Auf der einen Seite der Grenze, die lange Jahr nur einer geographischen Erwähnung wert war, hat Kavalir seine private Heimat. Im bekannten Kurort Marienbad (Mariánské Lázně) lebt er nicht nur. Dort ist auch seine Familie zuhause. Dort studiert der 23-Jährige derzeit auch noch, er will Sportlehrer werden. Im ehemaligen Ostblock-Staat wurde er in Prag, Pilsen und eben Marienbad zu einem technisch versierten, schnellen Außenbahnspieler ausgebildet. Auf der anderen Seite der Grenze, die inzwischen wieder eine unüberwindbare Barriere darstellt, lebt Kavalir seinen fußballerischen Traum. Bei Bayern Hof gehört er zu den Leistungsträger, steht wöchentlich im Schaufenster "Bayernliga". "Ich möchte irgendwann Regionalliga spielen", wünscht sich der sympathische junge Mann. Sportlich ist er zurzeit allerdings heimatlos in der Heimat.
Noch bis vor Kurzem waren diese beiden Welten für den ambitionierten Amateurfußballer nur wenige Minuten Fahrzeit voneinander entfernt, also eigentlich ohne Weiteres miteinander verbindbar und sich keinesfalls gegenseitig auschließend. Die Coronakrise mit der deutsch-tschechischen Grenzschließung in der Folge hat diese eigentliche Selbstverständlichkeit abrupt beendet. Eine Angelegenheit, an die der Bayernliga-Spieler aktuell allerdings nur den zweiten Gedanken verwendet, wie er offen zugibt. "Das Wichtigste ist derzeit, dass meine Familie und ich gesund sind. Wir haben keine Probleme. Wir bleiben alle Zuhause oder gehen höchstens in den Garten", berichtet der baldige Akademiker in gut verständlichem Deutsch.
Als Vollblut-Fußballer kommt Patrik Kavalir aber dann doch nicht drumherum, ausführlicher über seine große Leidenschaft zu sprechen. Die aktuelle Zwangspause käme nämlich für ihn und das gesamte Team der Spvgg Bayern Hof äußerst ungelegen. "Nach einer anstrengenden Vorbereitung waren wir gut in Form", macht die Nummer 27 der Gelb-Schwarzen deutlich. Anstatt um Punkte zu kämpfen und den Klassenerhalt damit frühzeitig zu fixieren, verbringt der Dribbler seine Zeit in diesen Tagen mit individuellem Training - in Laufschuhen, auf dem Rad oder im heimischen Kraftraum. "Es ist schon sehr schwierig für mich als Sportler - ich bin Mannschaftssportler und kein Athlet", betont er. "Außerdem fehlt mir die Praxis. Für meine Entwicklung sind Spiele wichtiger als Laufkilometer."
Und natürlich hat Kavalir auch die geschlossene Grenze im Blick, wenn er über sich, seine Karriere und Bayern Hof spricht. Auf den ersten Blick ist diese Tatsache in der aktuellen Situation kein Problem. Wie seinen Teamkameraden bleibt ihm derzeit ohnehin nur die Möglichkeit, alleine zu trainieren. Kontakt zu Christian Schraps & Co. hält er via WhatsApp - also ortsunabhängig. Auf den zweiten Blick ist diese Tatsache aber sehrwohl ein Problem, vor allem sollte in absehbarer Zeit der Ball wieder rollen in der Bayernliga Nord. Angesprochen darauf zeigt sich der 23-Jährige zuversichtlich. "Generell bin ich ein Mensch, der positiv denkt und deshalb hoffe ich, dass alles wieder gut wird. Man muss stets das beste aus der jeweiligen Situation machen."
Patrick Kavalir ist nicht der einzige tschechische Spieler, dem dieses Szenarium droht - in Deutschland, in Bayern, in Franken und bei der Spvgg Bayern Hof. Bei den Oberfranken sind traditionell viele Spieler aus dem Nachbarland im Kader - aktuelle sind es sechs an der Zahl. Während Matej Kyndl und Martin Holek inzwischen sowieso ihren Lebensmittelpunkt nach Bayern verschoben haben, ergeht es Adam Hajek, Adam Sevcik und Ondrej Chocholousek ähnlich wie Kavalir. "Sollte sich einer dieser Jungs dazu entscheiden, drüben zu bleiben, verstehen wir das natürlich", zeigt sich Hofs Fußballchef Thomas Popp nachsichtig. "Im schlimmsten Falle würde es dann zu einer Vertragsauflösung kommen. Bis es soweit kommt, gibt es aber viele Brücken, die wir schlagen können."
Popp könnte sich vorstellen, dass er "diesen sauberen Burschen" hilft, privat und beruflich in Deutschland Fuß zu fassen - wenn es von ihnen gewünscht ist. "Ich kenne alle sehr gut. Und ich habe keine Bedenken, sie irgendwo einzugliefern." Sollte die aktuelle Grenzschließung länger bleiben und deshalb dazu führen, dass er ein oder andere CZ-Spieler Hof verlässt und generell der gute Draht in Richtung östlichen Nachbarn gekappt wird, ist der 41-Jährige überzeugt, dass das Projekt Spvgg Bayern Hof dennoch nicht daran zugrunde gehen wird. "Wir würden unsere Fühler dann in andere Richtung ausstrecken." Etwas schwieriger würde sich laut dem sportlichen Leiter die Angelegenheit auf der Hofer Bank gestalten. Roman Pribyl, der zur kommenden Saison den Traditionsverein übernehmen soll, ist Lehrer in seiner Heimat - und kann sie deshalb nicht ohne Weiteres verlassen. "Auch hier würden wir eine Lösung finden", ist Popp zuversichtlich.
Freilich, der Fußball würde weitergehen in Deutschland, in Bayern, in Franken und auch bei der Spvgg Bayern Hof - auch ohne tschechische Legionäre. Und auch die CZ-Spieler würden in ihrer Heimat neue Teams finden, für die sie auflaufen können. Doch, und das ist das traurige an der Sache, es würden entstandene Freundschaften zugrunde gehen. Thomas Popp dazu: "Die Jungs würden menschlich sicherlich eine große Lücke hinterlassen."