2024-05-24T11:28:31.627Z

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Foto: Patrick Essex
Foto: Patrick Essex

"Als ich angefangen habe, sah es genauso aus wie jetzt"

Serie Flinger Broich, Teil 4: Paul Jäger (58), Geschäftsführer von Fortuna Düsseldorf, von 1989 bis 2015 am Flinger Broich 87

Eine Straße, vier Klubs - und jetzt? Fünf Zeitzeugen erzählen von einem urbanen Fußballareal in Düsseldorf-Flingern. Was sie einst verzauberte, hat sich teilweise in Luft aufgelöst. Wir erzählen in fünf Teilen die Geschichten eines Sehnsuchtsortes.

Ja, der ESV, die haben einen geilen Platz da hinten, doll. Ich finde es nicht dramatisch, wenn jemand nur Breitensport macht und Spaß daran hat. Das Schöne ist ja: Alles ist möglich. Wenn da mal ein Liebhaber kommt, dann ist auch der ESV ganz schnell aus der C-Klasse raus. Das war in Hoffenheim auch nicht viel anders. Oder beim LR Ahlen oder Fortuna Köln mit dem Jean Löring. Die sind von unten nach oben gegangen, weil da ein Mäzen war, ein echter Fußballliebhaber. Vielleicht entdeckt so einer auch mal den ESV.

Als ich ‘89 hier angefangen hab, dachte ich, hier ist alles groß und anders. Ich kam aus aus dem Hockeybereich, ich bin im Ursprung ein ganz kleiner Vereinsmeier. Ich habe gebraucht, bis ich begriffen habe: Auch die Fortuna ist nur ein ganz normaler Verein. Fleiß, Zusammengehörigkeitsgefühl, sich gegenseitig zuhören, Respekt - das ist wichtig. Und wenn das fehlt, dann ... Ich glaube, ich bin der einzige Funktionär in Deutschland, der seine Mannschaft in fünf verschiedenen Ligen gesehen hat. Das ist ein unglaubliches Wechselbad. Klar sind da Riesenunterschiede zwischen Profi- und Amateurliga. Aber eines muss immer da sein: eine gewisse Authentizität, die muss man sich bewahren, egal in welcher Liga man gerade spielt. Als wir in der Vierten Liga waren, da sind wir zusammengewachsen in der Not und haben versucht, dieses Zusammengehörigkeitsgefühl mit nach oben zu nehmen.

Auch ein Profiverein braucht Amateure. Ohne unsere vielen Ehrenamtler würde es nicht funktionieren, gerade im Jugendbereich. Und dann haben wir in der Tat ganz viele Fans, die lieber mit der Zweiten Mannschaft fahren als mit der Ersten, die lieber über die Dörfer tingeln als in die großen Stadien zu gehen. Die gibt es allerdings in allen größeren Vereinen, nicht nur bei der Fortuna. Aber ich fühle mich wohl im bezahlten Fußball.

Es gibt gewisse Dinge, die können wir nicht verhindern, RB Leipzig zum Beispiel. Aber da muss man auch mal festhalten: Jeder hat das gleiche Recht aufzusteigen, wenn er es irgendwie schafft. Die Leipziger freuen sich, dass der Profifußball in ihre Stadt gekommen ist. Da ist es schon ziemlich borniert von uns zu sagen: Das ist kein richtiger Fußball. Und wenn ich auf die Amateurplätze will, dann kann ich das ja trotzdem haben.

Wir mochten das Umfeld auf dem Flinger Broich. Mit Alemannia, das war immer eine angenehme Nachbarschaft. Und Rheinfranken beziehungsweise der SC Flingern hatte hausgemachte Probleme. Jetzt profitiert die Fortuna davon, ja. Sie hat mehr Gelände und kann für ihren Nachwuchs was tun. Aber da profitieren auch andere Leute in Düsseldorf davon. Wir machen nicht nur Leistungssport, wir fördern auch Persönlichkeiten im Jugendbereich, da achten wir sehr drauf. Und hier können wir eine ganze Menge Jugendliche abholen: mit dem Leistungszentrum, mit Fußballschulen, und wir denken über Angebote für Frauen und Mädchen nach. Die alten Plätze werden saniert, und wir überlegen, eine Halle mit der Stadt zu bauen, in der vormittags Schulsport läuft und nachmittags Futsal. Die Stadt hat gerade eine Menge Ideen. Die Fortuna übernimmt zwar die Fußballfelder, aber dazwischen ist genug Platz für anderes.

Da wird in den nächsten zwei Jahren einiges passieren. Im Nachwuchsleistungszentrum ist Schimmelpilz, das muss abgerissen werden. Und der Bau, mit dem der SC Flingern insolvent gegangen ist, kommt auch weg, das wird alles neu gemacht. Kann man tragisch finden. Aber man muss auch sagen, dass da vielleicht einer nicht so ganz nachgedacht hat. Wenn man soviel aufnimmt, muss man doch wissen, dass man Schulden auch bedienen muss. Welcher Bau wird denn nicht teurer als geplant? Da muss man auf die Kalkulation immer mindestens 50 Prozent draufschlagen.

1989, als ich hier angefangen habe, sah es hier genauso aus wie jetzt. Das einzige, was es früher nicht gab, ist, dass in den Kabelkanälen öfter mal tote Mäuse liegen, das riecht man dann. Jetzt packen wir unsere Kisten und ziehen rüber in die Arena. Da ist natürlich Wehmut dabei. Aber ein bisschen freue ich mich auch. Alles größer. Klimaanlage. Und keine Mäuse.

Crowdfunding-Aktion:

„Amateure“ – Das Buch

Gibt es ihn noch, den Fußball in seiner ursprünglichen Form - fernab der Vergnügungstempel, in denen die Profis ihre Messen zelebrieren? Auf den Ascheplätzen und Kunstrasenfeldern dieser Republik forschen Fotograf Patrick Essex und Autor Sebastian Züger nach dem Mythos vom ehrlichen Kick. Der Bild- und Geschichtenband „Amateure“ soll per Crowdfunding finanziert werden und 2016 erscheinen. Mehr Informationen und Eindrücke auf: www.amateure-das-buch.de

>> Teil 1: "Ich würde nie wieder bauen"

>> Teil 2: "Ich gucke mir auch ganz gerne ein Amateurspiel an"

>> Teil 3: "Jugend? Keine Chance, die wollen alle aufm Teppich spielen"

>> Teil 4: "Als ich angefangen habe, sah es genauso aus wie jetzt"

>> Teil 5 "Wenn ich hier wohnen könnte, würde ich sofort wieder einziehen"

Aufrufe: 027.12.2015, 09:00 Uhr
Nachspielzeit / Sebastian ZügerAutor