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Allgemeines
Das Lüdenscheider Nattenbergstadion hat schon fünf Jahre Zweitligafußball erlebt. Das 1972 erbaute Stadion war bis zu seinem "Rückbau" im Jahre 2009 für 17.000 Zuschauer zugelassen.
Das Lüdenscheider Nattenbergstadion hat schon fünf Jahre Zweitligafußball erlebt. Das 1972 erbaute Stadion war bis zu seinem "Rückbau" im Jahre 2009 für 17.000 Zuschauer zugelassen. – Foto: stadiongucker.de

Vor 50 Jahren - RWL erhält nach Aufstieg 200.000 DM von der Stadt

In der Saison 1972/73 feierte der damalige frische Fusionsverein RW Lüdenscheid erstmals den Aufstieg in die 2. Liga, die Regionalliga West. Diese war bundesweit eine von fünf Staffeln unterhalb der Bundesliga. Erst 1974 wurde die 2. Bundesliga eingeführt.

FuPa Westfalen blickt auf einen lesenswerten Bericht zum damaligen Aufstieg und die spannenden Partien der Aufstiegsrunde:

Bericht vom 22. Juli 1973 aus einer damaligen Fußball-Zeitschrift:

PARADE - die Aufsteiger zur Regionalliga: RW Lüdenscheid

200 000 DM städtische Hilfe

Zum Sieg über Bielefeld zählte Lüdenscheid 15 000

Über 60 Jahre lang hatten sich die beiden größten Lüdenscheider Fußballvereine, der RSV Höh und die Sportfreunde 08, bekämpft. 1971 erst fanden sie sich vernünftigerweise zu einer Fusion bereit. Der RSV hatte mit Mühe und Not die Verbandsliga gehalten, die Sportfreunde 08 waren nie über die Landesliga hinausgekommen.
Jetzt jedoch ging es bergauf. In der ersten Saison schaffte Rot-Weiß Lüdenscheid (das entspricht den Farben der 83.000 Einwohner-Stadt) unter Trainer Dr. Branislav Pavlovic, einem jugoslawischen Zahnarzt, den 6. Platz. Dann kam Werner Nagerski vom Lüner SV. Und mit ihm glückte auf Anhieb die Meisterschaft, und schließlich auch der Aufstieg in die Regionalliga. Aus den Einnahmen aus der Reklame im Nattenbergstadion (20 000 Zuschauer faßt es) erhält Rot-Weiß verteilt auf die nächste fünf Jahre 200 000 DM Starthilfe von der Stadt.
Regisseur der Mannschaft war im Meisterschaftsjahr der Ex-Dortmunder "Charly" Schütz (33), der in Lüdenscheid bleibt. Er konnte ab dem 9. Meisterschaftsspiel eingesetzt werden, Schütz selbst schoß neun Tore, gefährlichster Angreifer war jedoch Wolfgang Jakubowski mit 13 Treffern.
Die Fußballbegeisterung in Lüdenscheid ist groß. Zu den 15 Heimspielen kamen allein 63 000 Zuschauer. Zu Tausenden auch begleiteten die RWL-Fans ihre Mannschaft nach auswärts. Vereinsvorsitzender ist der Rechtsanwalt Jürgen Dietrich, der am Tag des Aufstieges Geburtstag feierte. Während der gesamten Saison und während der Aufstiegsspiele blieb Rot-Weiß zu Hause ungeschlagen. Zuschauerrekord wurde verzeichnet, als der VfB Bielefeld im Nattenbergstadion mit 2:1 besiegt wurde: 15 000 waren dabei.
Verträge erhalten in der Regionalliga aus dem Team, das den Aufstieg schaffte, nur zwei Spieler: Kuchta, ein starker Vorstopper, und Jakubowski. Daneben alle Neulinge. Alle anderen blieben Amateure. Man wirtschaftet sparsam: die Verträge sind nur 140 DM hoch. Dafür soll es für jeden gewonnenen Punkt pro Spieler 150 DM geben.

>>> zur damaligen Abschlusstabelle der regulären Verbandsliga 2-Saison 1972/73

Die damaligen Kurzspielberichte zur Aufstiegsrunde:

27. Mai 1973: Union Ohligs - RW Lüdenscheid 4:4 (2:1)
Lüdenscheid: Faßbender - Boduszek, Kuchta, Blach, Schmitt-Kling (74. Lemiesz), Misterek, Linnhoff, Schütz, Jakubowski, Jarosch, Schymetzek (59. Schroedter)
Tore: 1:0 Frank (28.), 1:1 Jarosch (40.), 2.1 Arenth (45.), 2:2 Jakubowski (62.), 3:2 Lehr (62.), 3:3 Misterek (63.), 4:3 Lehr (68., FE), 4:4 Jakubowski (82.)
Schiedsrichter: Pesch (Köln)
Zuschauer: 12 500

Vor dem Seitenwechsel gaben die Gastgeber durch das druckvollere und durchdachtere Angriffsspiel den Ton an, versäumten aber in dieser Phase einen höheren Vorsprung herauszuschießen. Die Abwehr der Lüdenscheider geriet einige Male in arge Bedrängnis, ließ jedoch nur zwei Treffer zu.
Nach dem Seitenwechsel steigerten sich die Lüdenscheider enorm. Mit einer Großoffensive setzten sie die Ohlingser Hintermannschaft stark unter Druck. Kuchta schaltete sich wechselweise in den Angriff ein.
Die Platzherren verfielen in den Fehler, das Mittelfeld zu früh freizugeben. In die von Stockhausen nur unzulänglich organisierte Abwehr schlichen sich Unsicherheiten ein.

3. Juni 1973: RW Lüdenscheid - VfB Bielefeld 2:1 (0:0)
Lüdenscheid: Faßbender - Boduszek, Kuchta, Blach, Schmitt-Kling, Misterek, Linnhoff, Schütz, Jakubowski, Jarosch, Schroedter (79. Lemiesz)
Tore: 1:0 Linnhoff (60.), 2:0 Jakubowski (74.), 2:1 Buchborn (79.)
Schiedsrichter: Wicher (Hamm), ein ausgezeichneter Leiter
Zuschauer: 15 000

Beide Mannschaften boten ein ausgezeichnetes Spiel, das an Schnelligkeit, Spannung und Dramatik kaum zu überbieten war. Vor der Pause vereitelte Faßbender einen frühen Rückstand, als er drei Schüsse des gefährlichsten Bielefelder Stürmers Spiekerkötter prächtig parierte. Die klarste Chance aber vergab Schütz, als er den Ball nach einem Sololauf über das ganze Feld über die Querlatte schoß. Kurz darauf vergab Schröter freistehend.
Zu Beginn der zweiten Hälfte war der Lüdenscheider Sturmdrang kaum zu bremsen. Linnhoff verlängerte eine Ecke von Schütz per Kopfball zum umjubelten 1:0. Beim 2:0 leistete Linnhoff bei einem Solo am rechten Flügel glänzende Vorarbeit, Jakubowskis Kopfballaussetzer ins kurze Eck nach Linnhoffs Flanke war für den fehlerlos spielenden Klöpping nicht zu halten. In den letzten Minuten verteidigte Rot-Weiß im eigenen Strafraum fast mit der gesamten Mannschaft.

8. Juni 1973: RW Lüdenscheid - Viktoria Köln 2:2 (1:1)
Lüdenscheid: Faßbender - Boduszek, Kuchta, Blach, Schmitt-Kling, Misterek, Linnhoff, Schütz, Jakubowski, Jarosch, Schroedter (62. Lemiesz)
Tore: 1:0 Linnhoff (21.), 1:1 Wirtz (38.), 1:2 Roppel (54.), 2:2 Schütz (66., FE)
Schiedsrichter: Hermanns (Wermelskirchen), sehr unsicher, viele Fehlentscheidungen
Zuschauer: 10 000

In einem sehr hektischen Spiel, in dem die Grenzen erlaubter Härte häufig überschritten wurden, erkämpfte sich Viktoria ein sehr glückliches Remis. Die Kölner Treffer resultieren aus groben Fehlern der RW-Deckung. Wirtz hatte keine Mühe, den Ball im Netz unterzubringen, nachdem Lex durch die halbe Lüdenscheider Abwehr "spaziert" war. Und beim 1:2, einen Kopfball von Roppel (der zusammen mit dem überragenden Surbach im Mittelfeld ein großes Pensum absolvierte), hatte Faßbender die Flanke von Pütz falsch berechnet.
Durch Fehlentscheidungen des überaus schwachen Schiedsrichters blieb von den Rot-Weißen bis zur Pause ein Vorsprung versagt. Ein völlig reguläres Tor von Linnhoff wurde nicht anerkannt (12.). Cziezeits Handspiel nach Linnhoffs Schuß (8.) wurde nicht durch einen Elfmeter geahndet. Großes Pech für Schroedter und Jakubowski, die nur die Latte trafen.
Nach dem Kölner Führungstor durch Roppel glich das Stadion zeitweise einem Hexenkessel. Bei den pausenlos vorgetragenen Lüdenscheider Angriffen spielten sich im Kölner Strafraum unbeschreibliche Szenen ab. Der Schiedsrichter mußte sich "Schieber"-Rufe gefallen lassen, als er ein weiteres Tor von Linnhoff (55.) nicht anerkannte. Dann aber eine klare Konzessionsentscheidung, als Schütz an der Strafraumgrenze von Pütz harmlos gerempelt wurde und sich fallen ließ: Schütz selbst verwandelte den Elfmeter sicher.

13. Juni 1973: Viktoria Köln - RW Lüdenscheid 3:1 (1:0)
Lüdenscheid: Faßbender - Boduszek, Kuchta, Blach, Schmitt-Kling, Misterek, Linnhoff, Schütz, Jakubowski, Jarosch (75. Schymetzek), Lemiesz
Tore: 1:0 Wostal (38.), 2:0 Roppel (47.), 2:1 Linnhoff (58.), 3:1 Surbach (80.
Schiedsrichter: Merx (Rheydt)
Zuschauer: 4 500

17. Juni 1973: VfB Bielefeld - RW Lüdenscheid 1:4 (1:1)
Lüdenscheid: Faßbender - Boduszek, Kuchta, Blach, Schmitt-Kling, Misterek (83. Schymetzek), Linnhoff, Schütz, Jakubowski, Jarosch, Schroedter
Tore: 0:1 Jakubowski (28.), 1:1 Albersmeier (34.), 1:2 Schütz (46.), 1:3 Schroedter (82.), 1:4 Boduszek (89.)
Schiedsrichter: Hövel (Menden)
Zuschauer: 4 000

Der VfB-Sprecher sagte am Spielende: "Auf Wiedersehen in der Verbandsliga!". Mehr war auch nicht drin; denn Lüdenscheid spielte cleverer, schneller und war zielstrebiger.
Nach dem schnellen Bielefelder Ausgleich gab es streckenweise gleichwertiges Spiel, aber als die Bielefelder das Lüdenscheider Tempo nicht mehr mithalten konnten, stand der Gäste-Sieg (zahlenmäßig etwas zu hoch) fest.
Herrausragend bei Lüdenscheid Faßbender, Schütz, Jakubowski, bei Bielefeld Henke, Block und Buchborn.

21. Juni 1973: RW Lüdenscheid - Union Ohligs 4:2 (3:0)
Lüdenscheid: Faßbender - Boduszek, Kuchta, Blach, Schmitt-Kling, Misterek, Linnhoff, Schütz, Jakubowski, Jarosch, Schroedter
Tore: 1:0 Schütz (15.), 2:0 Linnhoff (37.), 3:0 Jakubowski (39.), 3:1 Stockhausen (53.), 4:1 Linnhoff (69.(, 4:2 Evenkamp (79.)
Schiedsrichter: Dr. Stäglich (Bonn), hervorragend
Zuschauer: 12 000

RWL, das in dieser Saison zu Hause ungeschlagen blieb, gelang ein schmeichelhafter, aber nicht unverdienter Erfolg. Ohligs hatte bei drei Lattenschüssen (Arenth, Evenkamp, Uphoff) großes Pech.
Schütz, der neben Stockhausen überragende Spieler im Mittelfeld, verwertete eine Falnek von Boduszek, der durch ein enormes Laufpensum imponierte, zum 1:0. Innerhalb von zwei Minuten fiel dann eine Vorentscheidung: Linnhoff, in den Aufstiegsspielen der gefährlichste Lüdenscheid Stürmer setzte sich gut durch und knallte den Ball zum 2:0 ins Netz; kurz darauf erhöhte Jakubowski im Nachschuß auf 3:0.
Nach dem Wechsel spielten die Gäste meist überlegen. Stockhausens sehenswerter Bogenschuß brachte das 3:1. Aber Linnhoff stellte nach einem prächtigen Solo den alten Abstand wieder her. Evenkamp nutzte einen Fehler von Faßbender zum 4:2.

Tabelle der Aufstiegsrunde:

1. RW Lüdenscheid | 8:4 Punkte | 17:13 Tore
2. Viktoria Köln | 8:4 Punkte | 10:9 Tore
3. Union Ohligs | 6:6 Punkte | 11:11 Tore
4. VfB Bielefeld | 2:10 Punkte | 8:13 Tore

Nice to know:

Es lässt sich anhand der vorliegenden Daten nicht gänzlich verifizieren. Aber sowohl RW Lüdenscheid als auch Union Ohligs müssen einen Tag vor dem letzten Spieltag bereits als Aufsteiger zur Regionalliga festgestanden haben. Da sowohl Fortuna Köln als auch RW Essen am Abend des 20. Juni 1973 in die Bundesliga aufstiegen, durften drei Mannschaften aus der Verbandsliga-Aufstiegsrunde in die Regionalliga West aufsteigen.

Da in der Folgesaison 1973/74 eine sogenannte Fünf-Jahres-Wertung herangezogen wurde, um zu ermitteln, wer sich aus der Regionalliga West für die neue 2. Bundesliga qualifiziert, war RW Lüdenscheid natürlich chancenlos. Mit Platz 10 gelang trotzdem eine respektable Platzierung. In den Folgejahren kämpfte RWL erneut um den Aufstieg in der Verbandsliga. Dieser gelang 1977, worauf eine vierjährige Ära in der 2. Bundesliga folgte. Bis heute der absolute Höhepunkt in der Vereinsgeschichte des heutigen Landesligisten.

Aufrufe: 025.12.2022, 08:37 Uhr
sbAutor