Vatan Spor Aschaffenburg: Multikulti-Power ohne Grenzen?

Der Erfolg der vergangenen Jahre - erst 1995 gegründet spielte Vatan vor vier Jahren noch Kreisliga - hat die Verantwortlichen um Fußballchef Ilker Colak selbst ein bisschen überrascht. Die drei Aufstiege seit 2017 seinen keinesfalls von langer Hand geplant gewesen. Die Bayernliga nur ein fernes Land der Träume. "Eigentlich war es unser vorrangiges Ziel, uns in der Bezirksliga zu etablieren und dort vielleicht vorne mitzuspielen", erinnert sich Ilker Colak, der bis vor Kurzem selbst noch die Schuhe schnürte, inzwischen aber in den administrativen Bereich gewechselt ist.

Und Kraft seines Amtes ist der 36-Jährige praktisch dazu verdammt, kreativ zu sein. Bis 2020 noch musste sich Vatan die Trainingsplätze am Schönbusch mit dem großen Nachbarn Viktoria Aschaffenburg teilen. "Schwierige Umstände" bezeichnet Colak diese Konstellation. Nicht, weil sich die Zusammenarbeit mit dem Regionalligisten an sich schwierig gestaltete, sondern vielmehr, weil man sich nach einer eigenen Heimat sehnte. Gott sei Dank hat der Neu-Bayernligist inzwischen einen eigenen Rasenplatz, ein Kunstrasenfeld sowie ein Vereinsheim auf dem selben Areal wie vorher, dem Schönbusch..

Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist somit gemacht. Nichtsdestotrotz gibt es weiterhin einen doch nicht von der Hand zu weisenden infrastrukturellen Nachholbedarf. Das Paradoxe daran: Das Team um Peter Sprung war erfolgreich, zu erfolgreich, um als Gesamtverein Schritt halten zu können. "Durch unsere familiäre Atmosphäre haben sich immer mehr Spieler dem Verein angeschlossen. Natürlich haben wir hier auch von der guten Arbeit der Viktoria profitiert, von der immer wieder Akteure zu uns gewechselt sind", blickt Ilker Colak zurück. "Wir hatten immer eine super Offensive und eine solide Abwehr. Als noch das Glück hinzukam, haben wir überraschen können."

Der scheinbare Erfolg ohne Grenzen soll aber nun vorerst - so komisch es klingen mag - etwas gestoppt werden. Ansonsten droht Vatan Spor Aschaffenburg seine Identität zu verlieren, da dann der sportliche Alltag weitere, wichtige Themen zu sehr überschatten würde. Denn gerade von seiner DNA profitiert der Verein, der das Ergebnis einer Fusion von SV Türk Gücü und FSV Türk Birlik vor 26 Jahren ist. Obwohl Vatan Spor (übersetzt: Heimat-Sport) von türkischen Migranten ins Leben gerufen wurden ist, versteht man sich als Multikulti-Truppe.

Integrations-Hilfe über das Spielfeld hinaus

"Jeder, wirklich jeder ist willkommen", betont der Sportliche Leiter - und ergänzt: "Bei uns in der Ersten spielen u.a. Deutsche, Italiener und Türken. In den übrigen Mannschaften viele Migranten, die wir über den Fußball hinaus unterstützten." So unterstützt Vatan Flüchtlinge nicht nur, indem ihnen eine sportliche Heimat gegeben wird, sondern auch im normalen Leben, um sich integrieren zu können. Trotz dieses ehrwürdigen sozialen Engagement sah sich der Sportverein in der Vergangenheit immer wieder ausländerfeindlichen Anfeindungen ausgesetzt. "Mittlerweile hat sich das aber weitestgehend gelegt", betont Colak. "Zumal wir derartigen Themen gar keinen Raum bieten."

Dazu bleibt auch keine Zeit - zu sehr steht der Sport am Schönbusch im Mittelpunkt. Eigentlich wollte man nach dem Aufstieg die Erfolgsmannschaft zusammenhalten, "nur punktuell verstärken". Der Abgang von Peter Sprung setzte allerdings einen Domino-Effekt in Kraft, der letztlich in einem Umbruch mündete. "Das war so nicht gewollt", macht der SV-Chef deutlich und blickt auf arbeitsreiche Wochen zurück. Doch die Mühen haben sich gelohnt. Man sieht sich gut aufgestellt.

Das liegt zum einen an der intensiveren Zusammenarbeit mit der benachbarten Viktoria. Im Rahmen einer Kooperation wechseln von nun an immer wieder Spieler zum Bayernligisten, um dort Spielpraxis zu sammeln. Aktuelle Beispiele: Hendrik Ehmann und Leon Lerch. Die Viktoria ist nicht der große Konkurrent von Vatan, den man nacheifern und vielleicht sogar irgendwann stürzen möchte. Ilker Colak spricht vielmehr von einer "Win-Win-Situation". Zumal der ehemalige Zweitligist in vielerlei Hinsicht noch Welten entfernt ist, obwohl er nur eine Liga höher spielt.

Der Bayernliga-Aufsteiger sieht sich aber auch gut aufgestellt, weil man als Sprung-Nachfolger einen Glückgriff tätigen konnte. Slobodan Komljenovic, einst u.a. Bundesliga-Spieler bei Lautern, Duisburg und Frankfurt sowie EM- und WM-Teilnehmer für Serbien, sei mit seiner Ausstrahlung und natürlichen Aura eines Ex-Profis der ideale Trainer für das junge Team, das sich erst noch vollends finden muss. "Die Spieler schauen auf ihn und seinen Assistenten Ersan Banbal auf", weiß Ilker Colak. "Generell passt der Mix."

Genauso wie in den vergangenen Jahren, möchte man an dieser Stelle hinzufügen. Doch so ganz stimmt es wohl nicht. Denn Peter Sprung und viele anderen Aufstiegshelden sind weg. Bleibt aus Sicht von Vatan Spor Aschaffenburg nur zu hoffen, dass die Multikulti-Power nicht an Kraft verlieren wird...