2024-05-23T12:47:39.813Z

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Foto: Patrick Essex
Foto: Patrick Essex

"Jugend? Keine Chance, die wollen alle aufm Teppich spielen"

Serie Flinger Broich, Teil 3: Günter Koslowski (65), Abteilungsleiter Fußball beim ESV Blau-Weiss Düsseldorf 1926, Flinger Broich 189

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Eine Straße, vier Klubs - und jetzt? Fünf Zeitzeugen erzählen von einem urbanen Fußballareal in Düsseldorf-Flingern. Was sie einst verzauberte, hat sich teilweise in Luft aufgelöst. Wir erzählen in fünf Teilen die Geschichten eines Sehnsuchtsortes.

Hier ein Gleis, da ein Gleis - wir sind hier in einem Gleisdreieck. Mein Vater war Eisenbahner. Wir waren vier Brüder, die alle hier beim ESV Fußball gespielt haben. Damals hatten wir einen vollen Jugendbetrieb. Ich war rechter Läufer. Heute würde man sagen: Mittelfeldspieler. Von der C- bis zur A-Jugend war ich drüben bei der Fortuna, dann musste ich zum Bund. Als ich wieder kam, bin ich wieder zu Blau-Weiß. Ich hatte bisschen zugenommen. Profi wollte ich nie werden. Ich war immer realistisch.

Bis vor fünf Jahren hab ich noch Ü40 gespielt. Wir waren aber alle eher Ü60 und nicht mehr so viele. Manchmal haben wir vom Gegner ein paar Spieler gekriegt. Das machten aber nicht alle, dann haben wir teilweise nur zu acht gespielt. Und die anderen hatten 16 Spieler und haben laufend ein- und ausgewechselt. Da haben wir irgendwann gesagt: Das hat keinen Zweck mehr.

Seit 30 Jahren bin ich Abteilungsleiter Fußball, so ungefähr. Nur im Vereinsheim an der Theke stehen und erzählen, das würde mich nicht ausfüllen. Ich muss was tun! Ich hab gerade die Wiese gemäht - mir macht das Spaß, die Anlage in Schuss zu halten.

Man sitzt hier auf dem Flinger Broich ja dicht an dicht. Die Grenze für die Nord- und Süd-Gruppe geht hier mittendurch. Deshalb gibt es nicht so viele Derbys. Trotzdem gibt es eine große Verbundenheit. Die Insolvenz des SC war einfach traurig. Alemannia war 1908 gegründet und Rheinfranken so ungefähr wie wir. Da hätte höchstens die Stadt helfen können von den Summen her.

Wir haben zurzeit zwei Mannschaften. Und jetzt müssen wir gucken, dass wir das über die Runden kriegen. Jugend? Keine Chance, die wollen heute alle nur noch aufm Teppich spielen. Der Aschenplatz ist das Problem. Wir sind rundrum mit Kunstrasenfeldern zugepflastert. Es gab Ansätze bei der Stadt, dass wir eventuell Rasen kriegen. Aber mit der Stadt dauert das immer. Da sind zwei oder drei Jahre gar nix. Das Spiel in der C? Grausam! Wenn der Lienen bei uns Trainer wär’, der würde mit einem Block pro Spiel nicht auskommen. Das fängt beim falschen Einwurf an und hört beim taktischen Verhalten auf, das überhaupt nicht da ist. Aber wir haben auch mal oben ran geschnuppert: zwei Jahre Bezirksliga! Jetzt sind wir aber seit vielen Jahren ganz unten drin - ist klar: Alles geht ja heute nur noch mit Geld, schon in der B-Klasse.

Das Haus mit der Satellitenschüssel war mal unser Vereinsheim, da sind seit vier Jahren die Indianer vom Yellowstone-Verein drin. Haben wir nur Theater mit. Da fliegt mal ein Ball rüber und dann sind die auf Kriegspfad. Aber es gibt auch Mietrückstände. Liegt alles vor Gericht. Das Vereinsheim selbst zu betreiben rentiert sich nicht mehr. Wird Ihnen jeder andere Fußballplatz auch sagen. Früher kam man mit der ganzen Familie und hat dann auch mal Mittag gegessen. Heute weiß ich von manchen Spielern nicht mal, ob die verheiratet sind oder ob die Kinder haben. War früher undenkbar. Da war man zu jeder Familienfeier mit eingeladen.

Aber wir machen immer weiter. Wir hatten mal nur eine Alte Herren. Dazwischen aber auch eine Jugendmannschaft oder Damen und Mädels. Und irgendwann zerschlägt sich das. Einen Wunsch oder große Visionen habe ich eigentlich nicht mehr. Aufstieg ist eher nicht so unser Ziel. Den Spielbetrieb aufrecht erhalten, mehr nicht.

Crowdfunding-Aktion:

„Amateure“ – Das Buch Gibt es ihn noch, den Fußball in seiner ursprünglichen Form - fernab der Vergnügungstempel, in denen die Profis ihre Messen zelebrieren? Auf den Ascheplätzen und Kunstrasenfeldern dieser Republik forschen Fotograf Patrick Essex und Autor Sebastian Züger nach dem Mythos vom ehrlichen Kick. Der Bild- und Geschichtenband „Amateure“ soll per Crowdfunding finanziert werden und 2016 erscheinen. Mehr Informationen und Eindrücke auf: www.amateure-das-buch.de

>> Teil 1: "Ich würde nie wieder bauen"

>> Teil 2: "Ich gucke mir auch ganz gerne ein Amateurspiel an"

>> Teil 3: "Jugend? Keine Chance, die wollen alle aufm Teppich spielen"

>> Teil 4: "Als ich angefangen habe, sah es genauso aus wie jetzt"

>> Teil 5 "Wenn ich hier wohnen könnte, würde ich sofort wieder einziehen"

Aufrufe: 026.12.2015, 08:00 Uhr
Nachspielzeit / Sebastian ZügerAutor