2024-04-29T14:34:45.518Z

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Ilker Yüksel spielte früher quer in der Republik verteilt, heute ist er bei Hassia Bingen mehr als glücklich.
Ilker Yüksel spielte früher quer in der Republik verteilt, heute ist er bei Hassia Bingen mehr als glücklich. – Foto: stock.adobe/T. Schlitz

Gegen Phil Foden gekickt, aber erst bei der Hassia angekommen

Serie - Teil 14: Der 23-Jährige residierte mit Bill Clinton im selben Hotel und spielte gegen Kontrahenten wie Phil Foden und Manuel Locatelli +++ rückblickend hat er "keine Lust auf dieses Profileben" +++ Glück in Bingen gefunden

Mainz/Bingen. Ilker Yüksel trägt die Rückennummer 55. Sie steht für die türkische Heimatstadt seiner Eltern – Samsun. Er selbst ist in Kiel geboren. Dass es den bulligen Mittelstürmer irgendwann einmal in alle Himmelsrichtungen der Republik verschlagen und er für Vereine wie Mainz 05, Greuther Fürth oder Türkgücü München auflaufen würde, ahnte damals noch niemand. Diese Vita klingt erfolgsversprechend. Umso überraschender, dass Ilker mit 23 Jahren komplett mit dem professionellen Fußballspielen abgeschlossen hat – er will damit nichts mehr zu tun haben. Ilkers voller Fokus liegt nun auf seiner Ausbildung. Das Fußballgeschäft als solches, lässt ihn allerdings doch noch nicht so ganz los.

Als jüngere Jahrgang den Älteren die Show gestohlen

Yüksel begann seine fußballerische Reise bei seinem Jugendverein Inter Türskpor Kiel, ehe er noch im Kindesalter zur Spielvereinigung Eidertal Molfsee wechselte, einem Verein südlich der Stadt an der Förde. Doch nach zwei Jahren bei Eidertal erfolgte der erste große Schritt in Ilkers Karriere – der Transfer zum Kieler Spitzenverein. „Als jüngerer Jahrgang habe ich bei den 97ern mitgespielt und dort 25, 30 Tore gemacht. Danach wollte mich Holstein Kiel haben“, erinnert sich Ilker. Der schon damals großgewachsene Stürmer fiel, was die Statur anbelangt, unter seinen älteren Mannschaftskameraden nicht weiter auf. Allerdings stach er durch seine Torausbeute hervor. Und als die Clubs erfuhren, wie alt er in Wirklichkeit war, standen sie Schlange. Ein Wechsel in eines der renommierten Nachwuchsleistungszentren des Landes war also nur eine Frage der Zeit.

600 Kilometer von zu Hause entfernt

Ilker spielte bei Holstein als U15-Spieler in der U17-Bundesliga. Seinen bis dahin größten Auftritt zeigte er bei einem Auswärtsspiel in Erfurt. „Ich habe als zwei Jahre jüngerer zwei Tore gemacht“, berichtet Yüksel. Er zog ein ums andere Mal die Aufmerksamkeit der Scouts auf sich. Und es folgte das gleiche Spiel wie vor seinem Wechsel zu Kiel. Als deutlich wurde, dass es sich bei dem beobachteten Jungkicker um einen 15-Jährigen handelte, war das Interesse enorm. Mainz 05 machte im Anschluss an die Saison das Rennen – Ilker wechselte nach Rheinhessen. Über 600 Kilometer und mehr als sechs Stunden Fahrzeit lagen nun zwischen seinem Internatszimmer im Kolpinghaus und seiner Heimat. „Das Leben im Internat war anfangs gewöhnungsbedürftig, aber irgendwann ziemlich cool“, entsinnt sich Ilker. Die Zeit im Kolpinghaus machte ihn eigenverantwortlicher – sie prägte ihn: „Ich wurde viel selbstständiger. Das war eine gute Entscheidung von mir. Ich fand’s super!“. Der straffe und geregelte Tagesablauf brachte Struktur in Yüksels Leben und ermöglichten es ihm zugleich, sich auf das zu konzentrieren, was er liebte – Fußball.

Ein Kampf um die Startelf

Seine Zeit bei den 05ern bezeichnet Ilker allerdings als ein einziges „Auf und Ab“. Das erste Mal hatte er es als junger Jahrgang schwer und war kein unumstrittener Stammspieler mehr. Ein Rückschlag, doch Ilker wusste damit umzugehen. Außerdem lag eine Sache auf der Hand: in der Folgesaison gehörte er wieder zu den Älteren. Und diese Spielzeit habe dann auch wieder „mehr Spaß gemacht“, sagt Ilker und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Man hat als alter Jahrgang einfach ein anderes Standing in der Mannschaft. Da ist man eigentlich gesetzt. Als Junger muss man kämpfen.“ Es ist nicht so, als hätte er diesen Kampf nicht angenommen. Aber damals sei ihm so etwas leichtergefallen – es ging spielerischer vom Fuß. Im Erwachsenenbereich sei das was anderes, findet Ilker. Man müsse hart arbeiten, im Training den Konkurrenten gefühlt töten um den Startplatz für sich zu gewinnen.

Ansagen an den Trainer

Und in besagtem aktivem Bereich galt es für Ilker das erste Mal, Hürden zu überwinden. Hürden, die er nicht zu überwinden vermochte. Sein Jahr in der U23 der 05er verlief glanzlos. Die Tür in die Profimannschaft war fest verschlossen. Doch gab es für ihn in Mainz wirklich keine Zukunft mehr? Ilker hat eine deutliche Antwort parat: „Nein, gar keine. Deswegen bin ich dann zur zweiten Mannschaft von Fürth gewechselt“.

Dort lief es auch nicht so richtig rund. Einsatzzeiten sah er in der Hinserie nicht. „Keine Ahnung, was der Trainer gegen mich hatte. Er hat mich wirklich nie spielen lassen. Nie“, schildert Ilker. In seiner Antwort schwingt deutliches Unverständnis mit. Fürth befand sich im Januar im Abstiegskampf. Der Trainer habe seine Lieblinge gehabt und wollte ihn im Winter loswerden. Doch Yüksel suchte das Gespräch und machte dem Trainer eine Ansage: „Ich meinte zu ihm: Lass mich spielen! Schlechter als die jetzigen Stürmer kann ich‘s nicht machen.“ Es fruchtete. Der Trainer war bereit, ihm eine Chance zu geben. Womit beide nicht rechnen konnten war das, was darauf folgte. Ilker erlitt eine Schambeinentzündung, die ihn ein halbes Jahr kostete. Den Anschluss an die Fürther Mannschaft fand er nicht mehr.

Fressen oder gefressen werden

Er suchte sein Glück bei Türkgücü München. Und es ging für ihn wieder aufwärts – im wahrsten Sinne. Nach einem Jahr in der Regionalliga folgte 2020 der Aufstieg in Liga 3. Doch obwohl Ilker Einsätze für die Münchner hatte, trennten sich die Wege in der Sommerpause – die Perspektive fehlte einfach. „Bei so einer Mannschaft wie Türkgücü heißt es: entweder du bringst deine Leistung oder nicht. Und wenn du sie nicht bringst, hast du Pech gehabt. Ganz einfach. Dann kommt der nächste“, legt Yüksel dar und führt weiter aus: „Ich habe drei, vier, fünf Spiele meine Chance bekommen, habe sie aber nicht genutzt. Also hat der andere Stürmer gespielt. Fertig. Ende Gelände. Da kannst du nix mehr machen. Das musst du akzeptieren“.

Auch wenn Ilker in den vorangegangenen Aussagen sehr temperamentvoll erscheint, folgen seine Taten nicht dem Affekt. Seine Selbsteinschätzung ist reflektiert, seine Entscheidungen fundiert. Er machte sich keine Illusionen. Obwohl Yüksel Angebote aus der Regionalliga und der Türkei hatte, schlug er diese aus. Er zeigt klare Kante: „Ich bin ganz ehrlich: es bringt nichts zehn Jahre in der Regionalliga ‚rumzugurken‘, für 2.000 bis 3.000 Euro als Vollzeit-Profi. Das bringt einem nichts“. Ilker entschied sich also mit 22 Jahren seinen Fokus neu auszurichten. Eine Entscheidung die ihm schwer fiel, lief es für ihn in der Jugend doch so reibungslos.

Gegen Foden und Locatelli aufgelaufen

So reibungslos, dass er sogar zu internationalen Ehren kam. Noch während seiner Kieler Zeiten, erhielt der Deutsch-Türke eine Einladung für die U15-Nationalmannschaft des süd-ost-europäischen Landes. Zwei Jahre später wurde er für die U-Nationalmannschaft der Deutschen nominiert. Doch wirklich regelmäßige Einsatzzeiten bekam Ilker erst in der U19 und der U21 – dort wieder für die Türkei spielend. In insgesamt 13 Partien traf er fünf Mal. Viel imposanter sind allerdings die gegnerischen Mannschaften und Spieler, gegen welche Ilker seine Offensivkünste zur Schau stellen durfte. Kosovo, Portugal, Kroatien, England und Italien gehören zu den Kontrahenten, die es in Ilkers Portfolio geschafft haben.

"Vom lieben Gott gesegnet"

Doch insbesondere die letzten beiden Nationen haben sich in sein Gedächtnis gebrannt. „Ich habe gegen Phil Foden gespielt. Da braucht man nicht mehr zu sagen. Da fehlen einem die Worte. Man kann ihn anschießen und der Ball klebt ihm am Fuß. Der wurde vom lieben Gott gesegnet“, beschreibt Ilker voller Bewunderung die Fähigkeiten des Manchester City-Juwels. Auch Manuel Locatelli, der Shootingstar der letzten EM, hat es Ilker angetan: „Unfassbar, wirklich. Der ist brutal“. Es war ein Kräftemessen mit den Besten – der Crème de la Crème des europäischen Spitzenfußballs. Erlebnisse, die Yüksel niemals vergessen wird. Doch er konstatiert auch: „Das ist Vergangenheit“.

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Mit Bill Clinton im Hotel residiert

Ilker ist viel rumgekommen, nicht nur in Deutschland, sondern auch international. Er verdeutlicht, dass er „dank des Fußballs in gefühlt jedem Land Europas war“. Yüksel ist sich ob des Privilegs, das er hatte, bewusst – und er genoss es in vollen Zügen. Bei seinen Aufenthalten in der Türkei stand er als Fußballer im Mittelpunkt. „Du lebst das Türkische Leben. Der Fokus ist nur auf dich und den Fußball gerichtet. Betreuer, Physios, Ärzte. Du hast den kompletten Luxus“, entsinnt sich Ilker. Und er sammelte zu dieser Zeit auch so einige skurrile Erfahrungen: „Wir hatten ein Länderspiel im Kosovo und waren im besten Hotel des Landes untergebracht. Im selben Hotel war auch Bill Clinton – mit gefühlt 500 Securities“.

Erfolg vergeht, Freundschaften bleiben

Auch wenn Ilker es bis in die U21 der Türkei schaffte, sei er meilenweit von der A-Nationalmannschaft entfernt gewesen. „Da bin ich realistisch“, ordnet Yüksel reflektiert ein. Doch die Erfahrung zu machen, wie es sich als vollwertiger Nationalspieler hätte anfühlen können, war ihm trotzdem vergönnt. „Wir hatten ein Länderspiel, da sind wir zusammen mit den Profis der A-Nationalmannschaft nach Albanien geflogen. Das war dann kompletter Luxus. Du fährst direkt auf die Landebahn und marschierst ins Flugzeug“, berichtet Ilker. Um diesen Status allerdings dauerhaft auskosten zu dürfen, hätte er seiner Meinung nach „Voll-Profi“ sein müssen – und das wurde er nie. Der kurze Erfolg war da. Ilker durfte ihn genießen. Doch er trauert ihm nicht hinterher. Was bleibt sind die Freundschaften, die er während dieser Zeit knüpfte. Zu ehemaligen Mannschaftskameraden wie Berkay Özcan (Basaksehir), Orkan Kökcü (Feyenoord Rotterdam), Mert Müldür (Sassuolo) oder Merih Demiral (Atalanta Bergamo) pflegt Ilker heute noch gute Kontakte. Diese überdauerten den schnellen Ruhm.

Der Wandervogel lässt sich nieder

Sein letztes Jahr in der Nationalmannschaft verlief etwa kongruent zu seinem ersten Jahr in München. Nach seiner dortigen Vertragsauflösung allerdings, hatte Ilker mit Fußball abgeschlossen. Eine Prioritätenverschiebung fand statt. Es zog ihn zurück nach Rheinhessen und er startete seine Ausbildung zum Versicherungskaufmann in Bingen. Zeitgleich heuerte er beim Oberligisten der Rheinstadt an. Dort fand er seine Liebe zum Sport wieder. „Lange Zeit hatte ich gar keinen Bock auf Fußball, auch als ich noch gespielt habe. Aber in Bingen habe ich wieder Lust am Kicken“, schwärmt Yüksel. Auch wenn die Hinrunde für ihn noch nicht nach Plan verlief, steckt Ilker nicht zurück. „Ich will auf jeden Fall bei Bingen zeigen, was ich kann! Aber ich mache keine Experimente mehr. Da kann kommen wer will, ich würde niemals mehr in die Regionalliga gehen. Ich habe keine Lust auf dieses Profileben. Ich könnte mir auch nicht vorstellen irgendwo in der 3. oder 2. Liga ‚rumzukicken‘. Das ist alles schön und gut. Geld ist aber nicht alles“, bezieht Ilker deutlich Stellung.

Spielerberater oder Trainer als künftige Optionen

Er hat mit seinen mittlerweile 23 Jahren bereits viel erlebt und weiß seine Vergangenheit, aber auch seine Zukunft, klar einzuordnen. Das professionelle Spielen ist für ihn zwar passé, aber dem Fußballgeschäft an sich möchte er dennoch nicht den Rücken kehren. „Ich habe durch den Sport viele Menschen kennengelernt, das will ich nutzen“, meint Ilker. Er könne es sich vorstellen später auch als Spielerberater oder Trainer zu arbeiten. Die dafür zunächst nötigen C- und B-Lizenzen möchte er im Sommer absolvieren.

Bevor er seinen Fokus allerdings noch einmal auf den Fußball legt, möchte er vorher seine Ausbildung abschließen. Und wer weiß, vielleicht findet man ihn danach dann doch irgendwann in der 2. oder 3. Liga wieder – dann an der Seitenlinie.

Zur Serie: In dieser Reihe porträtieren wir ehemalige NLZ-Spieler, die den Sprung zum Profi nicht gepackt haben und nun bei Amateurteams aus der Region spielen. Sie erzählen uns, wie nah dran sie wirklich am großen Traum Profifußball waren und welche Ambitionen sie jetzt haben - sowohl auf als auch neben dem Platz.

- Teil 1: Linus Wimmer (SV Eintracht Trier)
- Teil 2: Lukas Fischer (TSG Bretzenheim)
- Teil 3: Lars Hermann (TSV Schott Mainz)
- Teil 4: Nik Rosenbaum (SV Alemannia Waldalgesheim)
- Teil 5: Joshua Iten (SG Hüffelsheim)
- Teil 6: Bilal Marzouki (FC Maroc Wiesbaden)
- Teil 7: Kevin Frey (VfB Bodenheim/TSG Mainz Futsal)
- Teil 8: Giorgio del Vecchio (TSV Schott Mainz)
- Teil 9: Marco Waldraff (SV Niedernhausen)
- Teil 10: Manuel Konaté-Lueken (RW Walldorf)
- Teil 11: Sandro Loechelt (Wormatia Worms)
- Teil 12: Marvin Esser (SG Walluf)
- Teil 13: Patrick Huth (TSG Pfeddersheim)

Aufrufe: 06.2.2022, 06:00 Uhr
Benedikt PalmAutor