2024-05-02T16:12:49.858Z

FuPa Portrait
Mit vollem Herzen war Peter Wießmeier Fußballer, mit vollem Herzblut ist er jetzt Trainer. Er feuert seine Spieler an, er jubelt, er ärgert sich. Und manchmal führt er auch ein Wortgefecht. F: Michael Matejka
Mit vollem Herzen war Peter Wießmeier Fußballer, mit vollem Herzblut ist er jetzt Trainer. Er feuert seine Spieler an, er jubelt, er ärgert sich. Und manchmal führt er auch ein Wortgefecht. F: Michael Matejka

"Lass diesen Kasper da doch einfach brüllen"

Alltag in der A-Klasse 6 - Folge 2: Peter Wießmeier, Vater von Clubprofi Julian Wießmeier, ist Trainer bei der DJK Bayern, an die Liga muss er sich erst noch gewöhnen

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Ein holpriger Sandplatz, in der Kabine eine Kiste Bier, das Trikot riecht nach Zigaretten - ja, man erzählt viel über die A-Klasse. Aber auch, dass man dort den Fußball noch so erleben kann, wie er ursprünglich einmal war. Wir wollen herausfinden, wie es wirk­lich ist, in den Niederungen des Ama­teurfußballs. Deshalb begleiten wir die A-Klasse Nürnberg 6 - eine ganze Saison lang.

„Uuiiiiiiiiiiiht!“ - der Pfiff des Trai­ners zischt klar durch die Luft und kriecht tief hinein ins Ohr, so tief, dass man spüren kann, wie sich das Trommelfell aufdehnt wie ein Heiß­luftballon. Ein Hund, der eben noch zufrieden im Schatten schnarchte, reißt verwirrt die Augen auf. „Jooo­schiiii“, brüllt Peter Wießmeier und rudert wild mit den Armen. Der Hund springt auf und zerrt an der Leine, knurrt. Was das Tier nicht wissen kann: Peter Wießmeier will nur aus­wechseln.

Das allerdings hat auch sein Ersatz­spieler noch nicht begriffen, er lugt un­sicher hinter dem Tor hervor. „Joooo­schiiii“, brüllt Wießmeier wieder und winkt ab: „Mann duuuuu!“ - 1:0 führt die DJK Bayern gegen Zabo Ein­tracht, es geht um wichtige Sekunden, die Führung, den Sieg. Joschi hat auch das noch nicht so ganz kapiert. Er trabt gemächlich herüber. Was Wießmeier noch nicht so ganz kapiert hat: Er befindet sich in der A-Klasse.

Peter Wießmeier hat sein halbes Le­ben auf Sportplätzen verbracht. Er spielte bei den Club-Amateuren, Maiach, Neumarkt, Katzwang und dem Türkischen FK. „Das hier“, sagt er, „ist schon eine ganz neue Welt für mich.“ Heute ist er alleine hier. Als er noch selbst spielte, war immer seine Frau mit dem kleinen Sohn dabei, manch­mal sogar beim Training, fünfmal in der Woche.

„Julian“, erzählt Peter Wießmeier, „hat seine Mama dann ins Tor gestellt.“ Er hat sie flanken las­sen, er hat auf sie geflankt, er hat ihr den Ball zugepasst, sie hat ihm zuge­passt, er hat ihr zugeköpft, sie ausge­spielt, manchmal abgegrätscht. „Was er erreicht hat“, sagt sein Vater, „das hat er nicht mir zu verdanken, son­dern seiner Mutter.“ Julian Wießmeier hat neun Bundes­ligaspiele für den 1. FC Nürnberg absolviert, ein Tor geschossen, ge­gen Hannover 96, vor 49.000 Zuschau­ern. Dann hat er 19 Zweitligaspiele bestritten für Jahn Regensburg, drei in der dritten Liga für Wiesbaden. Mittlerweile wohnt er wieder zu Hau­se, spielt wieder beim Club, in der Regionalligamannschaft. „Julian hat eingesehen, dass er einen Schritt zu­rück machen muss“, sagt sein Va­ter. „Aber das ist nicht schlimm. Ich bin ja auch wieder hier, in der A-Klasse.“ Peter Wießmeier steht jetzt an der Außenlinie und nimmt Joschi in den Arm, wie das die Guardiolas und Klopps immer machen, in der Bundes­liga. Wießmeier redet auf Joschi ein, fuchtelt taktische Anweisungen vor ihm durch die Luft. Joschi nickt, ob er irgendetwas verstanden hat, weiß man nicht. „Nur zumachen“, ruft ihm der Trainer hinterher, „keine riskan­ten Bälle.“ Joschi dreht sich noch mal um, zeigt mit dem Daumen nach oben, grinst. Hinter ihm zieht gerade ein Spieler von Zabo Eintracht mit dem Ball am Fuß vorbei.

Wo immer sein Sohn gespielt hat - Peter Wießmeier stand bei Wind und Wetter am Spielfeldrand. Oder er saß auf einer Tribüne. „Trainiert“, sagt er, „habe ich Julian nie. Als Vater hab ich doch keinen objektiven Blick.“ Er habe ihn weder hineingetrieben, noch gebremst. „Man hat bei Julian schnell gesehen, wo es hingeht. Viele wollten in diese Sportschule, die Sportschule aber wollte ihn. Viele wollten zum Club, der Club wollte ihn.“ Auch Peter Wießmeier wollten sie, bei der DJK Bayern. Doch zunächst wollte er nicht in die A-Klasse. „Ich habe irgendwann gesehen, wie rüh­rend sich die junge Vorstandschaft bemüht hat. Es ging nicht nur darum, eine A-Klassen-Mannschaft zu trainie­ren, sondern einen Traditionsverein zu retten.“ Also hat er doch irgend­wann ja gesagt. Und jetzt sitzt Peter Wießmeier Woche für Woche bei der DJK Bayern auf der Trainerbank.

Man sieht die ersten Fortschritte, Wießmeier hat die Clubjugend trai­niert und ist mit den Frauen in die Regionalliga aufgestiegen. Bei der DJK Bayern lässt er Ballübungen machen: „Stoppen, passen, schießen - man darf die Jungs nicht überfor­dern“, weiß er.

Der Stürmer lässt jetzt einen Vertei­diger ins Leere laufen, Wießmeier hält die Luft an. Der Stürmer zieht auf, tritt aber vor allem ein Stück Erde aus dem Rasen. Der Keeper muss sich nicht einmal schmeißen. Wießmeier schließt die Augen und legt den Kopf in den Nacken. Er meditiert. „Der Felix“, sagt er dann zu seinem Co-Trainer, „der kriegt jetzt einen Arsch­tritt von mir. Wirklich!“ Über die A-Klasse, über DJK Bay­ern, spricht Wießmeier selten mit sei­nem Sohn. „Der weiß schon, dass ich das mache. Er findet das nicht schlimm, er hat ja selber Kumpels in diesen Ligen.“ Zugesehen hat der Clubprofi bislang noch nicht. „Viel­leicht kommt das noch. Wobei: Was soll er hier denn lernen?“, fragt der Vater.

Die DJK Bayern führt mit 2:1, der Verteidiger schlägt noch einmal einen letzten langen Ball. Zabo hat plötzlich den Ausgleich auf dem Fuß. „Ab­seits!“, brüllt Wießmeier hektisch, „abseits!“ - es ist der verzweifelte Ver­such, das Unheil irgendwie noch abzu­wenden. Doch der Stürmer schießt vorbei. „Lass halt des Gebrüll“, ruft der Zabo-Coach. Irgendwer beginnt ein Wortgefecht, Wießmeier bleibt ruhig, sagt nur laut: „Lass den Kasper da doch brüllen.“ Peter Wießmeier schmunzelt später, als man mit ihm in den letzten Sonnen­strahlen des Tages sitzt. „Ach ja, Fuß­ball“, sagt er und lächelt. Das hat ihm zuletzt sehr gefehlt. „Es macht mir hier großen Spaß, das hätte ich gar nicht gedacht - das ganze Drumher­um. Und auch mal die kleinen Provo­kationen, die gehören doch auch dazu“. In der Bundesliga wie in der A-Klasse.

Aufrufe: 027.8.2014, 10:17 Uhr
Christoph BeneschAutor