diese Saison mit Scorerpunkten.

Und zum anderen Tim Garnier. Er ist wichtig für unsere Kabine und übernimmt mittlerweile Verantwortung. Durch den Weggang von Milad Salem ist er in eine Lücke gestoßen. Das hat er genutzt und sich als Spieler weiterentwickelt.

Liegt die Kaderplanung für die nächste Saison coronabedingt auf Eis?

Cinar: Aktuell können wir nicht viel machen, da wir keine Planungssicherheit haben – sowohl, was den weiteren Saisonverlauf angeht, als auch in der Frage, in welcher Spielklasse wir künftig spielen: weiter in der Oberliga oder in der Regionalliga? Trotzdem müssen wir demnächst Gespräche mit unseren Spielern und interessanten Akteuren von außerhalb führen.

Wie sieht’s mit Ihnen aus? Ihr Vertrag als Trainer läuft aus?

Cinar: Konkret wurde noch nicht gesprochen.

Sie wollen weitermachen?

Cinar: In erster Linie ist mir mein Trainerteam wichtig. Faz Kuduzovic und Jochen Pfaff leisten beide top Arbeit. Ich würde mich freuen, wenn wir als Trainerteam hier weiter ein Teil des Vereins sein dürfen.

Dass die Oberliga-Saison mit kompletter Vorrunde (also mit Hin- und Rückspielen) in der Nord- und Südstaffel sowie anschließender Meister- und Abstiegsrunde über die Bühne geht, erscheint nicht gerade realistisch. Welche Alternative wäre im Fall der Fälle aus Ihrer Sicht am sportlich fairsten?

Cinar: Die Spielordnung sieht vor, dass die Saison auch nach Abschluss der Vorrunde in jeder Staffel gewertet werden kann. Sollten wir es schaffen, staffelübergreifend den besten Punkte-Quotienten zu erreichen, gehe ich davon aus, dass wir aufsteigen würden. Ob es insgesamt fair ist? Nein. Ich finde es nicht gerecht, sich mit Mannschaften zu messen, gegen die ich gar nicht spiele.

Sie wohnen unweit der Porta Nigra entfernt. Wie verarbeiten Sie die Geschehnisse der Amokfahrt am 1. Dezember durch die Innenstadt mit fünf Toten und vielen Verletzten?

Cinar: Es ist schrecklich, was passiert ist. Seitdem habe ich es weitgehend vermieden, in die Innenstadt zu gehen. Es war ein großer Schock. Man kann es nicht verstehen. Immer wieder stellt mach sich die Frage: Warum macht jemand so was? Den Gedanken, dass es die eigene Familie hätte treffen können, versuche ich zu verdrängen.

Die Mannschaft hat direkt ein Zeichen der Trauer mit einer Kranzniederlegung an der Porta Nigra gesetzt …

Cinar: … das spricht für die Identifikation. Stadt und Verein sind eng miteinander verbunden.

Was wünschen Sie sich für 2021 – sportlich und nicht-sportlich?

Cinar: Nicht-sportlich natürlich Gesundheit, und dass wir es schaffen, das Coronavirus in den Griff zu bekommen und wieder ein Stück weit Normalität einkehrt – ein Alltag. Man merkt, dass die aktuelle Situation psychisch für viele eine große Belastung ist. Es bilden sich Lager, die spalten. Das ist nicht schön zu sehen.

Sportlich wünsche ich uns allen den Aufstieg. Im Verein wird sehr gute Arbeit geleistet, und die Strukturen wachsen. Ich glaube, das erkennen auch die Menschen in Trier. Denn es ist bewundernswert, wie sehr alle Sponsoren und Gönner in dieser Krise weiterhin unseren Verein unterstützen und Zusammenhalt demonstrieren.

Das Interview führte Mirko Blahak

Aufrufe: 03.1.2021, 16:43 Uhr
Mirko BlahakAutor