2024-06-03T07:54:05.519Z

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Zuletzt fühlten sich die rheinhessischen Schiedsrichter von der Fußball-Justiz oft im Stich gelassen. Die Kontroverse wurde bei einer Sitzung in Eppelsheim aufgelöst.
Zuletzt fühlten sich die rheinhessischen Schiedsrichter von der Fußball-Justiz oft im Stich gelassen. Die Kontroverse wurde bei einer Sitzung in Eppelsheim aufgelöst. – Foto: Imago

Wie Fußball-Urteile gefällt werden

Sportrichter entspannt das Verhältnis zwischen Gebietsspruchkammer und entrüsteten Schiedsrichtern

EPPELSHEIM. Sportjuristen der Fußballgebietsspruchkammer Rheinhessen und die Schiedsrichter der Region haben den Schulterschluss gesucht und offenbar auch gefunden. So lässt sich zumindest der Beifall deuten, mit dem die Referees am Montagabend bei einer Infoveranstaltung in Eppelsheim das lange Statement von Florian Glaser goutierten.

Der Jurist aus Mainz gewann schnell das Publikum im vollbesetzten Saal. Bodenständig, empathisch, volksnah und mit verständlicher Sprache minimierte er die Kluft, die sich in den zurückliegenden Monaten zwischen den beiden Lagern entwickelt hatte.

Speier: „Wir verstehen manche Urteile nicht“

Vorausgegangen waren Urteile nach Spielabbrüchen, wegen denen sich die Schiedsrichter im Regen stehen gelassen fühlten. Etwa nach dem Abbruch in Pfeddersheim (gegen Ataspor Worms), als der Referee damals infolge psychischen Drucks von außen vorzeitig abpfiff. Die Gebietsspruchkammer kam seinerzeit zu dem Urteil, dass das Spiel wiederholt werden muss, da der Schiedsrichter nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, die Partie ordnungsgemäß zu beenden.

Dieser Richterspruch brachte bei Schiedsrichtern schließlich das Fass zum Überlaufen. Sie fühlten sich „vom Verband“ nicht ausreichend geschützt, ja sogar vorgeführt. Michael Speier, der Schiedsrichterobmann des Fußball-Kreises Alzey-Worms, fasste die Irritationen so zusammen: „Als Schiedsrichter verstehen wir manchmal nicht, warum Spiele neu angesetzt werden oder Spieler milde bestraft werden“.

"Der Ton macht die Musik"

Florian Glaser klärte auf. So wie es der 34-Jährige und seine Kollegen seit einem guten Jahr machen. In Sitzungen wie der in Eppelsheim, aber auch im Dialog mit den Vereinen. Proaktiv sensibilisieren sie für ihre Arbeit, weisen auf heikle Punkte aus dem Sportalltag hin und geben Tipps, wie alle Beteiligten zu ihrem Recht kommen. Dieses offensive Vorgehen, so Florian Glaser, habe zwischenzeitlich dazu geführt, dass die Zahl der Verfahren, mit denen sich die Gebietsspruchkammer Rheinhessen befassen muss, zurückgeht.

„Der Ton macht die Musik“, war ein zentrales Leitmotiv, das er den Schiedsrichtern näherbrachte. Das sollten sich alle vergegenwärtigen, die den Fußball lieben. Ob Spieler im Umgang mit Schiedsrichter, Schiedsrichter im Umgang mit Spielern, aber eben auch die anderen Beteiligten im System - also Staffelleiter und Sportjuristen.

Spielneuansetzungen keine Schande für die Referees

Die Enttäuschung über die Urteile konnte er durchaus nachvollziehen. Allerdings machte er auch den rechtlichen Rahmen deutlich, in dem sich die Sportjuristen bewegen. Objektiv müssten nunmal vom Schiedsrichter alle Möglichkeiten ausgeschöpft sein, das Spiel ordnungsgemäß zu beenden. Das heiße aber nicht, dass ein Referee aus seinem subjektiven Eindruck heraus auch vorher Spiele abbrechen könne – sie würden dann halt nur neu angesetzt. Was wiederum, und das strich er in aller Deutlichkeit heraus, nicht bedeute, dass der Schiedsrichter deshalb einen Fehler gemacht habe. Referees sollten solche Urteile nicht persönlich nehmen, sie nicht als Niederlage begreifen. Hier mahnte Florian Glaser einen Bewusstseinswandel an – auch in der Öffentlichkeit und bei den Fußballern im Allgemeinen.

Darüber hinaus appellierte er an die Schiedsrichter, die Sonderberichte möglichst detailliert zu verfassen. Hier liege oftmals der Hase im Pfeffer. Vage Formulierungen und oberflächliche Beschreibungen des Sachverhalts führten mitunter zu Urteilen, die von den Referees schließlich als unangemessen bewertet würden. Über diesen Zusammenhang, der klar auf der Hand liegt, hatten wahrscheinlich auch noch die wenigsten im Saal nachgedacht.

Tipps für die Praxis

Aber auch praktische Hinweise hatte Florian Glaser für den Fall, dass ein Fußballspiel eskaliert. „Zentral: Zieht Euch am besten erst einmal aus der Situation raus“, riet er. Es liege am Schiedsrichter, wann ein Spiel fortgesetzt wird. Und der kann sich Zeit damit lassen. Beruhigen sich die Gemüter nicht, könne man die Spielführer zu sich rufen, und die Möglichkeit eines Spielabbruchs ansprechen. Reicht diese Maßnahme nicht, könne man die Trainer mit ins Boot holen. Und die Platzordner. Das seien alles Optionen, um die Lage zu beruhigen. Scheitern sie, sei es hinterher schwer zu sagen, der Schiedsrichter habe nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Grundsätzlich aber prüfe die Gebietsspruchkammer jeden Einzelfall. Dies strich der Jurist als hohen Wert heraus; auch weil es aufwändiger ist, als Pauschalurteile zu verhängen.

Und schließlich machte Florian Glaser darauf aufmerksam, dass in Urteile Überlegungen einflössen, die Außenstehende gar nicht berücksichtigen (können). Etwa, ob sich Beschuldigte einsichtig zeigen oder nicht. Von daher sei es für am Verfahren Unbeteiligte schwierig bis unmöglich, die Angemessenheit von Urteilen tatsächlich abzuschätzen. Glaser überzeugte das Auditorium aber mit Erfolg, dass die Gebietsspruchkammer dem Schutz der Schiedsrichter übergeordnete Bedeutung beimisst. Allerdings immer im Rahmen dessen, was rechtlich zulässig ist und was die Beteiligten dem Gericht zu Gehör brachten.

Strafen keine Strafen, sondern Prävention

Ebenfalls interessant war die Deutung Florian Glasers, dass „Strafen nicht zur Bestrafung ausgesprochen werden“, sondern aus Sicht der Spruchkammer präventiven Charakter haben. Sie sollen dazu beitragen, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt. Einfach, „damit wir alle Fußball spielen können“, so der Jurist.

Widerspruch bekam Florian Glaser während seines Vortrags keinen. Auch Michael Speier nicht, der die Veranstaltung mit den Worten beendete: „Ich denke, wir sind einen Schritt weitergekommen“.

Gebietsspruchkammern stark belastet

Die Gebietsspruchkammern im Südwestdeutschen Fußballverband sind gut beschäftigt- Nach Information des Verbands verhandelte die Gebietsspruchkammer Vorderpfalz in der zurückliegenden Saison 394 Verfahren – also mehr als eins täglich.

Auch die Gebietsspruchkammer Rheinhessen war in der Spielzeit 22/23 stark beschäftigt. Vorsitzender Florian Glaser sprach von 340 Verfahren, von denen 170 Beleidigungen und Spielabbrüche zum Inhalt hatten. Unter den Abbrüchen waren aber auch 24 unter anderem wegen Wetter-Risikos.

Die übrigen 170 Verfahren galten dem Nichtantreten von Mannschaften sowie die Abmeldungen von Mannschaften vom Spielbetrieb.

Aufrufe: 020.2.2023, 14:00 Uhr
Claus RosenbergAutor