Ein holpriger Sandplatz, in der Kabine eine Kiste Bier, das Trikot riecht nach Zigaretten - ja, man erzählt viel über die A-Klasse. Aber auch, dass man dort den Fußball noch so erleben kann, wie er ursprünglich einmal war. Wir wollen herausfinden, wie es wirklich ist, in den Niederungen des Amateurfußballs. Deshalb begleiten wir die A-Klasse Nürnberg 6 - eine ganze Saison lang.
Das allerdings hat auch sein Ersatzspieler noch nicht begriffen, er lugt unsicher hinter dem Tor hervor. „Jooooschiiii“, brüllt Wießmeier wieder und winkt ab: „Mann duuuuu!“ - 1:0 führt die DJK Bayern gegen Zabo Eintracht, es geht um wichtige Sekunden, die Führung, den Sieg. Joschi hat auch das noch nicht so ganz kapiert. Er trabt gemächlich herüber. Was Wießmeier noch nicht so ganz kapiert hat: Er befindet sich in der A-Klasse.
Peter Wießmeier hat sein halbes Leben auf Sportplätzen verbracht. Er spielte bei den Club-Amateuren, Maiach, Neumarkt, Katzwang und dem Türkischen FK. „Das hier“, sagt er, „ist schon eine ganz neue Welt für mich.“ Heute ist er alleine hier. Als er noch selbst spielte, war immer seine Frau mit dem kleinen Sohn dabei, manchmal sogar beim Training, fünfmal in der Woche.
„Julian“, erzählt Peter Wießmeier, „hat seine Mama dann ins Tor gestellt.“ Er hat sie flanken lassen, er hat auf sie geflankt, er hat ihr den Ball zugepasst, sie hat ihm zugepasst, er hat ihr zugeköpft, sie ausgespielt, manchmal abgegrätscht. „Was er erreicht hat“, sagt sein Vater, „das hat er nicht mir zu verdanken, sondern seiner Mutter.“ Julian Wießmeier hat neun Bundesligaspiele für den 1. FC Nürnberg absolviert, ein Tor geschossen, gegen Hannover 96, vor 49.000 Zuschauern. Dann hat er 19 Zweitligaspiele bestritten für Jahn Regensburg, drei in der dritten Liga für Wiesbaden. Mittlerweile wohnt er wieder zu Hause, spielt wieder beim Club, in der Regionalligamannschaft. „Julian hat eingesehen, dass er einen Schritt zurück machen muss“, sagt sein Vater. „Aber das ist nicht schlimm. Ich bin ja auch wieder hier, in der A-Klasse.“ Peter Wießmeier steht jetzt an der Außenlinie und nimmt Joschi in den Arm, wie das die Guardiolas und Klopps immer machen, in der Bundesliga. Wießmeier redet auf Joschi ein, fuchtelt taktische Anweisungen vor ihm durch die Luft. Joschi nickt, ob er irgendetwas verstanden hat, weiß man nicht. „Nur zumachen“, ruft ihm der Trainer hinterher, „keine riskanten Bälle.“ Joschi dreht sich noch mal um, zeigt mit dem Daumen nach oben, grinst. Hinter ihm zieht gerade ein Spieler von Zabo Eintracht mit dem Ball am Fuß vorbei.
Wo immer sein Sohn gespielt hat - Peter Wießmeier stand bei Wind und Wetter am Spielfeldrand. Oder er saß auf einer Tribüne. „Trainiert“, sagt er, „habe ich Julian nie. Als Vater hab ich doch keinen objektiven Blick.“ Er habe ihn weder hineingetrieben, noch gebremst. „Man hat bei Julian schnell gesehen, wo es hingeht. Viele wollten in diese Sportschule, die Sportschule aber wollte ihn. Viele wollten zum Club, der Club wollte ihn.“ Auch Peter Wießmeier wollten sie, bei der DJK Bayern. Doch zunächst wollte er nicht in die A-Klasse. „Ich habe irgendwann gesehen, wie rührend sich die junge Vorstandschaft bemüht hat. Es ging nicht nur darum, eine A-Klassen-Mannschaft zu trainieren, sondern einen Traditionsverein zu retten.“ Also hat er doch irgendwann ja gesagt. Und jetzt sitzt Peter Wießmeier Woche für Woche bei der DJK Bayern auf der Trainerbank.
Man sieht die ersten Fortschritte, Wießmeier hat die Clubjugend trainiert und ist mit den Frauen in die Regionalliga aufgestiegen. Bei der DJK Bayern lässt er Ballübungen machen: „Stoppen, passen, schießen - man darf die Jungs nicht überfordern“, weiß er.
Der Stürmer lässt jetzt einen Verteidiger ins Leere laufen, Wießmeier hält die Luft an. Der Stürmer zieht auf, tritt aber vor allem ein Stück Erde aus dem Rasen. Der Keeper muss sich nicht einmal schmeißen. Wießmeier schließt die Augen und legt den Kopf in den Nacken. Er meditiert. „Der Felix“, sagt er dann zu seinem Co-Trainer, „der kriegt jetzt einen Arschtritt von mir. Wirklich!“ Über die A-Klasse, über DJK Bayern, spricht Wießmeier selten mit seinem Sohn. „Der weiß schon, dass ich das mache. Er findet das nicht schlimm, er hat ja selber Kumpels in diesen Ligen.“ Zugesehen hat der Clubprofi bislang noch nicht. „Vielleicht kommt das noch. Wobei: Was soll er hier denn lernen?“, fragt der Vater.
Die DJK Bayern führt mit 2:1, der Verteidiger schlägt noch einmal einen letzten langen Ball. Zabo hat plötzlich den Ausgleich auf dem Fuß. „Abseits!“, brüllt Wießmeier hektisch, „abseits!“ - es ist der verzweifelte Versuch, das Unheil irgendwie noch abzuwenden. Doch der Stürmer schießt vorbei. „Lass halt des Gebrüll“, ruft der Zabo-Coach. Irgendwer beginnt ein Wortgefecht, Wießmeier bleibt ruhig, sagt nur laut: „Lass den Kasper da doch brüllen.“ Peter Wießmeier schmunzelt später, als man mit ihm in den letzten Sonnenstrahlen des Tages sitzt. „Ach ja, Fußball“, sagt er und lächelt. Das hat ihm zuletzt sehr gefehlt. „Es macht mir hier großen Spaß, das hätte ich gar nicht gedacht - das ganze Drumherum. Und auch mal die kleinen Provokationen, die gehören doch auch dazu“. In der Bundesliga wie in der A-Klasse.