2024-04-30T13:48:59.170Z

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Ehre, wem Ehre gebührt: Der Pokalcoup der Eintracht Haiger gegen den KSG wurde auch in der Wetzlarer Neuen Zeitung entsprechend gewürdigt. 	Foto: Alexader Fischer
Ehre, wem Ehre gebührt: Der Pokalcoup der Eintracht Haiger gegen den KSG wurde auch in der Wetzlarer Neuen Zeitung entsprechend gewürdigt. Foto: Alexader Fischer

Auf einer Stufe mit Vestenbergsgreuth

GESCHICHTE: +++ Am 21. November 1984 wirft Eintracht Haiger den damaligen Bundesligisten Karlsruher SC aus dem DFB-Pokal +++

Haiger. Für Heinz Becker, den langjährigen Vorsitzenden, war es „der schönste Tag, den ich als Funktionär erleben durfte.“ Wilfried Brümmer, einst unbezwingbar im Tor der Männer vom Haarwasen, sprach von der „unglaublichsten Sensation, an der ich jemals beteiligt war.“ Und Wolfgang Waldschmidt, Schütze jenes goldenen Tores, das die damals von Niko Semlitsch trainierte Truppe auf eine Stufe mit den Pokal-Überraschungen SpVgg. Vestenbergsgreuth, SC Geislingen, Eintracht Trier, TSV Havelse, FV Weinheim oder VfB Eppingen hievte, bekannte mal in einem Interview: „Immer, wenn das Gespräch auf diesen Nachmittag kommt, läuft es mir eiskalt den Rücken runter.“

Die faszinierende Partie, die fast 36 Jahre später noch jeder Fußball-Anhänger im nördlichen Lahn-Dill-Kreis in Erinnerung hat, stieg am 21. November 1984: Mit 1:0 (0:0) nach Verlängerung warf der damalige Oberligist Eintracht Haiger den Bundesligisten Karlsruher SC aus dem DFB-Pokal, nachdem er in Runde eins zunächst den CSC 03 Kassel mit 2:1 eliminiert hatte. Dass der zu dieser Zeit amtierende Hessenpokalsieger hernach im Achtelfinale mit 0:8 gegen den Zweitligisten Union Solingen scheiterte, war nur noch eine Randnotiz in den Geschichtsbüchern jenes Clubs, der auch 1990 (in Runde eins 1:2 gegen Borussia Mönchengladbach) und 1993 (in Runde eins 3:1 gegen Raspo Elmshorn, in Runde zwei 1:3 nach Verlängerung gegen den 1. FC Kaiserslautern) im nationalen Pokalwettbewerb zumindest für Aufmerksamkeit sorgen durfte.

Auf tiefem, matschigem und durch stundenlange Regengüsse schwer zu bespielendem Geläuf kombinierten die Gäste aus dem Badischen nur eine Halbzeit lang gefällig. Das Wenige, das auf das Tor der Hausherren zukam, machte Hessenauswahl-Keeper Wilfried Brümmer zunichte. Je weniger zwingend die Aktionen des KSC wurden, desto mehr wuchs das Selbstvertrauen der Eintracht, die nach dem Wechsel zahlreiche allerbeste Torchancen durch „Abi“ Gottwals, Regisseur Stefan Born und Manndecker Rainer Gottfried, der Karlsruhes Stürmer Uwe Bühler abgemeldet hatte, ausließen.

Als Niko Semlitsch nach 65 Minuten den ehemaligen Darmstädter Profi Wolfgang Waldschmidt für dessen ebenfalls im Dillenburger Stadtteil Frohnhausen aufgewachsenen Kumpel Carsten Busch (Knöchelprobleme) aufs Feld beorderte, nahm eine der größten Sensationen Fußball-Deutschlands ihren Lauf. Über Stefan Born und Carlo Ringsdorf landete der Ball in der zehnten Minute der Verlängerung bei Harry Hartung, der ihn uneigennützig an „Wawo“ Waldschmidt weiterleitete. Der Vater von Jung-Nationalspieler Luca Waldschmidt ließ sich nicht zweimal bitten und schlenzte das Spielgerät vorbei am einst für Kickers Offenbach im Tor stehenden Bernd Fuhr zum siegbringenden 1:0.

Was sich nach dem Treffer, erst recht aber nach dem Abpfiff des, so berichteten es einst die vor Ort weilenden Kollegen Gerd Graf, Gerdi Collinet und Hans-Peter Müller, starken Schiedsrichters Peter Müller aus Nochern am Rhein abspielte, war mit Worten kaum zu beschreiben. Die Fans, 4500 an der Zahl, stürmten den Rasen und ließen ihre Helden hochleben. Reporter und Fotografen rannten im Laufschritt hinter den Spielern her, die entweder von den Anhängern auf den Schultern davongetragen wurden oder sich klammheimlich in die Kabine verabschiedet hatten. Und der Gerstensaft floss in Strömen. Nicht nur bei Obmann Konrad Fischbach, der wie immer eine satte Siegprämie ausgelobt hatte.

Dass die Badener, für die der heutige Bundestrainer Joachim Löw 120 Minuten auf dem Feld stand, bei denen Top-Torjäger Emanuel Günther beim eisenharten Haigerer Ernst-Rudolf Meister in besten Händen war und bei denen Klaus Theiss froh sein durfte, nach einer elfmeterreifen Sense gegen Carlo Ringsdorf nicht vorzeitig zum Duschen geschickt worden zu sein, sich am Ende als faire Verlierer präsentierten, wertete die Leistung der Eintracht noch auf. „Haiger hat eine ganz tolle Truppe“, lobte KSC-Trainer Werner Olk. „Sie haben mit Herz gespielt, wir nicht“, so der Coach, der in den 60er-Jahren für Bayern München 266 Mal auf dem Rasen stand.

Und für Siegtorschütze Wolfgang Waldschmidt öffneten sich neue Türen. Er hatte Angebote von Hertha BSC und dem FC Schalke 04, entschied sich schließlich aber zur Saison 1988/89 für eine Offerte der SpVgg. Bad Homburg. „Aus familiären Gründen“, wie der heute 57-Jährige, der zu diesem Zeitpunkt schon fest im Möbelhaus seiner Eltern in Frohnhausen eingebunden war, stets betonte. „Wawo“ hielt Eintracht Haiger insgesamt fünf Jahre die Treue. Sein Name wird ewig mit dem der Truppe vom Haarwasen verbunden sein.

Im Stenogramm

Haiger: Brümmer – Hendrich – Gottwals, Meister, Gottfried – Plonka (48. Morgenschweis), Busch (65. Waldschmidt), Göbel, Born – Ringsdorf, Hartung.

Karlsruhe: Fuhr – Keim – Roth, Becker, Theiss – Gross (29. Pfitzner), Löw, Künast, Dittus – Günther, Bühler (102. Harforth).

Schiedsrichter: Müller (Nochern) – Zuschauer: 4500 – Tor: 1:0 Waldschmidt (100.) – Gelbe Karten: Hendrich (Haiger), Roth (Karlsruhe).



Aufrufe: 028.4.2020, 08:00 Uhr
Alexander Fischer (Dill-Post / Dill Zeitung)Autor