An einem Sonntag, in Nürnberg:
10.10 Uhr
Den Vormittag verbringen die Club-Profis mit einem Helm auf dem Kopf. Trainer Michael Wiesinger schickt seine Spieler zu einer Mountainbike- Runde in den Zerzabelshofer Forst. Während sie noch auf dem Parkplatz Bremsentests machen, erwacht auf dem Vereinsgelände das Leben. Die Sonne scheint; zwei, drei Japaner stehen verloren mit Fotoapparat vor den „Stuhlfauth-Stuben“. Sie suchen Kiyotake, doch der strampelt gerade unbeholfen seinen Kollegen einen Waldweg hinterher. Es wäre ein nettes Foto gewesen.
10.25 Uhr
Während sich stolze Eltern und Großeltern um ein U11-Kleinspielfeld drängen, treffen unbeachtet die ersten Spieler der U19 ein. Einige sind dem großen Ziel Profifußballer zumindest optisch schon nahe: Ihre Musik-Kopfhörer erinnern an den Gehörschutz von Rollfeldpersonal - oder an David Alabas Musik-Kopfhörer aus der Mixed-Zone. Nichts deutet darauf hin, dass auf dem Nebenplatz gleich ein Spiel ums sportliche Überleben angepfiffen wird, zwischen dem Club und 1860 München. „Wir müssen gewinnen, sonst sind wir abgestiegen“, sagt Rainer Zietsch. „Wir brauchen noch sieben bis acht Siege aus zehn Spielen“, prophezeite der Trainer bereits am 9. März. Die U19 hatte zu diesem Zeitpunkt sechs Punkte aus 15 Spielen geholt. Neun Spieltage später wird zu Zietschs kühner Rechnung nur ein Sieg fehlen.
12.05 Uhr
Hanno Balitsch ist nur Zaungast. „Entschuldigung, wie steht es denn?“, fragt der Club-Profi durch die Gitterstäbe, als er vom Lizenzspielergebäude über den Parkplatz schlendert. Es steht noch 0:0, es läuft ja auch erst die fünfte Spielminute. Balitsch hat noch nichts verpasst, sogar die Personalie des Tages kennt er längst: Niklas Stark spielte im bedeutungsarmen Bundesligaspiel gegen Leverkusen bei den Profis mit, fehlt daher im U19-Mittelfeld und zweitwichtigsten Spiel der Saison. „Es war eine gemeinsame Entscheidung der sportlichen Leitung“, wird Zietsch später sagen. So ganz mag man ihm das nicht glauben, dass er diese Entscheidung gut fand.
12:10Uhr
Balitsch steht noch immer am Metallzaun und muss einen Fehlpass im Club-Spielaufbau mitansehen, schlimmer noch: Mike Ott trifft zum 1:0 für 1860. Nürnberg ist zum ersten Mal an diesem Sonntagnachmittag abgestiegen. Rainer Zietsch schaut auf die Uhr: „Weitermachen“, ruft er.
12.22 Uhr
Pascal Itter erkämpft den Ball, David Spiess flankt scharf nach innen, Pascal Köpke hält den Fuß hin: 1:1. Der Club darf wieder hoffen. Balitsch steigt ins Auto und fährt davon.
12.33 Uhr
Auch Michael Wiesinger und sein Co-Trainer Armin Reutershahn stehen hinter dem Gästetor. Sie müssen ihre Unterhaltung kurz unterbrechen: Julian Weigl hat gerade zum 2:1 für 1860 getroffen; der Club wäre jetzt zum zweiten Mal abgestiegen.
13.05 Uhr
Auch Marek Mintal ist unter den 220 Zuschauern, wie auch ein übergewichtiger Sechzig-Fan mit blau-weißem Schal, der nach einem schattigen Sitzplatz sucht. Und da: Patrick Erras trifft zum 2:2 für den Club, der wieder hoffen darf. Der Sechzig-Fan wischt sich mit einem Tempo den Schweiß aus dem Nacken. „Scheiße“, sagt er.
13.12 Uhr
Reutershahn und Wiesinger müssen ihre Unterhaltung erneut unterbrechen: Christian Köppel hat das 3:2 für 1860 gemacht, für das es in Gottes Namen doch nur noch ums Prestige geht. Wie auch für die Sp Vgg Greuther Fürth, die Schützenhilfe leisten könnte, schließlich ist dort Unterhaching zu Gast, ein direkter Konkurrent des Clubs. Und tatsächlich: Dort steht es 7:1! Ach so, für Haching ...
13.32 Uhr
Zwölf Minuten sind noch zu spielen, da foult Münchens Torwart einen Club-Spieler und sieht Rot. Itter, der Club-Kapitän, verwandelt den Strafstoß zum 3:3. Zietsch sieht jetzt fast im Zehn-Sekunden-Takt auf die Uhr. Der Sechzig-Fan kramt nach einem neuen Tempo.
13.44 Uhr
89. Minute. Das war’s wohl. Der Club bemüht sich, ist aber im Angriff viel zu harmlos. Das sieht wohl auch Noah Korczowski so. Den Innenverteidiger hält jetzt nichts mehr hinten. Was soll noch passieren? Soll Sechzig doch kontern, soll Sechzig doch treffen - es ist jetzt egal. Doch es kommt anders: Ausgerechnet Korczowski fällt der Ball vor die Füße. Er schießt, er trifft, Zietsch springt in die Luft, Korczowski brüllt, rennt los, bis ihn irgendjemand zu Boden reißt. Alle, die ein Club-Logo auf der Brust haben, schmeißen sich auf den Jungprofi, es ist geschafft, 1860 München, der Fünfte, wurde mit 4:3 besiegt.
13.53 Uhr
Die Clubspieler bilden johlend einen Kreis, Rainer Zietsch ist mittendrin. „Hut ab“, ruft er seinen Jungs zu. „Das lassen wir uns jetzt nicht mehr nehmen. Heute feiern wir wie verrückt, dann bereiten wir uns vor. Uns fehlt nur noch ein Sieg.“ Kommenden Sonntag, um 12 Uhr, beim Karlsruher SC.