2024-04-30T08:05:46.171Z

Interview
Daniel Engelbrecht bei der Präsentation seines neuen Vereins Rot-Weiß Essen. Beim West-Regionalligisten steht der 27-Jährige seit Sommer 2017 unter Vertrag, pausiert aber auf unbestimmte Zeit. Foto: imago
Daniel Engelbrecht bei der Präsentation seines neuen Vereins Rot-Weiß Essen. Beim West-Regionalligisten steht der 27-Jährige seit Sommer 2017 unter Vertrag, pausiert aber auf unbestimmte Zeit. Foto: imago

"Mein Herz hat angefangen, langsamer zu schlagen"

Daniel Engelbrecht: Ex-Profi vom VfL Bochum stand mehrfach zwischen Leben und Tod / Aktiver Fußball mit eingesetztem Defibrillator

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Der Herztod des italienischen Nationalspielers Davide Astori von AC Florenz erschütterte die Fussballwelt, denn eine Vorerkrankung des 31-Jährigen war nicht bekannt. Und doch kommt der plötzliche Herztod bei Profi- sowie Amateursportlern immer wieder vor. FuPa sprach mit dem früheren Profifussballer Daniel Engelbrecht (27), der sich nach einem Zusammenbruch im Juli 2013 einen Defibrillator einsetzen lies. Seitdem wurde er von diesem dreimal wieder ins Leben zurückgeholt.
FuPa: Daniel, der plötzliche Herztod von Davide Astori von vor drei Wochen hat die Fußballwelt erschüttert. Was waren Deine Gedanken, als Du davon erfahren hast?

Daniel Engelbrecht: Mich hat das natürlich geschockt. Ich weiß genau, was er durchgemacht hat. Wenn das Herz langsam aufhört zu schlagen, ist es ein beängstigendes Gefühl, welches man niemanden wünscht. Es macht mich wütend, wenn sowas auf die leichte Schulter genommen wird. Meiner Meinung nach muss jeder Verein die Spieler genauer untersuchen und nicht nur durch den Ultraschall oder ein EKG jagen.

FuPa: Nimmst Du Nachrichten über den Herztod heute anders auf als vor deiner Erkrankung?

Engelbrecht: Ja, natürlich. Man ist heute viel sensibilisierter als vorher, weil ich mich in die betroffene Person hineinversetzen kann. Es wird oft über Herzprobleme geredet, aber wirklich dagegen vorgegangen wird nicht. Das ist ein Punkt der mich traurig macht.

FuPa: Wie hast Du den 20. Juli 2013 in Erinnerung?

Engelbrecht: Ich fühlte mich, als wäre ich in der Form meines Lebens. Ich war topfit und habe vor dem Vorfall keinerlei Probleme verspürt. Es war auch beim Thema Herzprobleme bei mir vorher nichts bekannt gewesen. Nachdem der Ball im Aus war, habe ich von jetzt auf gleich gemerkt, wie mein Herz angefangen hat langsamer zu schlagen. Ich habe die Menschen um mich herum nicht mehr gehört. Im Stadion war es für mich eine totale Stille und mir wurde schwarz vor Augen. Das Nächste an das ich mich erinnern konnte, war als die Spieler von Erfurt mir ins Gesicht geklatscht haben und mein damaliger Mitspieler Soriano mir zurief: "Hey Engel, komm wieder zu dir". In der Situation selbst und auch kurz danach hat keiner geahnt, dass es ein Problem mit dem Herzen war. Vielmehr ging man davon aus, dass es sich lediglich um Kreislaufprobleme handeln würde.

FuPa: Zwei Wochen später standest Du wieder auf dem Platz. Nach ein paar Minuten musstest Du aufgrund von Kreislaufproblemen erneut ausgewechselt werden. Direkt im Anschluss wurde im MRT erkannt, dass es sich bei dir um Herzprobleme handelt. Wie verlief die darauffolgende Zeit für dich?

Engelbrecht: Es hat mir den Boden unter den Füßen komplett weggezogen. Ich bin damals mit großen Ambitionen in die Dritte Liga zu den Stuttgarter Kickers gewechselt. Und dann kam die Diagnose Herzmuskelentzündung und der Satz "Wir wissen nicht, ob du jemals wieder spielen kannst". Das muss ein 22-Jähriger erstmal wegstecken. Wenn man dann nicht einmal mehr im Alltag die Ruhe hat, sondern immer wieder mit Herzrhythmusstörungen zu tun hat, ist das extrem hart. Es ist überhaupt verrückt, in diesem Alter Probleme mit dem Herzen zu haben. Alle anderen Patienten im Krankenhaus waren 70 Jahre oder älter und ich war da als Anfang-Zwanzigjähriger.

FuPa: Wer war in den Monaten darauf Deine wichtigste Stütze?

Engelbrecht: Das waren meine Familie und meine Freunde. Meine Familie kommt aus Köln, ich selbst habe zu dieser Zeit in Stuttgart gespielt. In der Zeit nach der Diagnose war ich dann bei der Familie und Freunden in Köln. Sie haben mich unterstützt und waren zu jeder Zeit für mich da. Aber natürlich hat keiner von ihnen gesagt, dass ich wieder auf den Platz gehen soll. Sie hätten sich für mich gewünscht, dass ich es mit dem Fußball endgültig sein lasse. Mein Opa meinte damals zu mir, ich solle mit der Trainerausbildung beginnen und die Fußballschuhe an den Nagel hängen. Er wolle mich nicht vor sich begraben müssen.

FuPa: Was war letzten Endes der Grund für Deine Herzprobleme?

Engelbrecht: Man konnte nicht genau feststellen, woher die Herzprobleme kamen. Die diagnostizierte Herzmuskelentzündung war vorher schon da. Wahrscheinlich war es so, dass ich eine verschleppte Grippe hatte oder dass es durch einen entzündeten Zahn dazu kam, denn ein solcher wurde mir zuvor gezogen. Aber woran es jetzt genau gelegen hat, konnte man nicht sicher feststellen.

FuPa: Ist der Druck, der auf Profisportlern lastet, zu groß?

Engelbrecht: Ja, der Druck wird immer größer. Das Fatale daran ist, dass die Spieler sich selbst keine Pause nehmen wollen, weil die Leistungsnachwuchszentren immer stärker werden und mehr und mehr Spieler hervorbringen. Die Kaderplätze im Verein werden dadurch aber nicht mehr. Kein Spieler will dann in irgendeiner Form Schwäche zeigen. Wenn einer dann beispielsweise für ein bis zwei Wochen erkältet ist und in dieser Zeit nicht am Training teilnehmen kann, kann es je nach Verlauf gut sein, dass er erst einmal im Kader außen vor ist. Der Druck ist dann natürlich immens groß, da sich niemand eine Chance zu spielen verbauen will. Der Druck der auf uns Profisportlern lastet, ist Wahnsinn.

FuPa: Von wem wird Deiner Meinung nach dieser Druck ausgeübt?

Engelbrecht: Da treffen viele Punkte aufeinander. Zum einen natürlich der Spieler, der sich selbst diesen Druck macht. Vom Verein auf jeden Fall auch und diese generelle Situation im Leistungssport. Man will immer mehr, immer besser sein und nicht zuletzt hat man Angst, seinen Platz im Team zu verlieren. Im Profisport gibt es viele Leute, die sagen, sie müssen das schaffen, davon leben sie schließlich. Wenn das nicht funktioniert haben sie ein Problem.

FuPa: Was ist Dein Rat an Sportler, die unter einem solchen enormen Druck leiden, sich trotz Erkältungssymptomen auf den Sportplatz begeben und anschließend über Probleme klagen, weil sie um ihre Position im Verein fürchten?

Engelbrecht: Alle Beteiligten sollen darauf bestehen, dass die Ärzte das Herz genau untersuchen. Es ist wichtig, dass nicht nur ein Ultraschall gemacht wird, sondern zusätzlich noch ein EKG und MRT, sowie eine Blutabnahme, damit man nachvollziehen kann, was los ist. Wenn das vom Verein aus nicht unterstützt wird, mache ich das eben auf eigene Faust. Das sollte einem die Gesundheit wert sein.

FuPa: Du hast Dir einen Defibrillator ins Herz einsetzen lassen. War für dich sofort klar, als du von dieser Möglichkeit erfahren hast, es auch zu machen?

Engelbrecht: Ja, das kam wie aus der Pistole geschossen. Ich weiß es noch genau, am 13. Dezember 2013 hat mich mein Arzt angerufen und meinte zu mir, dass es eventuell eine Möglichkeit gäbe, wieder spielen zu können. Du müsstest dir dafür aber einen Defibrillator einsetzen lassen. Er meinte noch zu mir, ich könne mir bis Ende des Jahres Zeit lassen mit der Entscheidung. Doch im selben Telefonat noch sagte ich meinem Arzt, dass es sich für mich nicht lohnen würde lange darüber nachzudenken: Ich mache das! Im Nachhinein, als ich den Defibrillator eingesetzt bekommen habe, konnte ich tagelang nicht schlafen. Zu dem Zeitpunkt war ich 23 Jahre alt und mir musste erst klar werden, wie ich mein Leben mit einem Defibrillator gestalten sollte. Aber es war die einzige Möglichkeit, wieder spielen zu können, und deswegen habe ich es gemacht.

FuPa: Seit Dir der Defibrillator eingesetzt wurde, wurdest Du von ihm dreimal "geschockt", also wieder ins Leben zurückgeholt. Wie geht man mit diesen Schocks psychisch um?

Engelbrecht: Das hat mich innerlich kaputt gemacht. Nicht umsonst war ich deswegen in psychologischer Behandlung. Nach dem ersten Schock war es ein fürchterlicher Knall. Der größte Schock meines Lebens sozusagen. Danach geht es erst so richtig los. Du bildest dir ein, dass jeder Stolperstein gleich wieder zum Schocken führt. Du denkst dir, es geht gleich wieder los oder du musst gleich sterben. Daran hatte ich lange Zeit zu knabbern. Gott sei Dank habe ich es durch den Fußball geschafft, davon wieder abzukommen. Ganz vergisst du das aber auf keinen Fall. Als ich gerade lernte damit umzugehen, wurde ich 2016 wieder geschockt. Danach war ich erst einmal wieder raus. Damit musste ich erst wieder richtig klar kommen. Im Juni 2017 dann zum dritten Mal. Ich sage nicht umsonst, das wünscht man nicht einmal seinem schlimmsten Feind. Du hast den schlimmsten Schmerz deines Lebens, die größte Angst in deinem Leben und du vertraust in dem Moment deinem eigenem Herzen nicht mehr, weil du daran denkst, jeden Moment zu sterben.

FuPa: Wie waren Deine Gefühle, als Du wieder auf dem Platz standst, Dein Comeback gegeben hast und dann im Spiel gegen Wehen Wiesbaden den 2:1 Siegtreffer erzieltest?

Engelbrecht: Es war für mich der emotionalste und zugleich schönste Moment in meinem Leben. Die Worte vieler Leute, die meinten ich solle es bleiben lassen, lastet auf mir. Für mich war das dann eine Bestätigung, dass sich der Kampf gelohnt hat gegen all diejenigen, die mir zuriefen es sein zu lassen. Dieses Gefühl würde ich gegen nichts auf der Welt eintauschen. Man sieht auch, wie das ganze um die Welt gegangen ist. Es gab kaum ein Land, das nicht von der Geschichte berichtet hat. Das kann man gar nicht in Worte fassen. Das muss man selbst erleben.

FuPa: Nach dem Siegtor hast Du dir dein Trikot übergestreift. Auf dem Shirt darunter stand die Aufschrift "Nichts ist unmöglich". Was hatte es damit auf sich?

Engelbrecht: Es war für mich eine Nachricht an all die Menschen, die Probleme jeglicher Art haben, zu zeigen, dass es immer einen Ausweg gibt. Egal wie, man kommt immer weiter voran, wenn man nur will. Es gibt immer die Möglichkeit, sich aus der Schlinge zu ziehen. Das war das, was ich den Leuten mitgeben wollte. Dass es dann so um die Welt ging und es quasi jeder so mitnehmen konnte, war dann umso schöner.

FuPa: Aktuell hospitierst Du bei der U19 von Bayer 04 Leverkusen. Strebst Du in Zukunft eine Trainerausbildung an?

Engelbrecht: Damit angefangen habe ich bereits. Die B-Lizenz habe ich schon gemacht. Das Trainersein ist aber nicht das Einzige, was ich in Erwägung ziehe. Trainieren und auch das Scouting ist das, was mich interessiert. Darauf lege ich aktuell den Fokus. Bis Dezember dieses Jahres gebe ich meinem Herz Zeit, sich quasi komplett zu erholen. Ob es danach wieder was wird mit dem Fußball, steht in den Sternen.

FuPa: Glaubst Du, dass Du durch deine eigene Geschichte mit Spielern, wenn diese beispielsweise erkältet sind, anders umgehen wirst?

Engelbrecht: Auf jeden Fall. Wenn bei mir einer krank ist, eine Grippe oder Fieber hat, möchte ich denjenigen nicht auf dem Trainingsplatz sehen, bis er sich wieder vollständig auskuriert hat.

FuPa: Welche Präventionsmaßnahmen kann man treffen, um Profi- sowie auch Amateursportler in der Thematik "Sport trotz Erkältung" aufzuklären?

Engelbrecht: Ich bin aktuell mit dem Spieler Tobias Haitz von den Sportfreunden Lotte dabei, in Kooperation mit Ärzten dieses Thema voranzutreiben. An den Punkten Nahrungsergänzungsmittel, aber auch zur allgemeinen Aufklärung in der Thematik „Sport trotz Erkältung“ und welche Gefahren damit verbunden sind, arbeiten wir. Dahingehend erarbeiten wir ein Gesundheitskonzept. Mit Fragen dazu kann sich auch wirklich jeder jederzeit bei mir melden - egal ob Profisportler oder nicht. Pauschal kann ich sagen, dass kein Mensch der Welt mit Fieber oder einer Grippe Sport machen sollte. Das ist für mich ein Gesetz, das man nicht brechen darf. Es geht hier nicht um eine Muskelverletzung oder einen Knochenbruch, der ein paar Wochen ausheilt. Es geht um das Herz, wovon das ganze Leben abhängt. Das darf man nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen.

FuPa: Werden wir Dich noch einmal auf dem Platz sehen?

Engelbrecht: Das kann ich heute noch nicht sagen. Ich wurde wie gesagt schon dreimal geschockt. Wenn man die Situation in Stuttgart damals noch dazu zählt, stand ich bereits viermal zwischen Leben und Tod. Ich werde nichts übers Knie brechen. Wenn ich merke, meinem Herz geht es wieder besser, dann werde ich es auch langsam wieder angehen. Ist dem nicht so, bin ich eben noch länger draußen.
Aufrufe: 028.3.2018, 07:06 Uhr
Pascal WinklerAutor