2024-05-02T16:12:49.858Z

Ligabericht
Bundesligatauglicher Jubel auf dem Balkon eines Fans. 	Foto: Nerlich
Bundesligatauglicher Jubel auf dem Balkon eines Fans. Foto: Nerlich

"Leb' deinen Traum" wird Realität

MEISTERPORTRÄT: +++ SG Reiskirchen/Bersrod/Saasen steigt in die Kreisoberliga auf +++ Trainer Oliver Bopp greift auch in die psychologische Trickkiste +++

REISKIRCHEN. „Uns hat keiner vor der Saison auf dem Schirm gehabt“, sagt Oliver Bopp mit angeschlagener, heiserer Stimme, die „auch der Feier geschuldet“ sei, wie er augenzwinkernd anmerkt. Die Meisterfeierlichkeiten des Alsfelder A-Ligisten SG Reiskirchen/Bersrod/Saasen hatten es nach dem 2:0-Sieg gegen Laubach in sich. Ramba-Zamba bis in die frühen Morgenstunden mit allen SG-Teams, danach bundesliga-tauglicher Jubel auf dem Balkon, Abkühlung im Pool und danach eine Traktorfahrt durch die Ortsteile der Spielgemeinschaft. „Manche haben gar nicht geschlafen. Aber so langsam kehrt wieder Normalität ein.“

Zur Normalität gehörte für die SG in dieser Saison auch das Gewinnen, allen voran in der Hinserie, die das Team ohne Niederlage auf Rang eins beendete. Der 39-jährige Bopp hatte das Team im tiefsten Abstiegskampf der Saison 2015/16 im Winter übernommen und zweimal auf Rang sieben geführt. Vor der aktuellen Runde deutete von außen wenig auf den Aufstieg in die Kreisoberliga hin. Mit Verteidiger Markus Sommerlad und Keeper Mark Eckhardt kamen „nur“ zwei Neue. Allerdings blieb das mittlerweile gefestigte Team zusammen. „Wir haben in den Runden zuvor gut gearbeitet. Ich wusste, dass in diesem Team das Potenzial steckt, um aufzusteigen“, sagt Bopp.

Doch die Kontrahenten und noch nicht einmal die eigenen Vereinsverantwortlichen hatten die SG auf der Rechnung. „Wir hatten überhaupt keinen Druck. Das Entscheidende war aber, dass das Ziel Aufstieg von der Mannschaft selbst beschlossen wurde und die Spieler immer gesagt haben: Wir wollen und wir werden aufsteigen“ Fokussierung statt Überheblichkeit. Egal, ob ein Derby gegen Harbach, ein Topspiel gegen Ober-Ohmen und Hattendorf oder Duelle gegen Kellerteams.

Bis zum Winter spielte Reiskirchen nur viermal Remis – bei 13 Siegen. Nur Hattendorf konnte da mithalten. „Vor allem gegen die Top-Teams haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Wir haben gesehen, dass wir eines der stärksten Teams der Liga sind.“ Doch dann kam die kalte Jahreszeit. „So eine chaotische Winterpause habe ich noch nie erlebt. Extrem viele Plätze waren vereist. Dann zog sich der Restrundenstart eine gefühlte Ewigkeit hin. Das war alles sehr zäh.“ Normales Training war kaum möglich und Bopp um Abwechslung bemüht. „Nur Laufen ist auf Dauer stinklangweilig. Deshalb waren wir viel in der Halle, im Fitnessstudio und sogar beim Kickboxen.“

Dennoch hinterließ die lange Pause Spuren. Von Anfang April bis Anfang Mai setzte es drei Niederlagen, darunter im Topspiel Anfang Mai gegen Hattendorf (0:1), der für den Verlust der Tabellenführung sorgte. „Dieses Spiel habe ich nie als das entscheidende um den Aufstieg gesehen. Ich war sicher, dass der SV noch Punkte liegen lässt und Konstanz sowie Stabilität am Ende entscheiden. Dafür war die Pleite gegen Rüddingshausen Anfang April heftig, weil sie unerwartet kam, aber absolut verdient war.“

Zweifel schlichen sich im Team ein. Um diese aus dem Weg zu räumen bediente sich die SG kleiner Motivationshilfen. Ein Plakat mit dem Titel „Gipfelsturm 2018 – Leb‘ deinen Traum“: Vom Startpunkt Herbstmeisterschaft führt den Wanderer „SG Reiskirchen“ der Weg zur Spitze über alle Gegner hinweg zum Gipfel, dem Aufstieg. „Unser Ziel zu visualisieren hat geholfen. Allerdings nicht ganz so sehr wie unser Kabinenlied „Leb‘ deinen Traum“, dass wir gemeinsam auf den Bänken stehend nach jedem Sieg gesungen haben. Das war Gänsehaut pur“, erklärt Bopp die Griffe in die psychologische Trickkiste.

Gänsehaut-Momente gab es in der Kabine im Endspurt reichlich, sollte die Niederlage gegen Hattendorf doch die letzte der Runde gewesen sein. Hattendorf gab im Endspurt durch eine 1:3-Pleite gegen Romrod die Tabellenführung wieder an die Reiskirchener ab und die ließen sich den „Gipfelsturm“ nicht mehr nehmen. Überragend dabei die Abwehr mit nur 26 Gegentoren. „Ich habe immer gesagt, wer die wenigsten Tore kassiert, wird aufsteigen.“ Mit Routinier Sommerlad („der hat der Defensive viel Stabilität verliehen“) und Youngster Luca Perri („Mein Spieler der Saison“) fand Bopp das ideale Innenverteidiger-Duo für dieses Ziel. Zudem lobt der Trainer die älteren Führungsspieler Christian Nerlich (Sechser), Alexander Antoni, Alexander Dams und Kapitän Benjamin Klös. „Die drei Erstgenannten beenden ihre Karriere, für sie war es die letzte Chance aufzusteigen.“ Vorne sorgte Toptorjäger Christian Kuhn mit 30 Buden dafür, dass die SG das beste Torverhältnis (94:26) der Klasse hat.

Und obwohl Bopp bereits zweimal als Trainer der SF Burkhardsfelden und einmal mit Bessingen aufstieg, ist es für ihn „ein ganz besonderer Aufstieg nach einer ganz besonderen, weil sehr kräftezehrenden Saison mit vielen Spielen in Folge, bei denen wir immer verdonnert waren, zu gewinnen.“

Den drei erwähnten Abgängen stehen bislang keine Neuzugänge gegenüber. „Seit dem Winter haben wir mit 30 Spielern gesprochen, hatten teilweise schon ligaunabhängig mündliche Zusagen und haben eine Veranstaltung für potenzielle neue Spieler organisiert, bei der wir uns als Verein vorgestellt haben. Aber es ist bis jetzt nichts bei herumgekommen.“ Dennoch sich Bopp für die Kreisoberliga-Runde kämpferisch: „Es wird von Anfang an um den Klassenerhalt gehen. Aber wir werden nicht sang- und klanglos runtergehen.“ Zuvor wird aber noch weiter gefeiert: „Am Wochenende steht die Abschlussfahrt nach Mainz an. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich das mit meinen 39 Jahren noch so gut verkraften werde.“



Aufrufe: 01.6.2018, 19:00 Uhr
Tim Georg (Gießener Anzeiger)Autor