2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Der Blick von Volker Weingartner ist nach vorne gerichtet: „Ich habe von allen Seiten Prügel kassiert. Andere wären in meiner Situation zerbrochen. Aber ich bin ein Kämpfer. Ich glaube an Comebacks.“  Christoph Seidl
Der Blick von Volker Weingartner ist nach vorne gerichtet: „Ich habe von allen Seiten Prügel kassiert. Andere wären in meiner Situation zerbrochen. Aber ich bin ein Kämpfer. Ich glaube an Comebacks.“  Christoph Seidl

Investor Weingartner: »Aichach hat mich Millionen gekostet«

Großes Interview über Schwarzgeld im Amateurfußball, die Insolvenz der Firma IBS und den Absturz des BC Aichach

Volker Weingartner hat mehrere Millionen Euro in einen Amateurverein gesteckt. Dank seiner finanziellen Hilfe stand der BC Aichach vor dem Aufstieg in die Regionalliga. Dann ging sein Unternehmen IBS insolvent. Die Mannschaft zerbrach. Heute würde er alles wieder so machen.

Am letzten Spieltag der Saison 2013/14 spielte die Mannschaft in der Kabine noch ein letztes Mal ihren Song: „I don’t wanna miss a thing“ von der Band Aerosmith. Die Spieler des BC Aichach feierte den Bayernliga-Titel. Doch sie wussten, dass sie als Mannschaft nie mehr zusammen spielen werden. Nach dem letzten Akkord war es vorbei. Unter ihnen war auch Volker Weingartner. Der Unternehmer aus Tierhaupten bei Schwaben hat mit einer einfachen Idee ein Unternehmen mit über 200 Mitarbeitern hochgezogen: Die IBS produziert mobile Aluminiumwände, die beim Hochwasserschutz zum Einsatz kommen.

Statt mit Sandsäcken zu arbeiten, lassen sich in kürzester Zeit hundert Meter lange Barrieren errichten. Als Unternehmer hatte Weingartner nur ein Ziel: Wachstum. Seine Freizeit verbrachte er auf dem Fußballplatz. Der BC Aichach war sein Hobby. Er investierte Millionen, den Großteil in Spielergehälter. Dann ging sein Unternehmen insolvent. Und der Verein musste zurück in die Kreisliga.

Herr Weingartner, was ist geblieben von Ihrem Millionen-Investment in Aichach?

Das traue ich mir zu sagen: Den BC Aichach würde es heute ohne mich nicht mehr geben. Er war komplett verschuldet. Als ich den Verein übernommen habe, hat die Mannschaft in der Kreisliga gespielt. Als die Bombe geplatzt ist, musste das Team wieder in dieser Liga antreten. Aber der Club war nahezu schuldenfrei. Somit habe ich nichts kaputt gemacht.

Sie haben viel Geld in den Aufstieg einer Mannschaft gesteckt, die auf dem Zenit des Erfolgs zerbrochen ist. War Ihr Investment ein Fehler?

Das sehe ich nüchtern. Der Verein hat mich Millionen gekostet. Aber ich trauere keinem Euro nach. Aichach war mein Hobby. Andere gehen auf die Jagd oder kaufen sich einen Flieger. Ich wollte auf dem Fußballplatz stehen. Es ist schief gegangen. Aber diese Gefahr gibt es bei jedem Investment.

Ist es sinnvoll, sich den sportlichen Erfolg mit Star-Spielern zu erkaufen?

Wie soll es anders gehen? Wie soll ein Top-Spieler aus München für null Euro in Aichach Fußball spielen? Ein Dorfverein kann mit einheimischen Spielern und dem Nachwuchs heute kaum die Kreisliga halten. Wenn es um den Auf- oder Abstieg geht, müssen Vereine Spieler holen, die gerade aus laufen können. Und die kosten Geld. Keiner fährt für ein Dankeschön zwei oder drei Mal die Woche über 60 Kilometer einfach ins Training. Ich werde wütend, wenn den Spieler vorgeworfen wird, dass sie nur aufs Geld schauen. Wer heute in München studiert und eine Wohnung bezahlen muss, hat kein Geld übrig, um drei Mal die Woche zu seinem Dorfverein ins Training zu fahren.

Was würden Sie einem Amateurverein raten, wenn ein Geldgeber einsteigen möchte?

Es wird immer wieder Typen wie mich geben. Der Verein muss sie mit offenen Armen empfangen. Ich könnte heute jeden Verein perfekt beraten. Mein wichtigster Tip wäre: Stellt klare Spielregeln auf. Und gebt nie das Heft komplett aus der Hand. Man braucht einen klaren Businessplan, was mit dem Geld gemacht werden soll. Jedem muss aber bewusst sein: Wenn ich nur von einem Geldgeber abhängig bin, geht die Reise ganz schnell nach unten, wenn der Geldhahn wieder zugedreht wird.

„Ich weiß haargenau, dass etliche Spieler in Bayern 1200 Euro aufwärts erhalten. Schwarz.“

Würden Sie heute etwas anders machen?

Ich möchte nie mehr in einem ambitionierten Verein Vorstand sein. Dieser Posten ist inzwischen vergleichbar mit dem Geschäftsführer einer GmbH. Sobald sich Geld dreht, wird es kritisch. Das beginnt schon in der Kreisliga. Es gab in der Vergangenheit keinen ambitionierten Verein, bei dem alle finanziellen Dinge korrekt gelaufen sind. Das ist ein offenes Geheimnis. Aber das geht heute nicht mehr. Viele Vereinsmeier sehen den Club nicht als Firma. Aber die Kontrollbehörden behandeln einen Sportverein inzwischen so.

Finden Sie es falsch, dass das Finanzamt bei Vereinen wie dem TSV Aindling hingeschaut hat, als an Spieler Schwarzgeld gezahlt wurde?

Wenn es über alle Regionen konsequent gemacht wird, wäre es in Ordnung. Ich weiß haargenau, dass etliche Spieler in Bayern 1200 Euro aufwärts erhalten. Schwarz. Inzwischen läuft das nicht mehr über den Verein, sondern über andere Kanäle. Aber das interessiert niemanden. Die Staatsanwaltschaft und das Finanzamt in Augsburg nimmt sich heraus, die härteste und schärfste in ganz Deutschland zu sein. Sie haben beim TSV Aindling ein Exempel statuiert. Aber ich frage mich, warum nur Vereine aus dem Augsburger Landkreis geprüft worden sind und als Bauernopfer herhalten mussten?

Erfolgsduo in Aichach: Volker Weingartner und Trainer Marco Küntzel bei der Meisterfeier. Foto: Reinhold Rummel

Wird immer noch getrickst, wenn es um die Bezahlung der Spieler geht?

Viele Vereine machen es geschickt. Wenn der Spieler auf der Lohn- und Gehaltsabrechnung einer Firma steht, wird ein Verein nie belangt. Es gibt etliche Beispiele, bei denen der Kreisliga-Top-Stürmer bei einem mittelständischen Unternehmen auf 450-Euro-Basis angestellt ist und ein Auto zur Verfügung gestellt bekommt. Damit verrate ich kein Geheimnis.

Wie ging es Ihnen persönlich, als der BC Aichach zerbrochen ist?

Wenn man mit dem Kreuz auf dem Rücken durch die Liga läuft, ist das kein schöner Gang. Es war demütigend, bei Auswärtsspielen ausgelacht zu werden. Aber ich habe mich trotz meiner katastrophalen Situation nicht versteckt. Für mich war der Fußball in dieser Zeit nicht mehr wichtig. Meine Firma ging den Bach runter. Es gibt unzählige Mittelständler, die eine Insolvenz nicht überleben. Die zerbrechen daran und sehen im Selbstmord eine Lösung.

Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?

Ich wollte einfach nur weg. Davonlaufen. Aber an Selbstmord habe ich nie gedacht. Das würde die Situation nicht ändern. Das könnte ich meiner Mutter nie antun. Damit würde ich noch eine Person umbringen. Meine Mutter hat mir immer mitgegeben, dass es weiter geht. Was man als Familie für ein Drama erlebt, kann ich nicht in Worte fassen. Meine Eltern und meine Freundin Andrea standen immer zu mir. Sie kannten mich schon, als ich noch kein Geld hatte.

Weingartner: „Seit meiner Insolvenz frage ich mich: Warum muss es immer nur um Erfolg gehen? Aber ich habe das in meinen Genen.“

Wie kam es zur Insolvenz Ihres Unternehmens IBS?

Ich hatte immer brutale Ideen. Mit den mobilen Trennwänden für den Hochwasserschutz bin ich weltweit groß geworden. Diese Wände können in Notsituationen kinderleicht aufgebaut werden. Aber der Markt war irgendwann gesättigt. Deshalb ich habe ich neue Produkte gebraucht, um weiter wachsen zu können. Ich hatte den Einfall für einen „Container-Filler“. Ein System, mit dem man lange, sperrige Teile in einen Seecontainer viel schneller verladen kann. Die Idee hat eingeschlagen. Aber für die Produktion habe ich große Hallen und Elektrotechnik benötigt. Dafür habe ich ein Werk in Plauen gekauft.

Was lief schief?

Mein größter Fehler war, dass ich das Werk ohne Businessplan und richtiger Finanzierung gekauft habe. Ich war immer ein wilder Hund und hatte die Einstellung: Die Idee ist genial. Das kriegen wir hin. Ich wollte wachsen und habe privat für alles gebürgt. Bis dahin ist mein Aktionismus immer gut gegangen. Aber ich habe den Aufwand unterschätzt. Die Kosten für das neue Werk haben alles andere mit runter gerissen.

Gab es Personen aus dem Fußballbereich, die Ihnen geholfen haben?

Bei einer Insolvenz geht es ums Überleben. Nicht mehr um Fußball. Ich hatte das Glück, dass ich einen Spieler in Aichach hatte, dessen Vater eine Insolvenz überlebt hat. Er war einer derjenigen, die mich gerettet haben. Er hat zu mir gesagt: Volker, es bricht nicht alles zusammen. Das empfehle ich jedem, der in diese Situation kommt: Tauscht euch mit Menschen aus, die diese Situation erlebt haben. Wer nicht ganz durch den Wind ist, kann aus diesen Gesprächen Schlüsse ziehen, die einen weiter bringen.

Die Insolvenz gilt heute als Chance, ein Unternehmen zu retten...

Das stimmt. Aber Berater oder Banken helfen niemandem. Die wollen nur den letzten Cent aus dir raus quetschen. Deutschland geht mit einer Insolvenz völlig falsch um. Ich habe ein Unternehmen aufgebaut, das über 20 Jahre gewachsen ist. Ich habe über 200 Arbeitsplätze geschaffen und Millionen an Steuern gezahlt. Dann habe ich einen Fehler gemacht und wurde als Unternehmer behandelt, als hätte ich Cholera und Lepra. Aber das hat mich nicht gebrochen. Ich will zurück kommen und es den Leuten zeigen. Auch im Amateurfußball.

Wie stellen Sie sich das vor? Sie können kein Geld mehr zahlen.

Wenn ein Verein nach oben will, kann ich helfen. Ich habe in Aichach viel Geld verbrannt. Aber auch sehr viel gelernt. Von diesem Wissen kann jeder Verein profitieren.

Reicht dafür kein Engagement bei einem kleinen Club?

Ich bin der falsche Mann, wenn sich ein Verein in der Kreisliga stabilisieren will. Fußball ist meine Leidenschaft. Diese Emotionen erlebt man nirgendwo anders. Aber ich werde immer Ziele haben. Seit meiner Insolvenz frage ich mich: Warum muss es in meinem Leben immer mehr sein? Warum muss es immer nur um Erfolg gehen? Aber ich habe das in meinen Genen. Ein Verein, der nicht an Wachstum interessiert ist, braucht keinen Volker Weingartner.

Das Interview führte Christoph Seidl.

Aufrufe: 012.4.2018, 13:04 Uhr
Münchner Merkur / Christoph SeidlAutor