2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines
Zwischen den Mannschaften steht der Unparteiische: Was passiert im Spannungsfeld? Foto: Swaantje Hehmann
Zwischen den Mannschaften steht der Unparteiische: Was passiert im Spannungsfeld? Foto: Swaantje Hehmann

Gewalt gegen Schiedsrichter: Wie ist die Lage vor Ort?

14 Reporter unterwegs in Stadt und Landkreis Osnabrück

Osnabrück. Alle reden über Gewalt gegen Schiedsrichter im Amateursport. Wie kommt es zu verbalen Entgleisungen auf dem Fußballplatz? Wann schlägt Ärger in Gewalt um? Und: Wie sieht er eigentlich aus, der Alltag der Schiedsrichter? Nachgeforscht in Stadt und Landkreis Osnabrück. Am Wochenende 15./16./17. November sind wir ausgeschwärmt: 14 Spiele aller Alters- und Leistungsklassen in der Stadt und im Landkreis Osnabrück, beobachtet von 14 Reportern, die den Schiedsrichter in den Mittelpunkt rückten.

Sie schauten genau hin und hörten genau zu – bei Spielern, Zuschauern, Trainern und Betreuern. Und sie sprachen mit den Schiedsrichtern, 14 von 60 000, die dieses Amt in ganz Deutschland ausüben und möglich machen, dass im Jahr 1,5 Millionen Fußballspiele stattfinden.

Auf dieser Seite geben wir unsere Eindrücke wieder. Nicht mehr, nicht weniger. Macht Euch dabei Euer eigenes Bild. Wir wollen ein Stück Fußball-Alttag unserer Region beschreiben und nicht nur darüber berichten, wenn es irgendwo kracht.

Eins aber sollte dieses Projekt vor allem sein: Anerkennung für die Schiedsrichter an der Basis. Sie alle leisten viel für die Gemeinschaft des Fußballs und haben jede Unterstützung verdient. Von Spielern und Trainern, von Zuschauern und Fans. Und von Journalisten.

Das haben wir erlebt:

2. Kreisklasse Stadt TSV Osnabrück - SV Ballsport II 6:4, Schiedsrichter: Antonius Hellmich

Vorher und nachher spricht Antonius Hellmich (28, Spielverein 16) mit den Mannschaften. Vorher bittet er um Unterstützung und Fair Play, nachher bedankt er sich und sagt: „Vielleicht hatte ich nicht meinen bestenTag.“ Es gibtApplaus von allen Spielern. „Ein einfaches Spiel, sie haben es mir leicht gemacht“, sagt Hellmich. Vier Elfmeter hat er gegeben, zwei Tore nicht anerkannt. Die Proteste blieben zahm. Hellmich leitet ruhig, spricht mit den Spielern, einem gestürzten TSVer hilft er auf. Von beiden Seiten gibt es Fair-Play-Gesten, man gibt zu, dass der Ball im Aus war. Ein böses, vorsätzliches Foul ist nicht dabei, den einzig giftigen Meckerer bringt Hellmich mit einer klarenAnsage zurRäson.Bei vier Grad und Regen kämpfen sie auf roter Asche mit Begeisterung. „Hat Spaß gemacht“, sagt Hellmich. Warum er pfeift? „Mein Beitrag zum gesellschaftlichen Engagement.“

Kreisliga Stadt Osnabrücker SC - TuS Haste 6:1, Schiedsrichter: Jens Pleister

Jens Pleister (26, VfB Schinkel) hat leichtes Spiel: Die Partie verläuft völlig einseitig zugunsten des Spitzenreiters vom OSC. Diskussionen kommen kaum auf, die wenigen Proteste erstickt er mit klaren, aber ruhigen Ansprachen im Keim. Er braucht nur eine Gelbe Karte, den Rest regelt er über Kommunikation. „Insgesamt war es sehr fair und ruhig“, freut sich Pleister, dem der freundliche Umgang mit den Spielern, inklusive des ein oder anderen witzigen Spruchs, wichtig ist. Schiedsrichter ist er gerne, weil er sich mit Menschen auseinandersetzt und sich an der frischen Luft bewegt. Generell bemerkt er aber einen veränderten Umgang mit Schiedsrichtern auf dem Platz: „Es geht gar nicht mal um körperliche Gewalt, sondern vielmehr um verbale Gewalt. Gerade Zuschauer pöbeln vom Rand viel gegen den Schiedsrichter.“

2. Kreisklasse Stadt SC Kosmos - SC Lüstringen II 3:2, Schiedsrichter: Andreas Dierker.

Lange reichten kleine Gesten und ruhige Worte, aber ein Schubser an die Brust des Gegners lässt Andreas Dierker (56, VfB Schinkel) keine Wahl: Er zieht Rot für den Kosmos-Spieler. Beim Standvon3:1 inder90.Minute ärgertdasauchdessenMitspieler. DerselbeAkteurhatte in dererstenHalbzeitnochfair zugegeben, einen Ball erst im Aus ersprintet zu haben. Das passt zum Spiel: Erst ist es ruhig, später wird es hektisch. Auch Lüstringen beendet das Spiel in Unterzahl. Ein Spieler hört trotz Ermahnungen nicht auf zu meckern, sieht dafür erst Gelb, dann Gelb-Rot(72.). Nach dem Abpfiff entschuldigt sich der Kosmos-Rotsünder, versucht aber auch, seineAktion kleinzureden. Dierker hat über 90 Minuten„viel, vielRederei“ erlebt. SowiesomüsstendieReferees oft einiges auf dem Platz einstecken. Wenn Zuschauer zu viel reinrufen, hilft nur eins: „Ab und zu die Ohren zumachen.“

1. Kreisklasse Süd A BSV Holzhausen II - Hagener SV III 4:0, Schiedsrichter: Oruc Sugünes.

Er leitet ruhig, zurückhaltend, seine teils unkonventionellen Gesten strahlen eine gewisse Lässigkeit aus. Dennoch ist Oruc Sugünes (44, TV Neuenkirchen) stets Herr der Lage beim Derby. „Lass das Kommentieren sein“, sagt er zu einem Spieler, dem eine Entscheidung nicht passt. Kurz darauf zieht er dann Gelb, als erneut ein Pfiff allzu tiefgehend kritisiert wird. Fortan ist es ruhig auf dem Kunstrasen. Das Spiel fließt, wozu Sugünes beiträgt durch eine gute Auslegung der Vorteilsregel, wie vor dem Tor zum 4:0. „Für ein Derby war es sehr ruhig. Man hat gemerkt, dass sich viele Spieler kennen und respektieren. Ich fand gut, wie fair alle miteinander umgegangen sind“, sagte Sugünes. Der einst aktive Kicker (SC Glandorf, SV Bad Laer) pfeift seit 13 Jahren, um seinem Lieblingsspiel treu zu bleiben.

Bezirksliga, A-Junioren JSG Hellern/Hasb./OTB-Osnabrücker SC 5:3, Schiedsrichter: Steffen Nerlich.

Das Derby birgt von Beginn an Brisanz und Rasanz. Schiedsrichter Steffen Nerlich (34, VfL Kloster Oesede) setzt früh mit jeweils einer berechtigten Gelben Karte für beide Teams ein Zeichen und überzeugt auch danach mit klaren Gesten, kurzen Ansprachen und einer ruhigen Ausstrahlung. Nur noch zwei weitere Verwarnungen muss Nerlich in der Folge verteilen. Neben den üblichen Rufen der Spieler auf und neben dem Platz wie „Gelb, Schiri“ oder „Pass mal ein bisschen auf den Sechser auf“ ist dasVerhalten gegenüber dem Unparteiischen respektvoll. Kritikwürdig ist indes manches bewusste kleine Foul hinter dem Rücken Nerlichs. Dieser spricht später von einem sehr intensiven Spiel und einem dennoch fairen Umgang der Spieler untereinander. „Das Spiel wird mir positiv in Erinnerung bleiben.“

Kreisliga Süd TuS Borgloh - SV Bad Laer 0:2, Schiedsrichter: Marcus Köhler.

Mit einemfreundlichen Lachen betritt MarcusKöhler (TV Neuenkirchen) den Kunstrasen in Borgloh und hat danach im Kreisliga-Topspiel einen ruhigen Nachmittag. Die Spielleitung des Referees ist aber auch exzellent. Köhler hat die zweikampfbetonte Partie jederzeit im Griff, zieht nur eine Gelbe Karte trotz einiger härterer Fouls, die sonst oft zusätzliches Feuer ins Spiel bringen. Der ein oder andere Pfiff wird von den Fanlagern, Spielern und Verantwortlichen beider Teams mit den Klassikern kommentiert: „Ey, Schiriiiiii“, „Immer der Zweier“, „Hey, das war Abseits“. Manch ein Akteur baut sich während der 90 Minuten wütend vor Köhler auf. Der Unparteiische löst trotz der Hektik alles mit ruhiger, aber bestimmter Kommunikation.

Landesliga SC Melle - Grün-Weiß Firrel 0:3, Schiedsrichter: Niklas Hinners.

Vor 150 Zuschauern leitet Schiedsrichter Niklas Hinners (23, SFN Vechta) eine unaufgeregte Partie. Der frühe Elfmeterpfiff gegen die Gäste und eine wenig später gezogene Gelbe Karte gegen einen Meller werden von beiden Teams ohne Beschwerden hingenommen. Etwas hitziger wird es ab der 55. Spielminute, als einige Fouls beider Teams vom Gegner lautstark beklagt werden. Die Spieler liefern sich Wortgefechte, von der Tribüne kommen empörte Kommentare. Auf dem Platz lässt Hinners nichts anbrennen: Mit einem klaren „Ruhe jetzt“ verschafft er sich immer wieder den nötigen Respekt. Gewalt sei ihm als Schiedsrichter noch nicht widerfahren, aber „auf dem Platz wird immer mehr geredet und gemeckert. Den Trend kann man auch im Amateurbereich deutlich bemerken.“

B-Junioren, Regionalliga Nord VfL Osnabrück-Hannover 96 II 0:2, Schiedsrichter: Hendrik Dettmer.

Hier geht es entspannter zu als beispielsweise in der Kreisklasse“, stellt Hendrik Dettmer (23, Student) fest, als er mit seinen Assistenten Daniel Janßen (23, Student) und Phil Schröder (17, Schüler) danach in der Kabine sitzt. Die drei aus dem Nordkreis (Ankum, Eggermühlen) sind Früheinsteiger und wollen so hoch wie möglich pfeifen. Sie sind eingespielt, kommunizieren per Blickkontakt und lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Das versuchen Trainer und Spieler kaum, die Kommentare sind gemäßigt, Entscheidungen werden hingenommen. „Man muss aufpassen, dass man hinterherkommt, denn die halten sich nicht mit Reklamieren auf“, sagt Dettmer. Hier sind Profi-Lehrlinge am Werk, die ihre Emotionen unter Kontrolle halten wollen.

Kreisliga Frauen TuS Eintracht Rulle - Hunteburger SV 9:1, Schiedsrichter: Heinz Schleibaum.

Lächelnd begrüßt Heinz Schleibaum (66, SF Lechtingen) die Frauen auf dem Platz. Er weiß vorher, dass es ein ruhiges Spiel wird, denn „Frauenspiele sind zu 90 Prozent fair“. Dass es mit beiden Trainern jeweils zu einer kleinen Diskussion kommt, mache ihm nichts aus, denn „Kleinigkeiten kommen immer vor“. Nach einem fragwürdigen Abseitspfiff kontert er die Beschwerde eines Trainers: „Ich bin der Schiri. Ich darf doch wohl auch mal einen Fehler machen!“ Ansonsten war aber alles ruhig – kein Gemecker auf oder nebem dem Platz. Erfolgreiche Spiele sind es für Schleibaum immer, wenn er ohne Karten auskommt. So wie bei diesem Spiel. „Die Profis machen uns Schiris das Leben extrem schwer“, sagt er zur aktuellen Diskussion. „Die meckern bei jederKleinigkeit. Da ist es doch klar, dass es ihnen die Amateure immer öfter nachmachen.“

3. Kreisklasse Mitte TuS Engter II - TuS Bad Essen II 5:3, Schiedsrichter: Ulrich Münstermann.

Ulrich Münstermann (62,BW Hollage) bekommtteilweise Lob von den Spielern, die seine Entscheidungen mit „gut gesehen“ honorieren. Auch, als sich hinter seinem Rücken eine Schubserei abspielt, reagiert er gut und beruhigt: „Geht vernünftig miteinander um“, sagt der Schiedsrichter. Dennoch ärgert ihn diese Situation. „Das bekomme ich nicht mit, weil ich alleine auf dem Platz bin.“ Ein amüsanter Fehler unterläuft dem Referee allerdings noch: In der 68. Minute pfeift er ein Foul an einem Bad Essener. Die Zuschauer an der Seitenlinie rufen direkt: „Der hat schon Gelb.“ Münstermann zeigt dem Engteraner prompt Gelb-Rot. Jedoch stellt der 62-Jährige nach Protesten der Gastgeber beim Blick auf seinen Notizblock fest, dass der Spieler tatsächlich noch nicht Gelb gesehen hat. Er nimmt den Platzverweis zurück und belässt es bei Gelb.

B-Junioren Bezirksliga Blau-Weiss Hollage-SC Glandorf 3:0, Schiedsrichter: Manuel Maßmann.

Manuel Maßmann (31 Jahre, SC Achmer) leitet gerne Jugendspiele. Dabei sind die Bedingungen für ihn in diesem Spiel bei widrigen Lichtverhältnissen und ohne Assistent gar nicht so einfach. Aber im Notfall helfen die Jungs halt mit. Als der Verwaltungsfachwirt – noch beim Stand von 0:0 – auf Ecke für die Gastgeber entscheidet, geht ein Hollager Spieler auf ihn zu. „Ich war noch dran“, gesteht er. „So etwas ist extrem vorbildlich“, lobt Maßmann. Diskussionen? Keine einzige. „Im Jugendbereich geht es viel disziplinierter zu als bei den Erwachsenen“, sagt Maßmann, der seit 2004 bis zur Kreisliga pfeift. Wieso? „Es ist ein super Ausgleich, prägt die Persönlichkeit.“ Eineinhalb Jahre lang hat er jüngere Kollegen als Pate unterstützt. „Am Anfang ist es wichtig, dass man am Ball bleibt“, sagt er: „Da kann ein bisschen Unterstützung helfen.“

A-Junioren,1. Kreisklasse SSC Dodesheide - SG Hagen/Niedermark II 9:0, Schiedsrichter: Daria Hunfeld.

Respekt–nicht nur vor Schiedsrichterin Daria Hunfeld (25, TuS Haste), sondern auch vor den A-Jugendlichen. Es gibt an einem lausig kalten Samstagabend sicherlich schönere Dinge als ein Fußballspiel. Die Frau im gelben Trikot hat in der einseitigen Partie alles im Griff. „Ein sehr friedliches Spiel, die Jungs haben wenig gemeckert“, sagt Daria Hunfeld später. Die Schiedsrichterin hat nur in einer Situation Grund, die Dodesheider an das Fair Play zu erinnern, als die Teenager angesichts des sportlichen Schützenfestes etwas überheblich wirken. Ansonsten wird sich nach Foulspielen entschuldigt – und auf den Trainerbänken wird auch zum friedlichen Miteinander beigetragen.Als ein SSC-Spieler den fehlenden Pfiff von Daria Hunfeld moniert, bekommt er von seinem Coach nur zu hören: „Ich habe keinen Pfiff gehört, also, weiter geht’s.“

Kreisliga Stadt TuS Nahne - SSC Dodesheide II 1:2, Schiedsrichter: Nico Respondek.

Es hat Spaß gemacht, das sind zwei faire Mannschaften. Ein bisschen standardmäßiges Gerede mal, aber nichts, wo ich hätte eingreifen müssen“, sagt Nico Respondek (41, TuS Haste). Der Schiedsrichter muss es wissen, schließlich pfeift er bereits seit 27 Jahren. Sein Stil wird von den Teams geschätzt. Er agiert ruhig, oft reicht nach einem Pfiff nur ein Handzeichen, und es geht weiter. Fair Play gibt es auch: Respondek sieht einen Ball imAus, obwohl das nicht der Fall war. Die Spieler sind ehrlich, und die Sache ist schnell geregelt. Auch als das Spiel an Intensität nach dem Ausgleich der Gastgeber etwas zunimmt und sich die Beschwerden häufen, bewahrt Respondek die Ruhe. Vor einigen Wochen war er tätlich angegriffen worden, will sich sein Hobby aber nicht nehmen lassen. „Solange es im fairen Rahmen bleibt, mache ich gerne weiter.“

Kreisliga Frauen TuS Glane II - BW Hollage II 2:0, Schiedsrichter: Jonas Brandwitte.

Ein „sehr faires Spiel ohne Gemecker“ hat Jonas Brandwitte (17, BW Schwege) geleitet. Er war immer auf der Höhe des Spielgeschehens. Die Mannschaften machten es ihm dabei sehr leicht. Exemplarisch dafür stand ein Einwurf in der ersten Halbzeit. Eine Hollager Spielerin gab diesen ganz fair an Glane ab. „Aus meiner Sicht sah es anders aus“, erinnert sich Brandwitte. Einziger Kritikpunkt: Seine Pfeife versagte ab und an. Da hätte er sein Arbeitsgerät besser warten müssen. Schiedsrichter geworden ist der Schweger, weil er als aktiver Fußballer wisse, wie wichtig die Unparteiischen für den Sport sind. Verständnis für Gewalt gegen Kollegen habe er daher nicht.



Die Reporter:

Es berichteten Lennart Albers, Stefan Alberti, Vincent Buß, Christian Detloff, Susanne Fetter, Christian Hesse, Johannes Kapitza, Benjamin Kraus, Harald Pistorius, Christoph Schillingmann, Malte Schlaack, Sven Schüer, Sven Stahmann, Konstantin Stumpe, Peter Vorberg. Es fotografierten Swaantje Hehmann, Rolf Kamper, Helmut Kemme.

Weiterlesen:

Aufrufe: 026.11.2019, 17:35 Uhr
Sportredaktion NOZAutor