2024-05-28T14:20:16.138Z

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Zweikampfsieger Pius Holzheu: Der Erdinger setzt sich gegen zwei US-Gegner durch. Mehr als die Spieler machen ihm die Platzverhältnisse zu schaffen.
Zweikampfsieger Pius Holzheu: Der Erdinger setzt sich gegen zwei US-Gegner durch. Mehr als die Spieler machen ihm die Platzverhältnisse zu schaffen. – Foto: Privat

Pius Holzheu: Kapitän des FC Bayern, Boss beim SC New York

ERDINGS TOP 100

Der Erdinger gehörte zum Erdinger Wunderteam von 1948 und erlebte dann die weite Welt

Erding – Die Bayern gegen die Löwen – das hat Pius Holzheu schon in den 1960er-Jahren im Central Park von New York ausgespielt. Heute lebt der 90-Jährige wieder in Erding, wo er auch aufgewachsen ist. Dazwischen liegen aufregende Jahre, und das hat sehr viel mit dem FC Bayern zu tun, dem er nur einmal untreu wurde: 1962, als der damals 30-Jährige zum SC New York wechselte. Aber der Reihe nach.

Pius gehört nach dem Krieg zu den „Buam von der Hennengasse“, die im Herzen der Erdinger Altstadt tagaus, tagein Fußball spielen. Manchmal ist gar kein Ball dabei. „Wir haben mit allem gekickt, was da war – Hauptsache, es hat gscheit g´scheppert“, sagt er lachend.

Es kracht vor allem im Tor der gegnerischen Mannschaft, wenn Holzheu und Co. im Trikot des SV Erding ihr Unwesen treiben. Die Kronseder-Brüder, Georg Irl, Sepp Hoisl und nicht zuletzt Walter Wagenbauer gewinnen meistens zweistellig. Einmal gibt’s ein 23:0 gegen Eitting. Die SpVgg Eichenkofen schafft immerhin ein 4:9, aber nur, weil die Erdinger nur zu siebt waren. 1948 freut sich ganz Erding über den sensationellen 3:1-Sieg ihrer Buben beim Herbstfest-Spiel gegen die Münchner Stadtauswahl. Aus der Schüler- wird später eine tolle Herren-Mannschaft.

So hätte es noch viele Jahre weitergehen können, aber Pius Holzheu spielt auch noch in der Betriebsmannschaft der Firma Zettler, bei der er als Hausschreiner angestellt wird. Nach einem Spiel steht plötzlich Simon Hasch vor ihm und fragt: „Warum kommst du nicht zu uns?“ Damit meint er den FC Bayern, in dem der Major im Vorstand sitzt. Als Holzheu kurz zögert, gibt Hasch die zackige Antwort selbst: „Wenn ich es sage, dass du das schaffst, dann ist das so.“ Noch 67 Jahre später kann Holzheu nachmachen, wie ihn Major Hasch im Militärstil zum Glück gezwungen hat.

Weggefährten: Pius Holzheu spielte fünf Jahre für die Amateure des FC Bayern (r. Bild, stehend, 3. v. r).
Weggefährten: Pius Holzheu spielte fünf Jahre für die Amateure des FC Bayern (r. Bild, stehend, 3. v. r). – Foto: Privat

Denn der damals 24-Jährige fährt ins Training beim TSV Erding und verrät seinem besten Spezl: „Walter, ich geh’ zu den Bayern.“ Wagenbauers Reaktion: „Da komme ich auch mit.“ Wagenbauer ist zwar eingefleischter Löwen-Fan, „aber da war mal was mit einer Watschn, die er von einem Sechzger bekommen hat“, weiß Holzheu. Er habe sich jedenfalls gefreut. „Walter war besser als ich, beidfüßig, ein super Stürmer. Er war gar nicht groß, hat aber keinen Zweikampf gefürchtet.“ Neben dem Platz ist Wagenbauer nicht so mutig. „Sage es lieber du dem Trainer!“, bittet er seinen Spezl. Leicht sei das wirklich nicht gewesen, erzählt Holzheu. „Unser Trainer war stocksauer. Vor allem auf mich, weil er mich für den Rädelsführer gehalten hat.“ Und der Trainer prophezeit Holzheu: „Der Walter wird’s schaffen, aber du nicht.“

Er sollte sich täuschen: Die beiden bestehen nicht nur das Probetraining beim gestrengen Herbert Moll. Wagenbauer schafft den Sprung in die Oberliga-Mannschaft, schießt insgesamt 17 Tore für die „Vertragler“, wie die Profis damals heißen. Holzheu spielt fünf Jahre lang für die Amateurmannschaft in der Bayernliga, führt das Team sogar als Kapitän an. Er ist rechter Außenläufer, „aber eigentlich war ich auf dem ganzen Platz unterwegs“, sagt er. Seine Bärenlunge hilft ihm, 90 Minuten lang Vollgas zu geben. „Ein Trainer wollte mich zum Verteidiger machen, aber das wäre mir zu langweilig gewesen.“

Einmal sei er auf dem Sprung zur Oberliga-Mannschaft gewesen, sagt er, „aber das hat sich dann doch zerschlagen“. Und ganz abgesehen davon: Auch die Amateure des FCB sind eine Attraktion – was nicht immer Gutes heißt. „Da gab es Mannschaften, die schon sauber getreten haben.“ Regensburg sei ein heißes Pflaster gewesen, aber auch Memmingen oder Landshut. „Da ist gespuckt und gekratzt worden“, erzählt Gerda Holzheu.

Sie hat ihren „Mande“, wie sie ihn heute liebevoll nennt, in München kennengelernt und ist bei den meisten Spielen dabei. Auch bei Auswärtsturnieren, was ein Privileg ist. „Der FC Bayern war sehr streng. Fußballer durften ihre Partner nur mitnehmen, wenn sie verheiratet oder schon lange zusammen waren.“ Und deshalb ist sie auch dabei, als die Roten zu einem Turnier nach Wien fahren. „Wir sollten im Gästehaus der Stadt untergebracht sein. Doch das war eine Jugendherberge.“ Also ruft der Trainer beim Vorsitzenden an und bekommt die Antwort: „Sucht euch das, was ihr braucht. Die Kosten übernimmt natürlich der Verein.“ Der FC Bayern habe sich schon damals nicht lumpen lassen, sagt Gerda Holzheu, die sich gern daran erinnert, wie sie ihren Pius erstmals zu ihren Eltern ins niederbayerische Rohr mitgebracht hat. „Mein jüngerer Bruder hat rumerzählt, dass ein Bayern-Spieler kommt. Und da war die halbe Dorfjugend da und hat sich ihn angeschaut.“

Sportlich läuft’s für Pius Holzheu blendend. Jakob Streitle, der erste FCB-Star überhaupt und nun Trainer, beruft ihn in die Bayern-Auswahl. Und mit den FCB-Amateuren spielt er mit Leuten zusammen wie den späteren Profis Manfred Mokosch, Gerhard Rieger oder Adi Kunstwadl. „Der hat mal in Wien die Zuschauer so provoziert, dass er nach dem Spiel flüchten musste“, erzählt Pius Holzheu lachend.

Alles ist gut, doch dann kommt der SC New York in die Stadt. In dem Club, in dem vor allem deutschstämmige Auswanderer spielen, ist auch Richard Wild dabei, ein ehemaliger Bayern-Spieler. „Also, wenn ihr Fußballer braucht...“, sagt Pius Holzheu einfach mal so. Natürlich braucht New York Fußballer – das sieht zumindest Wild so. Und es pressiert ihm: „Wir fliegen wieder zurück. Dass du fei ja da bist“, sagt er zu Pius Holzheu.

Weggefährten: Pius Holzheu spielte sechs Jahre für den SC New York (kniend 2. v. l.).
Weggefährten: Pius Holzheu spielte sechs Jahre für den SC New York (kniend 2. v. l.). – Foto: Privat

„So schnell konnte ich natürlich nicht“, erzählt dieser heute. Das muss ja noch mit einigen Leuten geklärt werden. Zum Beispiel mit dem FC Bayern, „der natürlich überhaupt nicht begeistert war“. Und mit Gerda, seiner künftigen Braut. Sein Plan: „Damals stand der Dollar bei 4:1. Ich wollte in Amerika Geld verdienen und dann daheim heiraten.“

Geld verdienen – das geht 1962 in den USA nicht mit Fußball. Abgesehen von den 250 Dollar, die er für den Einstieg bekommen hat, „gab es danach nur ein paar Dollar je nach Sieg, Unentschieden oder Niederlage“. Mehr ist nicht drin in einer New Yorker Stadtliga, in der sich höchstens mal 300 Zuschauer bei einem Spiel sehen lassen.

Der Alltag ist anfangs in den USA nicht leicht. „Ich konnte kein Englisch und musste als Schreiner arbeiten, obwohl ich kein Werkzeug hatte.“ Doppelhobel, Stemmeisen – Gerda Holzheu kauft in einem Geschäft in der Prielmayerstraße ein und schickt alles mit dem nächsten Schiff in die Staaten. „Mit dem deutschen Werkzeug war ich dann der König“, sagt Pius Holzheu, der in der ersten Zeit mit drei Freunden eine WG mitten in New York hat: Bayern-Spezl Richard Wild sowie die beiden Ex-Löwen Paul Höck und Horst Renner. „Ums Eck war der Central Park. Da haben wir privat trainiert und das Derby gespielt“, erzählt Holzheu.

Kann’s noch besser werden? Einen Grund gibt’s, um nach Deutschland zurückzukehren. Pius Holzheu heiratet seine Gerda – „im Oidn Peter in München“, schwärmt sie heute noch. Aber dann geht’s zurück nach New York. Jetzt aber zu zweit, auf dem Dampfer namens „Bremen“. Sieben Tage dauert die Fahrt von Bremerhaven nach New York. „Die Queen Elisabeth schafft’s in fünf Tagen“, weiß Pius Holzheu, „denn wir haben sie an uns vorbeirauschen sehen“.

Mit der „Bremen“ von Bremerhaven nach New York: Sieben Tage waren Pius und Gerda Holzheu (3. und 4. v. r.) auf hoher See,
Mit der „Bremen“ von Bremerhaven nach New York: Sieben Tage waren Pius und Gerda Holzheu (3. und 4. v. r.) auf hoher See, – Foto: Privat

Ein Hauch von der großen, weiten Welt? Nein, das ist mehr, denn die Holzheus sind mittendrin. Gerda Holzheu lernt schnell Englisch, findet eine Anstellung bei der deutschen Zeitung „Der Staats-Herold“. Sie liebt New York „und unsere wunderbare Wohnung, die groß war, alles hatte und nur 145 Dollar Miete gekostet hat“. Die beiden leben in Jackson Hyde, einem jüdischen Viertel. Und das so kurz nach dem Krieg? „Wir hatten nie ein Problem mit den Nachbarn“, sagt Pius Holzheu. „Und auch keine Angst“, fügt seine Frau hinzu. Selbstverständlich hätten sie die Subway benutzt. „Wenn wir mal durch Harlem durch mussten, hatte ich nie ein schlechtes Gefühl, denn da standen überall Cops. Für uns war New York das Schlaraffenland.“

Für einen Fußballer natürlich nicht. Pius Holzheu fühlt sich wohl in seinem Team, das in der New Yorker Stadtliga stets vorne mitspielt, auch einen Pokal gewinnt, „auch wenn die Platzverhältnisse eine Katastrophe waren“, meint Pius Holzheu lachend. Ganz unbekannt ist man als Fußballer selbst in den 1960ern in den USA nicht. Gerda Holzheu erinnert sich an eine Autofahrt. „Wir wurden aufgehalten, weil unser Fahrer viel zu schnell war. Die Polizisten sind in den USA streng. Aber als die erfahren haben, dass im Auto ein Fußballer vom SC New York sitzt, war alles gut.“

Alles ist schön in den USA, und trotzdem kehren die Holzheus 1968 nach Deutschland zurück. Warum? „Weil wir dumm waren“, sagt Gerda Holzheu heute. Sie beziehen eine Wohnung in München, das ja wenige Jahre vor Olympia in Aufbruchstimmung ist. Für die Holzheus ist es dennoch ein Kulturschock: „Hier war alles zu eng, zu konservativ.“

Seit 60 Jahren ist Pius Holzheu mit seiner Gerda verheiratet. Sie hält ein Bild von der Überfahrt nach New York in der Hand.
Seit 60 Jahren ist Pius Holzheu mit seiner Gerda verheiratet. Sie hält ein Bild von der Überfahrt nach New York in der Hand. – Foto: Dieter Priglmeir

Fußball spielt ihr Mann wieder in Erding. Spielertrainer Wagenbauer hat seinen Freund zum Comeback überredet. Der TSV Erding spielt in der Bezirksliga ganz oben mit. Hans Bruckmeier ist seinerzeit als junger Bursch dabei und schwärmt vom Routinier Holzheu. „Egal, wie du den angespielt hast, der hat alles im Griff gehabt und mit seiner Übersicht den ganzen Platz beherrscht.“ Noch heute sagen Zeitgenossen: 1968 hatte der TSV Erding seine beste Mannschaft. Nach einem Jahr verlässt Holzheu den TSV. Leute haben behauptet, er spiele nur wegen den Geldes. „Dabei habe ich nicht einen Pfennig verlangt. Nicht mal den Sprit für die Fahrten aus München.“

Legendäre Spiele bestritt Pius Holzheu mit der Alten Liga des FC Bayern.
Legendäre Spiele bestritt Pius Holzheu mit der Alten Liga des FC Bayern. – Foto: privat

Mit dem Fußball ist es aber noch lange nicht aus. Der Erdinger wird Teil der Alten Liga des FC Bayern. „Das waren wunderschöne Jahre“, sagt er und schwärmt von den Spielen im Bayern-Dress, die er zusammen mit alten Freunden wie Kunstwadl und Streitle, aber auch mit Dieter Brenninger, Paul Breitner oder Gerd Müller bestreitet. „Jeden Samstag haben wir den Gegnern den Kasten vollgehaut und dafür auch noch eine schöne Gage für die Mannschaftskasse bekommen“, sagt Pius Holzheu schmunzelnd. Ob Ex-Stars oder Amateure – hier sind alle gleich und benehmen sich auch so. Mit Franz Beckenbauer habe er zwar nie zusammengespielt, „aber wir kannten uns, er hat mich immer ,Oida‘ genannt“. Einmal – 1977 oder 1978 – treffen sich die beiden im Hotel Vier Jahreszeiten, und der Kaiser ruft ihm schon von Weitem zu. „Servus Oida, was machstn du do? – „Arbeiten, und du?“ – „Ich fahr jetzt zu meinem Schneider nach Salzburg.“ Viele Jahre später gibt’s ein Wiedersehen, als der FCB-Präsident den „Oidn“ zum Ehrenmitglied ernennt. Mit der Mitgliedsnummer 30 gehört der Erdinger auch in dieser Beziehung zur Kategorie 1 des FC Bayern.

Ehrenmitglied ist Pius Holzheu beim FC Bayern.
Ehrenmitglied ist Pius Holzheu beim FC Bayern. – Foto: privat

Apropos Erding. Seit gut 15 Jahren lebt Pius Holzheu wieder in seiner Heimatstadt. Seine alte Bleibe in München ist zu einer Eigentumswohnung gemacht worden. In Erding hilft ihnen bei der Wohnungssuche der vor wenigen Tagen verstorbene Andre Wörner, ein langjähriger Freund der beiden – und ebenfalls ein Spieler des Erdinger Teams von 1968. Auch wenn zeitweise ein ganzes Meer zwischen ihnen lag, aus den Augen verloren haben sich die Erdinger Fußballer nie.

Bleibt noch die Frage, wie das Bayern-1860-Derby im Central Park damals ausging. Pius Holzheu: „Wir haben die Löwen immer geschlagen.“

Erdings Top 100: In unserer Serie „Erdings 100 größte Sportler aller Zeiten“ belegt Pius Holzheu Platz 42. (Dieter Priglmeir)

Aufrufe: 04.2.2024, 12:00 Uhr
Dieter PriglmeirAutor