2024-04-25T14:35:39.956Z

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VfR-Legenden verabschieden ihr Stadion

Bevor bald die Abrissbagger anrollen, trafen sich die Spieler aus der großen Zeit des Vereins an der Hammer Landstraße

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Theo Hillen weiß genau, was gleich kommt: "Gleich reden sie wieder alle über das 5:4 gegen Fortuna. Ich kann das bald nicht mehr hören", sagt der Ex-Torhüter mit einem herzhaften Lachen, als die ehemaligen VfR-Fußballer der 60er und 70er Jahre nach und nach am Stadion eintrudeln.
Keine zehn Minuten später soll Hillen Recht behalten. Minutengenau lässt Ex-Kapitän Willi Traut das größte Spiel der VfR-Geschichte noch einmal Revue passieren, listet die Torschützen auf und zeigt alte Schwarz-Weiß-Bilder. "Ich werde das nie vergessen, wie die Düsseldorfer über die Südbrücke kamen. 15 000 Zuschauer waren damals hier. Am Ende stand das ganze Stadion Kopf."

Eben jenes Stadion an der Hammer Landstraße, seit 1919 Heimat des VfR Neuss, wird einen solchen Nachmittag nicht mehr erleben können. Ab Juli rollen die Abrissbagger an, und ein großes Stück der Neusser Sportgeschichte wird für immer verschwinden. Deswegen trafen sich rund zwei Dutzend VfR-Legenden (siehe Info-Kasten) noch einmal am Ort ihrer größten Erfolge und nahmen gemeinsam Abschied.

Die Idee dazu kam Hillen und Traut vor ein paar Tagen am Rande des Sommernachlaufs. "Wir sehen uns sonst ja kaum noch – abgesehen von Beerdigung. Lass uns doch noch mal alle treffen, bevor das Stadion weg ist", sagten sich die beiden Ex-Spieler und telefonierten sich in den vergangenen Tagen die Finger wund. Nun sind sie ebenso überrascht wie erfreut, dass trotz des kurzen Vorlaufs so viele Ehemalige aus der großen Zeit des VfR an ihre alte Wirkungsstätte kommen.

Gemeinsam reisen sie gedanklich noch einmal in die Vergangenheit. In eine Zeit, die mit Blick auf den heute bis in die Kreisliga A abgestürzten Traditionsverein unvorstellbar wirkt. Die Ex-Spieler berichten von großen Spielen vor Tausenden Zuschauern, von drei Aufstiegen, der ersten Flutlichtanlage und Gehältern, für die heute kein Kreisligaspieler mehr die Schuhe schnüren würde. Bis in die Regionalliga West, damals die zweithöchste Liga, hatte es der Klub in den 60ern geschafft. "Wir waren auf Augenhöhe mit Leverkusen, Bochum und den beiden Essener Vereinen", erinnert sich Traut, für den der VfR immer mehr war als ein Fußballverein: "Wir waren das Aushängeschild der ganzen Stadt. Hier beim VfR haben sich alle getroffen. Die aus der Innenstadt, die Reuschenberger, die Weißenberger, die Uedesheimer. Auf dem Platz und auf der Tribüne."

Einer, der in den vergangenen Jahrzehnten alle Höhen und Tiefen mitgemacht hat, ist Jupp Kokesch. Fast 20 Jahre stand er für die Grün-Weißen auf dem Platz, war nachher Präsident und ist bis heute Ehrenspielführer. Dass das Stadion nun abgerissen wird, tut ihm in der Seele weh: "Wenn man 35 Jahre lang vier bis fünf Mal die Woche hier war ...", beginnt er zu erzählen und muss heftig schlucken. "Das Stadion hier ist einmalig für die Stadt Neuss. Das wird es nie mehr geben. Für den Leistungssport fehlt in Neuss einfach die finanzielle Unterstützung."

Es gibt mehrere, die an diesem Nachmittag mit der Gegenwart abrechnen wollen. Worte wie "Schande" oder "Skandal" fallen mehrfach. Doch im Vordergrund steht die Erinnerung an bessere Zeiten. An den alten Mäzen "Papa" Schultz, an die Testspielreise nach Russland, an den Tag, als Ex-Spieler Matthias Hellingrath längst Ordner war und auf den Platz rannte, um für den geschlagenen Torwart den Ball von der Linie zu kratzen. Und natürlich an den Tag, als der große Pelé plötzlich mit dem FC Santos an der Hammer Landstraße auflief.

Stundenlang geht das so. Je länger die alten Spieler beieinandersitzen, desto mehr Geschichten kommen auf, desto mehr wird gelacht. "Wir müssten eigentlich ein Buch schreiben", sagt Kokesch irgendwann und erntet viel Kopfnicken. Und Kurt Gläßer sagt: "Bald ist das Stadion hier weg, aber die Gedanken an die große Zeit ist in unseren Köpfen. Die kann uns keiner nehmen."

Aufrufe: 022.6.2013, 08:00 Uhr
Neuß-Grevenbroicher ZeitungAutor