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Im Nachfassen

Wenn die Umstände perfekt sind ......

...... stimmt auch das Interesse +++ Gruppenliga-Spitzenspiel in Wieseck zeigt sich der großen Zuschauerzahl würdig +++

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GIESSEN. Samstag, 31. Juli 2010. ,,Statt rassiges Derby eine langweilige Nullnummer", titelt der Gießener Anzeiger nach der Auftaktpartie der Verbandsliga Mitte zwischen der TSG Wieseck und dem VfB 1900 Gießen. Ein Spiel, an das sich wahrscheinlich niemand mehr erinnern wird, so bedeutsam, als wenn in China der berühmte Sack Reis umfällt. Und dennoch gibt es einen guten Grund, daran zurückzudenken. Denn 700 Zuschauer, die damals hungrig auf gutklassigen Amateurfußball die Tribüne des Wiesecker Stadions säumten, versammelten sich danach am Ried nie wieder auch nur annähernd.

Perfekter Termin

Bis Ostermontag zum Gruppenliga-Gipfeltreffen zwischen der TSG und der SG Kinzenbach, das wegen des unbespielbaren Rasens in Kinzenbach kurzfristig nach Wieseck verlegt worden ist und fast die Besucherkapazitäten am Kunstrasenplatz sprengte. Dicht an dicht drängen sich die Menschen auf der einen Längsseite, die den Zuschauern Platz bietet, während die andere Seite ausschließlich den Trainern, Ersatzspielern und den Schiedsrichter-Assistenten vorbehalten bleibt. Fuß an Fuß eine Reihe direkt an der Balustrade, bis zu vier dahinter bis zur Umzäunung des Geländes. Aber das reichte nicht aus, die Not machte erfinderisch. Hinter einem der Tore wurden improvisierte Sitzplätze auf dem Betonabsatz gefunden. Da konnte man schon mal den Überblick verlieren. Es wurde sogar telefoniert, um sich mit den Bekannten über den eigenen Standort auszutauschen und sich nach dem Schlusspfiff wiederzufinden: ,,Wo bist du? Wo treffen wir uns nachher?"

500 Zuschauer sehen sich die 90 Minuten an und sorgen für eine stattliche Kulisse, die in diesen Zeiten im heimischen Fußball absoluten Seltenheitswert besitzt. Die Wiesecker brauchen im Ligaalltag ansonsten zwischen fünf und sieben Heimspiele, um auf die Zahl 500 zu kommen. Offensichtlich unterschätzte die TSG den Andrang an diesem Ostermontag nicht zuletzt deshalb. Der ein oder andere Euro Eintrittsgeld ging dem Verein durch die Lappen, weil die vorhandenen Kassen nicht geöffnet waren und auch der Getränkevorrat nicht an 500 Besuchern ausgerichtet war.

Wenn die Umstände perfekt sind, stimmt eben auch das Interesse. Und in diesem Fall passte im Vorfeld vieles, eigentlich alles zusammen. Zuerst natürlich die Qualität der beiden Teams, die diese Saison bislang dominieren. Die Kinzenbacher steigern sich seit Jahren kontinuierlich und verfügen über ein Personal, das fußballerisch zu überzeugen weiß. Offensichtlich ist da eine homogene Einheit am Werk, die individuelle Klasse mit mannschaftlicher Geschlossenheit und Willen paart. In Zeiten der ,,Vielwechselei" und Fluktuation - wo spielt xy im Moment gerade eigentlich? - vermittelt die Mannschaft zudem den wohltuenden Eindruck, sich wirklich mit dem Verein zu identifizieren.

Glaubwürdig

Glaubwürdig auch die Wiesecker, die vor einem Jahr den bereits unter Vertrag genommenen Trainer Timo Becker wieder vor die Tür setzten und stattdessen Danny Kaliampos verpflichteten. In puncto Außendarstellung hatte diese Maßnahme (berechtigte) Kritik zur Folge, goldrichtig war sie an sich und nüchtern betrachtet im Nachhinein dennoch, ließ sie doch eine klare Philosophie erkennen. Die TSG und Kaliampos setzen nahezu ausschließlich auf den Unterbau aus der eigenen Jugend und verleihen dem Team damit ein frisches und sympathisches Gesicht - ganz zu Schweigen vom technisch rassigen Tempofußball, der geboten wird. Neben der sportlichen Komponente wollte sicherlich der eine oder andere Zuschauer sehen, wie sich Kaliampos gegen seinen alten Klub schlägt, den er in der Vorsaison mit Andre Weinecker auf Rang drei geführt hatte.

Weitere wichtige Komponenten für den Zustrom: Termin und Wetter. Sonnenschein lockte, der Feiertag tat sein übriges. Wer sich umblickte, erkannte viele Trainer und Spieler, die (spiel-)frei waren an diesem Ostermontag und einen Blick auf die Konkurrenz warfen. Schön auch, dass sowohl Wiesecker als auch Kinzenbacher eine dem Prädikat ,,Spitzenspiel" angemessene Leistung abriefen und Werbung für sich betrieben.

,,Ich denke, es war ein Spiel, das der Zuschauerzahl würdig war. Es war gut anzusehen, was wir gezeigt haben", meinte Weinecker nach dem Schlusspfiff zu Recht. Kaliampos wählte ähnliche Worte. Für sie als Trainer zählte wie für die Akteure am Ende natürlich in erster Linie das Ergebnis. 4:2 gewannen die Gäste unter dem Strich verdientermaßen vielleicht auch deshalb, weil sie einfach in manchem Belang einen Schritt weiter sind. Bei der SG passt die Altersstruktur mit älteren, erfahrenen Kickern, die die Führung übernehmen, und den sogenannten ,,jungen Wilden". ,,Sie spielen ja auch schon seit drei Jahren zusammen", sagt Kaliampos kurz und knapp dazu. Der Aufstieg der Kinzenbacher scheint in trockenen Tüchern, gleichwohl Coach Weinecker davon noch nichts wissen möchte.

Gut möglich, dass die SG von Wieseck begleitet werden wird. Es braucht nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass den Weg dorthin dann wieder der Stamm von 100 bis 150 Zuschauern begleiten wird. Der Ostermontag als Ausnahme - hoffentlich dauert es am Ried, und nicht nur dort nicht wieder fünf Jahre, bis sich die Regel bestätigt.



Aufrufe: 07.4.2015, 21:00 Uhr
Gießener AnzeigerAutor