2024-04-30T13:48:59.170Z

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Krimis, die der Fußball schreibt

Die Saison der Club-U19 gleicht einem Roman, nur das Ende steht noch aus

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Man könnte eine Kurzgeschichte, oder nein, gleich ein ganzes Buch schreiben über diese Saison in der U19-Bundesliga. Die Geschichte würde von einer Mannschaft handeln, die 13 Spieltage benötigt, bis sie zum ersten Mal gewinnt. Und die, als sie selbst nicht mehr an sich glaubt, urplötzlich Teamgeist entwickelt; die dann von Sieg zu Sieg eilt, Spiel für Spiel, Woche für Woche. Es wäre keine fiktive Geschichte, es wäre die der A-Junioren des 1. FC Nürnberg. Wie die Geschichte ausgehen wird, bestimmen sie selbst. Das letzte Kapi­tel, das entweder von einem furchtbar traurigen Abstieg oder einem unglaub­lich glücklichen Klassenerhalt handeln würde, wird noch geschrieben. Bis dahin: Die Chronik des vorletzten Kapi­tels.

An einem Sonntag, in Nürnberg:

10.10 Uhr

Den Vormittag verbringen die Club-Profis mit einem Helm auf dem Kopf. Trainer Michael Wiesinger schickt seine Spieler zu einer Moun­tainbike- Runde in den Zerzabelshofer Forst. Während sie noch auf dem Park­platz Bremsentests machen, erwacht auf dem Vereinsgelände das Leben. Die Sonne scheint; zwei, drei Japaner stehen verloren mit Fotoapparat vor den „Stuhlfauth-Stuben“. Sie suchen Kiyotake, doch der strampelt gerade unbeholfen seinen Kollegen einen Waldweg hinterher. Es wäre ein net­tes Foto gewesen.

10.25 Uhr

Während sich stolze Eltern und Großeltern um ein U11-Kleinspielfeld drängen, treffen unbeachtet die ersten Spieler der U19 ein. Einige sind dem großen Ziel Profifußballer zumindest optisch schon nahe: Ihre Musik-Kopf­hörer erinnern an den Gehörschutz von Rollfeldpersonal - oder an David Alabas Musik-Kopfhörer aus der Mixed-Zone. Nichts deutet darauf hin, dass auf dem Nebenplatz gleich ein Spiel ums sportliche Überleben angepfiffen wird, zwischen dem Club und 1860 München. „Wir müssen gewinnen, sonst sind wir abgestie­gen“, sagt Rainer Zietsch. „Wir brauchen noch sieben bis acht Siege aus zehn Spielen“, prophezeite der Trainer bereits am 9. März. Die U19 hatte zu diesem Zeitpunkt sechs Punkte aus 15 Spielen geholt. Neun Spieltage später wird zu Zietschs küh­ner Rechnung nur ein Sieg fehlen.

12.05 Uhr

Hanno Balitsch ist nur Zaungast. „Entschuldigung, wie steht es denn?“, fragt der Club-Profi durch die Gitter­stäbe, als er vom Lizenzspielergebäude über den Parkplatz schlendert. Es steht noch 0:0, es läuft ja auch erst die fünfte Spielminute. Balitsch hat noch nichts verpasst, sogar die Personalie des Tages kennt er längst: Niklas Stark spielte im bedeutungsarmen Bundesligaspiel gegen Leverkusen bei den Profis mit, fehlt daher im U19-Mittelfeld und zweitwichtigsten Spiel der Saison. „Es war eine gemeinsame Entscheidung der sportlichen Lei­tung“, wird Zietsch später sagen. So ganz mag man ihm das nicht glauben, dass er diese Entscheidung gut fand.

12:10Uhr

Balitsch steht noch immer am Metallzaun und muss einen Fehlpass im Club-Spielaufbau mitansehen, schlimmer noch: Mike Ott trifft zum 1:0 für 1860. Nürnberg ist zum ersten Mal an diesem Sonntagnachmittag ab­gestiegen. Rainer Zietsch schaut auf die Uhr: „Weitermachen“, ruft er.

12.22 Uhr

Pascal Itter erkämpft den Ball, David Spiess flankt scharf nach in­nen, Pascal Köpke hält den Fuß hin: 1:1. Der Club darf wieder hoffen. Ba­litsch steigt ins Auto und fährt davon.

12.33 Uhr

Auch Michael Wiesinger und sein Co-Trainer Armin Reutershahn ste­hen hinter dem Gästetor. Sie müssen ihre Unterhaltung kurz unterbrechen: Julian Weigl hat gerade zum 2:1 für 1860 getroffen; der Club wäre jetzt zum zweiten Mal abgestiegen.

13.05 Uhr

Auch Marek Mintal ist unter den 220 Zuschauern, wie auch ein über­gewichtiger Sechzig-Fan mit blau-wei­ßem Schal, der nach einem schattigen Sitzplatz sucht. Und da: Patrick Erras trifft zum 2:2 für den Club, der wieder hoffen darf. Der Sechzig-Fan wischt sich mit einem Tempo den Schweiß aus dem Nacken. „Scheiße“, sagt er.

13.12 Uhr

Reutershahn und Wiesinger müssen ihre Unterhaltung erneut unterbre­chen: Christian Köppel hat das 3:2 für 1860 gemacht, für das es in Gottes Namen doch nur noch ums Prestige geht. Wie auch für die Sp Vgg Greut­her Fürth, die Schützenhilfe leisten könnte, schließlich ist dort Unter­haching zu Gast, ein direkter Konkur­rent des Clubs. Und tatsächlich: Dort steht es 7:1! Ach so, für Haching ...

13.32 Uhr

Zwölf Minuten sind noch zu spie­len, da foult Münchens Torwart einen Club-Spieler und sieht Rot. Itter, der Club-Kapitän, verwandelt den Straf­stoß zum 3:3. Zietsch sieht jetzt fast im Zehn-Sekunden-Takt auf die Uhr. Der Sechzig-Fan kramt nach einem neuen Tempo.

13.44 Uhr

89. Minute. Das war’s wohl. Der Club bemüht sich, ist aber im Angriff viel zu harmlos. Das sieht wohl auch Noah Korczowski so. Den Innenver­teidiger hält jetzt nichts mehr hinten. Was soll noch passieren? Soll Sechzig doch kontern, soll Sechzig doch tref­fen - es ist jetzt egal. Doch es kommt anders: Ausgerechnet Korczowski fällt der Ball vor die Füße. Er schießt, er trifft, Zietsch springt in die Luft, Korczowski brüllt, rennt los, bis ihn irgendjemand zu Boden reißt. Alle, die ein Club-Logo auf der Brust haben, schmeißen sich auf den Jung­profi, es ist geschafft, 1860 München, der Fünfte, wurde mit 4:3 besiegt.

13.53 Uhr

Die Clubspieler bilden johlend einen Kreis, Rainer Zietsch ist mittendrin. „Hut ab“, ruft er seinen Jungs zu. „Das lassen wir uns jetzt nicht mehr nehmen. Heute feiern wir wie ver­rückt, dann bereiten wir uns vor. Uns fehlt nur noch ein Sieg.“ Kommenden Sonntag, um 12 Uhr, beim Karlsruher SC.

Aufrufe: 07.5.2013, 11:19 Uhr
CHRISTOPH BENESCH Autor